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Wissen & EntdeckenMit dem historischen Triebwagen durchs Vogtland

01. August 2022, 18:00 Uhr

Urlaub zu Hause kann auch eine kleine Weltreise sein: Wer auf der Wisentatalbahn zwischen Schönberg bei Pausa und Schleiz fährt, hat aus den meisten Teilen Sachsens und auch Thüringens eine weite Anreise hinter sich. Dafür bietet ein historischer Triebwagen Eisenbahngefühl einer längst vergangen Zeit. Und wer auf Schusters Rappen die Gegend erkundet, findet vor allem Ruhe in ländlicher Idylle. MDR SACHSEN-Autor Lars Müller war dort.

In beeindruckend vielen Grüntöne präsentiert sich die Natur im oberen Vogtland an der Grenze zwischen Sachsen, Thüringen und Franken selbst im Hochsommer. Das muss das Gefühl sein, was man gemeinhin Sommerfrische nennt. Ich stehe auf dem Bahnsteig in Schönberg an der Sachsen-Franken-Magistrale (Dresden - Nürnberg). Ein Güterzug rauscht durch. Dann ist wieder Ruhe, die plötzlich durch ein Pfeifen unterbrochen wird - erst ganz leise, dann immer lauter. Der historische Schienenbus der Wisentatalbahn aus Schleiz kündigt sich an. Vor der Einfahrt sind noch einige der zahllosen unbeschrankten Bahnübergänge auf der Nebenstrecke zu überqueren - und da muss der Lokführer pfeifen.

Eisenbahnfans kommen zum "Streckensammeln"

Außerhalb der Region ist vielen unbekannt, dass ein rühriger Verein seit Jahren schon die Nebenbahn Schönberg - Schleiz am Leben erhält und das ganze Jahr über Sonderfahrten in einem Uerdinger Schienenbus aus den 1950er-Jahren anbietet. Erbaut wurde die eingleisige Strecke, die weitestgehend über das einstige Land des Füstentums Reuß jüngerer Linie (heute im Freistaat Thüringen) verlief, vom Königreich Sachsen in den Jahren 1886 bis 1887. Vereinsvorstand Michael Rauchfuß berichtet, dass viele Fahrgäste aus der Region kommen. Eingefleischte Eisenbahnfans nehmen auch weitere Wege selbst aus dem Ausland in Kauf. Viele sammelten Strecken, das heißt, sie wollen auf möglichst vielen Gleisen selbst mit dem Zug gefahren sein. Aber auch Urlauber, die wandern oder radeln wollen, finden sich im Triebwagen ein. Im laufenden Jahr pendelt der Schienenbus an durchschnittlich zwei Sonnabenden im Monat zwischen Schleiz und Schönberg - meist viermal hin und viermal zurück. Nach den Corona-Pausen nehme die Nachfrage nun wieder zu, freut sich Rauchfuß.

Lokführer lässt sicher gerne über die Schultern schauen

"So, einsteigen. Es geht los". Lokführer Friedemann Schüler macht diese klare Ansage. Er schwingt sich auf seinen Sitz im Schienenbus. Hauptberuflich ist Schüler Lokführer bei der DB Cargo in Nürnberg und fährt die ganz schweren Güterzüge durch die halbe Bundesrepublik und bis ins tschechische Cheb (Eger). Auf rund 20 Lokomotivtypen ist er ausgebildet. Den Triebwagen nach Schleiz steuert er mehrmals im Jahr ehrenamtlich und hat sichtlich Freude daran, interessierten Fahrgästen die Technik und die Strecke zu erklären. Im Schienenbus kann man neben dem Lokführer stehen oder sitzen und hat beste Ausblicke auf die Strecke.

Die Strecke und die historischen SchienenbusseDie Strecke Schönberg - Schleiz wurde 1887 eröffnet. Die letzten Güterzüge fuhren 1997, der planmäßige Personenverkehr wurde Ende 2006 vom Freistaat Thüringen abbestellt. Die Deutsche Bahn hat die Strecke an die Deutsche Regionaleisenbahn (DRE) abgegeben. Von 2008 bis 2010/11 war das Gleis komplett gesperrt. Danach lief der Museumsbetrieb an.

Inzwischen kommen regelmäßig zwei Triebwagen und ein Steuerwagen sogenannter Uerdinger Schienenbusse zum Einsatz. Die 1956 bis 1962 gebauten und seither mehrfach umgebauten Fahrzeuge gehören dem . Betrieben werden sie von der DRE. Die Schienenbusse galten in der Bundesrepublik einst als Retter der Nebenbahnen. Auf der Strecke Schönberg - Schleiz waren diese Züge nie fahrplanmäßig im Einsatz. Die Personenzüge domnierten hier V100-Dieselloks der Deutschen Reichsbahn (DR) mit sogenannten Reko-Wagen und zeitweise auch DR-Schienenbusse, sogenannte Ferkeltaxis. Deren Einsatz war mit der Strecke Plauen - Gutenfürst verknüpft. Die Züge endeten damals außerhalb des Grenzbahnhofs und waren nur mit Passierschein bis Gutenfürst nutzbar. Ferkeltaxis gelten als das ostdeutsche Pendant zu den westdeutschen Schienenbussen. Im nahen Adorf hält ein Verein DR-Ferkeltaxis betriebsbereit und bietet gelegentlich Sonderfahrten etwa nach Zwotental an.Förderverein Wisentatalbahn

Lokführer kennt Strecke seit seiner Ausbildungszeit

Das Triebwagengespann aus einem Trieb- und einen motorlosen Steuerwagen ruckelt los. Die Hauptstrecke nach Hof verschwindet links, ebenso wie das nicht mehr genutzte Gleis der einstigen Nebenbahn nach Hirschberg. Friedemann Schüler, der bei der Deutschen Reichsbahn in Reichenbach noch ganz klassisch erst Lokschlosser und dann Lokführer gelernt hat, erinnert sich, wie er früher mit einer V 100-Diesellok und einigen sogenannten Rekowagen zwischen Schönberg und Schleiz nach Fahrplan gefahren ist. "Ich kenne die Strecke noch immer auswendig", sagt er.

Am Schienenbus fasziniert ihn die alte Technik. Besondere Herausforderungen habe die Nebenbahn-Trasse für den Lokführer aber nicht, sagt er. Obacht ist lediglich an den zahllosen unbeschrankten Übergängen geboten, denen sich der Triebwagen immer mit mehreren Pfiffen nähert. Allerdings ist auf den querenden Feldwegen nur wenig los. Nach kurzer Fahrt taucht Mühltroff mit dem markanten Schloss auf.

Schienenbus schaukelt durch ländliche Idylle

Der zweiachsige Schienenbus mit seinem Steuerwagen schaukelt weiter über die Gleise und dabei nun auch über die Landesgrenze von Sachsen und Thüringen. Schmucke Dörfer und einzelne Gehöfte wechseln sich mit Feldern, Hainen und Wäldern ab. Es gibt stets etwas Neues zu entdecken, wenn die Landschaft vor den Zugfenstern vorbei gefahren wird. Ein kleiner Junge, der neben dem Lokführer sitzt, ist von Kühen, Schafen, Pferden und Dammwild auf Weiden und Koppeln begeistert. Beim ersten Zug am Morgen seien die Rinder noch davongelaufen, am Nachmittag haben sie sich augenscheinlich an den rumpelnden Schienenbus gewöhnt und schauen seiner Vorbeifahrt gleichgültig zu, berichten die Wisentatalbahner. Ein anderer Junge will alles über die Hebel und Knöpfen am Fahrpult des Triebwagens wissen.

Wisentatalbahn überregional kaum bekannt

Vereinschef Michael Rauchfuß, der vor Jahrzehnten aus Delitzsch ins Vogtland gezogen ist, gibt unterdessen gerne der Fremdenführer. Er weiß viel zur Geschichte der Nebenbahn, über die Region und die einzelnen Orte zu berichten. Die Strecke folgt stets der Wisenta, einem kleinen Nebenfluss der Saale. Der 2007 gegründete Verein hat sich den Flussnamen ausgesucht, um damit die Strecke zu bewerben. Ganz einfach sei das allerdings nicht, gibt Rauchfuß zu. Und ehrlich, wer außerhalb des Vogtlandes hat schon einmal von der Wisenta gehört?

Es dürfte auch wenig hilfreich sein, dass die Landeshauptstädte Dresden und Erfurt weit entfernt sind. Mit dem Zug dauert es je nach Verbindung drei bis vier Stunden von Dresden bis Schönberg, von Erfurt sind es zwischen zweieinhalb und dreieinhalb Stunden. Touristisch erschlossen ist die Region vergleichsweise wenig.

An jedem Haltepunkt beginnen Wanderwege

Rauchfuß zeigt durch das Zugfenster auf das glitzernde Wasser der früheren Trinkwassertalsperre Lössau. Um sie herum führen Wanderwege. Auch entlang der Wisentatalbahn kann gewandert werden, an jedem Haltepunkt starten Wanderwege. Radeln ist in der leicht hügeligen Landschaft mit wenig Straßenverkehr entspannt möglich. Und wer dem Zug zuwinkt, kann sich eines Pfiffs des Lokführers als Gruß zurück gewiss sein. Ein Ausflug ist auch ins nahe Pausa zur "Erdachs" - der Erdachse - möglich. Der Sage nach liegt Pausa am "Mittelpunkt der Erde", was auf einen Eintrag in der Stadtchronik zurückgeht. In Wahrheit liegt Pausa ungefähr im Mittelpunkt des Vogtlandes. Näheres können Interessierte bei der "Erdachsendeckelscharnierschmiernippelkommission" erfahren.

Verein hält Strecke mit Arbeitseinsätzen in Schuss

Bei der Einfahrt in Schleiz zeigt Rauchfuß, wo die einstige Kleinbahn nach Saalburg abzweigte. Auf deren Trasse verläuft heute ein Radweg. Eine solche Umwidmung der Strecke nach Schönberg will der Verein in jedem Fall verhindern. Für dieses Ziel halten die Mitglieder auch "ihre" Strecke selbst in Schuss, beseitigen bei Arbeitseinsätzen Unkraut im Gleis, schneiden Büsche und Äste neben den Schienen oder tauschen Schwellen aus, wenn das nötig wird.

In Schleiz-West hat der Triebwagen vor seiner Rückfahrt nach Schönberg eine gute Viertelstunde Aufenthalt. Die sechs Vereinsmitglieder, die an diesem Tag den Zug begleiten, ziehen eine erste Bilanz. Es war für den Verein ein guter Tag. Einheimische haben den Zug zur Einkaufsfahrt nach Schleiz und Richtung Plauen genutzt. Eisenbahnfans mit hörbar fränkischem Akzent sind mitgefahren und eine Radlerin aus Marktredwitz ging auf Tagestour durchs Vogtland. Mehrere Familien mit Kindern stiegen ein sowie ein Ehepaar, das sich während der gemütlichen Zugfahrt einen Sekt gegönnt hat. "Wir fahren einfach mal nach Schleiz und gleich wieder zurück", berichteten sie. Bei allen Fahrten bietet der Verein ein kleines Catering an.

Viel deutsch-deutsche Geschichte im Vogtland

Wieder in Schönberg angekommen, wartet der betagte "Uerdinger"-Schienenbus vor seiner allerletzten Fahrt des Tages nach Schleiz wie immer auf den Anschluss aus Hof sowie aus Leipzig über Gera. Schließlich wird der Tagesausflügler aus Plauen von den Wisentatalbahnern noch zurück erwartet.

Derweil schwelge ich noch einmal in Erinnerungen an meine Kindheit. Die Region dort irgendwo ganz am Ende der drei deutschen Freistaaten atmet viel Geschichte - auch jüngere: War doch das Sperrgebiet der einstigen innerdeutschen Grenze ganz nah. Am Bahnsteig in Schönberg denke ich zwangsläufig daran, wie ich als Steppke sehnsuchtsvoll in Zwickau oder Reichenbach den Interzonenzügen nach München und Stuttgart hinterhergeschaut hatte, die nur bis "Plauen/Vogtland oberer Bahnhof für den Binnenverkehr freigegeben" waren. Die blecherne Stimme aus den Lautsprechern auf den Bahnsteigen, die das mit Nachdruck stets verkündete, ist mir noch immer im Ohr. Als diese damals internationalen Reisezüge durch Schönberg rauschten, durften nur noch Fahrgäste in den Abteilen sitzen, die in den Westen reisten - und Transportpolizisten. Gutenfürst - der damalige Grenzbahnhof - ist ganze 16 Streckenkilometer auf der Schiene entfernt.

Fazit

Ein Ausflug zur und mit der Wisentatalbahn erdet. Die gemütliche Fahrt im historischen Triebwagen ist nicht nur für Eisenbahnfans ein Erlebnis. Vor allem Kids dürften ihren Spaß haben, wenn sie direkt neben dem Lokführer stehen oder sitzen dürfen. Die Vereinsmitglieder beantworten gerne alle Fragen rund um die Region, zur Strecke und zu den Triebwagen. Es beeindruckt, wie es einem Verein gelungen ist, die Stilllegung einer Bahnstrecke zu verhindern und touristischen Verkehr zu organisieren. Wer gerne ganz in Ruhe wandert oder radelt, der kommt in dieser abgelegenen Ecke des Vogtlands sicher auf seine Kosten. Wer jedoch Trubel braucht, ist falsch auf der Wisentatalbahn. Ein Spaziergang durch die Kleinstädte Schleiz und Mühltroff (heute Pausa-Mühltroff) gibt gute Einblicke in die Geschichte. Allerdings ist die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln für alle recht beschwerlich, die nicht bereits im Vogtland starten. Mit dem Auto oder Motorrad ist das auch von weiter her kein Problem.

Adresse und Anreise

  • Adresse: Bahnhof Schönberg/Vogtland und Bahnhof Schleiz-West
  • Anreise mit der Bahn: Schönberg im Vogtland ist mit der Erfurter Bahn im Zweistundentakt aus Richtung Leipzig - Gera und aus Hof zu erreichen. Schönberg ist ein Bedarfshalt, Haltewunschtaste nicht vergessen! Aus Richtung Dresden muss meist in Plauen und in Mehltheuer umgestiegen werden. Achtung: Es gibt auch Regionalexpress-Verbindungen aus Richtung Dresden, die nicht in Schönberg halten. Dann muss in Hof umgestiegen und mit der Erfurter Bahn zurückgefahren werden.
  • Anreise mit dem Pkw/Motorrad: über die A72 (Plauen-Ost/Plauen-West) oder die A9 (Schleiz)
  • Parkmöglichkeiten an den Bahnhöfen Schleiz und Schönberg sind kostenlos vorhanden

Fahrtage

In diesem Jahr fährt die Wisentatalbahn noch am 6. und 20. August, 3. und 17. September, 1. und 15. Oktober, 12. und 26. November und 26. Dezember. Die Triebwagen können auch für Familien-, Vereins- oder Firmenfeste gemietet werden.

Kosten

  • Die Hin- und Rückfahrt über die gesamte Strecke kostet 13 Euro pro Person, Kinder zwischen sieben und 14 Jahren zahlen die Hälfte.
  • Fahrräder und Hunde kosten einen Euro Aufpreis.
  • Für kürzere Strecken gelten reduzierte Fahrpreise.

Geeignet für

  • Familien mit nicht zu kleinen Kindern
  • Gruppen
  • Eisenbahnfans, Naturfreunde, Aktivurlauber

Barrierefreiheit

  • Die historischen Triebwagen sind nicht barrierfrei.
  • Die Wisentatalbahner helfen Fahrgästen mit Fahrrädern oder Kinderwagen beim Ein- und Aussteigen.

Verpflegung

  • Es gibt nur wenige Gaststätten, besser vorher nach den Öffnungszeiten fragen und zum Wandern oder Radeln selbst Vesper einpacken.
  • Einen kleinen Imbiss und Getränke bietet der Wisentatalverein zu fairen Preisen während der Zugfahrt an.

Daran sollte man denken

  • Die Wege zur Wisentatalbahn sind für viele Sachsen und Thüringer weit.
  • Es lohnt sich, über ein Wochenende im Vogtland oder in Ostthüringen nachzudenken und sich eine Übernachtung in Plauen, in der Kurbädern oder rund um die Bleilochtalsperre zu gönnen.
  • Das Klima in der Region gilt als rau. Besser auch im Sommer eine Windjacke in den Rucksack packen.
  • Wer mit größerer Gruppe anreist, sollte sich beim Verein anmelden. Dann kann ein zusätzlicher Triebwagen angehängt werden.

Wenn man schon mal da ist ...

  • ... einen Abstecher zum deutsch-deutschen Grenzlandmuseum Mödlareuth einplanen. Der Ort ist auch als "Little Berlin" bekannt. Das Dorf auf halber Strecke zwischen München und Berlin war während der deutschen Teilung durch eine Mauer getrennt.

Bloß nicht ...

  • ... auf Anschlüsse der planmäßigen Züge bei der Anreise verlassen. Am Testtag wäre ich für zwei Stunden in Mehltheuer gestrandet. Die Wisentalbahn aber wartet in Schönberg immer auf die Erfurter Bahn aus Hof und Leipzig.

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