AufarbeitungRoth: NSU-Dokumentationszentrum in Chemnitz "notwendiger Anfang"
In Chemnitz und Zwickau lebte das NSU-Trio jahrelang im Untergrund. Im November 2011 flog die Terrorgruppe auf. Wie die Rechtsterroristen so lange unbehelligt morden und mitten in der Stadtgesellschaft leben konnten, soll nun mithilfe eines NSU-Dokumentationszentrums aufgearbeitet werden. Die Eröffnung ist im Mai 2025 im Rahmen des Kulturhauptstadt-Jahres geplant. Das Projekt soll auch Modell für ein NSU-Dokumentationszentrums in Berlin sein.
- In Chemnitz geht der Aufbau eines NSU-Dokumentationszentrums dank finanzieller Förderung voran.
- Kulturstaatsministerin Roth betonte, es sei wichtig die Perspektive der Opfer der NSU-Mordserie einzubeziehen.
- Das Vorhaben ist zugleich ein Pilotprojekt für ein Dokumentationszentrum des Bundes in Berlin.
Mit vier Millionen Euro unterstützen der Bund und das Land Sachsen den Aufbau eines NSU-Dokumentationszentrums in Chemnitz. Am Dienstag überreichten Kulturstaatsministerin Claudia Roth und Sachsens Demokratieministerin Katja Meier die Förderbescheide. Voraussichtlich im Mai 2025 soll es in einem ehemaligen Ladenlokal am Johannisplatz im Zentrum der Stadt eröffnet werden.
Roth: Perspektive der NSU-Opfer einbeziehen
"Es ist ein notwendiger Anfang, denn es ist wirklich viel versäumt worden", sagte Roth im Gespräch mit MDR KULTUR. Mit Blick auf die Aufklärung der zehn Morde, die auf das Konto des rechtsextremistischen Terrornetzwerks "Nationalsozialistischer Untergrund" gingen, könne man tatsächlich von Staatsversagen sprechen.
Mehrere zivilgesellschaftliche Vereine, Initiative Offene Gesellschaft e.V., RAA Sachsen e.V. und ASA-FF e.V., engagieren sich gemeinsam für den Aufbau des Zentrums und informierten zum Stand. Das Zentrum soll Archiv für Dokumente zur weiteren Aufarbeitung der NSU-Mordserie sein. Darüber hinais sind ein Erinnerungsort und eine Begegnungsstätte geplant. Teil soll dabei auch eine multimediale Ausstellung sein, die unter dem Titel "Offener Prozess" vor allem die Geschichten der Opfer in den Fokus rückt.
Gamze Kubaşık: Chemnitz ist Täterstadt
Dazu betonte Roth, gerade in Chemnitz als "Täterort" sei es wichtig, die Perspektive der Opfer und ihrer Angehörigen einzubeziehen. Das sieht auch Gamze Kubaşık so, die Tochter von Mehmet Kubaşık, der 2006 in Dortmund vom NSU ermordet wurde: "Chemnitz ist für uns alle eine 'Täterstadt'. Mit dem Zentrum stellt sich Chemnitz dieser Verantwortung." Kubaşık ist in den Aufbau des Dokumentationszentrums eingebunden.
"Das Schlimme war, dass man die Opfer zu Tätern gemacht hat, indem man eine 'Bosporus'-Mordkommission gegründet oder von 'Döner-Morden' gesprochen und den Bezug zu rechtsextremistischem Terror nicht hergestellt hat", betont Roth. Für die Kulturstaatsministerin ist deshalb eine Reflexion darüber, "wie wir als Gesellschaft reagiert haben", Teil der Aufarbeitung.
OB Schulze: "Balance finden"
Dass Chemnitz der richtige Ort für ein NSU-Dokumentationszentrum ist, findet auch der Oberbürgermeister der Stadt Sven Schulze. Er begrüße das Projekt als Teil des Programms im Kulturhauptstadtjahr, wenn viele viele Gäste nach Chemnitz kämen. Dabei sei es aber wichtig eine Balance zu finden, meint Schulze: "Hier ist ein Ort, wo es Rahmenbedingungen gab, wo es vielleicht auch Strukturen gab, die das ermöglicht haben. Aber gleichzeitig dürfen nicht alle, die hier leben, als Täter stigmatisiert werden."
Modellprojekt für den Bund
Das Vorhaben ist nicht nur ein Beitrag zum Kulturhauptstadtjahr Chemnitz 2025. Es soll zugleich ein Pilotprojekt für das vom Bund in Berlin geplante Dokumentationszentrum zu den Verbrechen des NSU sein.
Chemnitz war neben Zwickau ein Rückzugsort des NSU-Kerntrios, das sich ursprünglich in Jena formierte hatte und 1998 untergetaucht war. In Chemnitz und Zwickau lebten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe jahrelang unbehelligt. Sie konnten auch dank zahlreiche Unterstützer aus der rechtsextremen Szene zwischen 2000 und 2007 eine Serie von Morden an mindestens zehn Menschen planen, neun von ihnen hatten einen Migrationshintergrund. Außerdem gehen Bombenanschläge und Banküberfälle auf das Konto des Netzwerks. Am 4. November 2011, also vor genau 13 Jahren, flog die Terrorzelle auf.
Inzwischen beschäftigten sich mehrere Untersuchungsausschüsse mit dem Versagen der Behörden. Schlagzeilen machte Chemnitz erneut 2018. Nach einem tödlichen Messerangriff auf einen Deutsch-Kubaner rotteten sich tagelang Rechtsextreme aus der ganzen Republik in Chemnitz zusammen. Erst am Dienstag wurden die Umtriebe eines neuen rechtsterroristischen Netzwerks publik, das sich "Sächsische Separatisten" nannte und Umsturzpläne hegte.
Quelle: MDR KULTUR (Philipp Lakomy)
Redaktionelle Bearbeitung: ks, bh
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 06. November 2024 | 07:10 Uhr