Ein leeres Buswartehäuschen an einer Dorfstraße vor einem Teich.
Ein Wartehäuschen gibt es in Oberreichenbach, einen Linienbus allerdings nur einmal am frühen Morgen. Bildrechte: MDR/Thomas Friedrich

Reportage (K)ein Bus wird kommen: Das ist der Nahverkehr in Oberreichenbach

27. April 2023, 18:54 Uhr

Mit dem 49-Euro-Ticket kann man mit Zug oder Bus ab 1. Mai durch das ganze Land fahren. Einsteigen und losfahren - vorausgesetzt, an der Bushaltestelle hält auch ein Bus. In Oberreichenbach ist das bisher nur einmal am Tag der Fall. Thomas Friedrich, der den Nahverkehrstakt der Großstadt Chemnitz gewöhnt ist, hat sich im Dorf umgesehen und festgestellt: Abgehängtsein ist, wenn man Nachbarn fragen muss für Fahrten zum Arzt.

Eine Reportage über das Busfahren im Oberreichenbach würde mein Budget sprengen. Ich könnte den Ort, der zu Brand-Erbisdorf gehört, zwar morgens 6.42 Uhr mit dem ersten und einzigen Bus in Richtung Brand-Erbisdorf verlassen. Doch dort habe ich nur zwei Möglichkeiten. Entweder ich übernachte dort und fahre am nächsten Morgen zurück, oder ich trete die Rückfahrt nach acht Minuten Aufenthalt in Brand-Erbisdorf an. Das kann und will ich mir nicht leisten. Also benutze ich ganz oldschool mein Auto und treffe mich mit dem Oberbürgermeister von Brand-Erbisdorf, Martin Antonow. Er kennt mein Problem.

Ein Haltestellenschild und das Wort Wendeschleife 1 min
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Do 27.04.2023 17:00Uhr 01:11 min

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Oberbürgermeister Antonow: Ich bin selbst so aufgewachsen

Martin Antonow erzählt mir, dass er selbst in einem Dorf ohne Busanbindung aufgewachsen ist. "Das war natürlich zu einer ganz anderen Zeit", sagt er. "Aber Mobilität hat immer zwei Seiten. Das naturnahe Wohnen und die Ruhe gehen natürlich einher mit einer schlechteren Erreichbarkeit." Aber der Zusammenhalt der knapp 150 Einwohner in Oberreichenbach sei groß. "Die Leute hier haben Vorräte für zwei Wochen im Haus und wenn etwas fehlt, wird es mitgebracht vom Nachbarn."

Trotzdem könne er sich vorstellen, dass zum Beispiel eine Busverbindung an Markttagen in Brand-Erbisdorf eingerichtet werde. "An sinnvollen Projekten würde sich die Stadt auch beteiligen", sagt er. Während wir an der Bushaltestelle reden, fährt ein Auto nach dem nächsten an uns vorbei und auch einige schwere Laster. Nur kein Bus.

Der Oberbürgermeister von Brand-Erbisdorf, Martin Antonow, steht vor dem ehemaligen Gemeindehaus in Oberreichenbach.
Martin Antonow, Oberbürgermeister von Brand-Erbisdorf, kann sich vorstellen, dass die Stadt bestimmte Busangebote finanziell unterstützt. Bildrechte: MDR/Thomas Friedrich

Das ist Brand-Erbisdorf - Die Große Kreisstadt Brand-Erbisdorf im Kreis Mittelsachsen besteht aus der Kernstadt und den Ortsteilen Mönchenfrei, Niederfrei, Zugspitze, St. Michaelis, Linda, Himmelsfürst, Langenau, Gränitz und Oberreichenbach. In Brand-Erbisdorf leben etwa 9.000 Einwohner auf einer Fläche von 46 Quadratkilometern.
- In einige Ortsteilen fährt der Linienbus öfter, weil sie besser an den Hauptverkehrsstraßen liegen.

Ein Kleinbus mit einem Kindertransportsymbol hält an einer Haltestelle mit geöffneter Tür.
Nur an Schultagen bringt ein Kleinbus die Schülerinnen und Schüler nach Oberreichenbach. Bildrechte: MDR/Thomas Friedrich

Problemlos zur Schule, zu Kumpels nur im Elterntaxi

Es ist inzwischen 13.19 Uhr. Pünktlich rollt ein weißer Kleinbus mit einem Schulbusschild an die Haltestelle, gleich darauf ein zweiter. Der Bus spuckt ein paar Kinder und Jugendliche aus. Felix Meyer ist einer von ihnen. Der 15 Jahre alte Schüler ist zufrieden mit der Busverbindung - solange es den Schulweg betrifft. "Wenn ich aber an einem Wochenende zu einen Kumpel will, muss ich fragen, ob meine Eltern mich fahren. Wenn sie keine Zeit haben, kann ich nicht hin."

Der Schüler Felix Meyer steht vor einer Haltestelle.
Zur Schule kommt der 15 Jahre alte Felix mit dem Bus problemlos. In der Freizeit muss er immer seine Eltern oder Verwandte bitten, ihn zu fahren. Bildrechte: MDR/Thomas Friedrich

Verwandtschaft und Vorratswirtschaft wichtig

Nicht ganz zufällig kommt Kathleen Benkert-Oppelt, selbst Mutter eines Sohnes, zur Haltestelle. Sie hat sich schon erfolgreich dafür eingesetzt, dass die Fahrzeiten der Schulbusse besser mit den Unterrichtszeiten koordiniert worden sind. "In den Ferien fährt aber überhaupt kein Bus. Ich kann meine Kinder von hier aus nicht einmal zur Hortbetreuung schicken." Für die ältere Leute sei das Problem genauso groß. "Sie haben keine Möglichkeit, zum Arzt, zur Apotheke oder in ein Geschäft zu fahren. Sie sind in Oberreichenbach auf Gedeih und Verderb auf ihre Angehörigen angewiesen."

Kathleen Benkert-Oppelt, Anwohnerin in Oberreichenbach, steht an einer Bushaltestelle.
Kathleen Benkert-Oppelt kennt es nicht anders: Schon als junges Mädchen musste sie während der Ausbildung im Internat in Brand-Erbisdorf wohnen, weil kein Bus sie zu ihrer Familie nach Oberreichenbach brachte. Bildrechte: MDR/Stephan Hönigschmid

Sie bringt Lebensmittel auf dem Heimweg von der Arbeit mit, hat aber immer Vorräte für zwei Wochen im Kühlschrank. Als Städter überlege ich unwillkürlich, wie lange meine Vorräte wohl reichen? Ich komme auf gefühlt zwei Tage. Und auch dann würde es nur noch Konserven oder Fertignudeln geben. Der Supermarkt liegt schließlich bei mir um die Ecke und hat bis 22 Uhr geöffnet. Da verlernt man schnell, auf Vorrat einzukaufen. In Oberreichenbach gibt es dafür Hilfe aus der Nachbarschaft. "Hier kennt man sich. Da kann man auch mal etwas vom Nachbarn borgen", lacht Kathleen Benkert-Oppelt. Später wird sie mir aus ihrem Auto zuwinken. Sie hat ihren Sohn von der Schule abgeholt, weil er heute länger Unterricht hatte.

Sie sind in Oberreichenbach auf Gedeih und Verderb auf ihre Angehörigen angewiesen.

Kathleen Benkert-Oppelt Anwohnerin

Stadtrat Mirko Espig hat konkrete Pläne

Auch der parteilose Stadtrat Mirko Espig ist zu unserem Haltestellentreff gekommen. Er wohnt im Nachbarort Linda und setzt sich seit Jahren für bessere Verkehrslösungen in Brand-Erbisdorf ein. Espig, der auch Vorstand der Taxizentrale Mittelsachsen eG ist, sagt mir lachend: "Mit dem Anruflinientaxi haben wir in Freiberg schon seit 1995 flexible Verkehrslösungen eingeführt." Die gebe es jetzt auch auf verschiedenen anderen Linien bei Regiobus.

Mirko Espig (Stadtrat in Brand-Erbisdorf) steht vor einem Dorfteich.
Mirko Espig hat klare Vorstellungen, wie es in Oberreichenbach weitergehen soll mit dem ÖPNV. Bildrechte: MDR/Thomas Friedrich

Für Oberreichenbach habe er bereits ganz konkrete Pläne in der Tasche und sei mit Regiobus auch darüber im Gespräch. "Klar ist aber, dass wir die Ortsteile verknüpfen müssen und den Bus auch als Anbindung an den überregionalen Verkehr ausbauen müssen." Details könne er aber noch nicht verraten. Espig verabschiedet sich von mir an der Haltestelle und steigt ebenfalls ins Auto. Er muss seine Tochter aus Chemnitz abholen. Sie hat noch keinen Führerschein und würde sonst nicht nach Hause kommen.

Neben dem Haltestellenschild am Straßenrand weißt ein Schild zum Friedhof von Oberreichenbach.
In Oberreichenbach wünschen sich die Einwohner, dass den Busverbindungen neues Leben eingehaucht wird. Bildrechte: MDR/Thomas Friedrich

Es soll also Bewegung in die Sache mit der Busanbindung in Oberreichenbach kommen, darüber sind sich alle einig. Wenn es soweit ist, werde ich wieder nach Oberreichenbach kommen. Dann werde ich hoffentlich auch mit Busfahrgästen ins Gespräch kommen und später auch per Bus wieder heimfahren können.

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Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalreport aus dem Studio Leipzig | 28. April 2023 | 16:30 Uhr

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