Ein Arztkittel hängt am Bügel, am Garderobenhaken, mit Stethoskop.
Arzt oder Ärztin dringend gesucht: In vielen ländlichen Regionen Sachsens ist die Zukunft von Hausarztpraxen ungewiss. Bildrechte: IMAGO / Jochen Tack

Medizinische Versorgung Landarzt im Erzgebirge: "Das wird eine Katastrophe"

18. Dezember 2022, 16:35 Uhr

Viele Menschen in Sachsen finden keinen Hausarzt mehr. Besonders groß ist das Problem auf dem Land. Einige Gegenden im Freistaat sind bereits unterversorgt, besonders in Ost- und Südwestsachsen. Und die Lage wird sich schon bald drastisch verschärfen. Doch ein Bürgermeister im Erzgebirge gibt Hoffnung.

Ein paar Jahre will Rainer Lohmann in seiner Praxis in Callenberg im Landkreis Zwickau noch machen. Dann ist für den heute 64-Jährigen Schluss – und seine Patienten stünden ohne Hausarzt da.

Doch sie haben Glück: Sohn Christoph übernimmt die Praxis. Er allein wird es allerdings nicht schaffen, alle Patienten weiter zu behandeln, die er und sein Vater aktuell noch gemeinsam versorgen. Schon jetzt ist es ein Kraftakt. "Wenn mein Vater aufhört, dann kommt eine riesengroße Welle", sagt der 36-Jährige. Schon jetzt seien sie die letzte Praxis im Umkreis, die noch Patienten aufnehme, so Lohmann. Wenn sein Vater aufhört, müsse er Hunderte Patienten vor die Tür setzen.

Landarzt Lohmann: "Es wird eine Katastrophe werden"

Erschwerend hinzu kommt, dass ein Hausarzt im Nachbarort nächstes Jahr in Rente geht. Einen Nachfolger für seine Praxis hat er noch nicht gefunden. Für Rainer Lohmann eine schier unlösbare Aufgabe: "Das würde für uns bedeuten, dass wir sicherlich einen großen Teil der Patienten übernehmen sollen, was wir aber nicht können. Das ist ökonomisch und zeitlich gar nicht möglich, weil wir schon sehr viele Patienten hier haben."

Seit Jahren ist der Landärztemangel bekannt. Doch die Lage scheint sich kaum zu verbessern, ganz im Gegenteil. Ein Drittel der Hausärzte im Freistaat ist über 60 Jahre alt und steht damit kurz vor der Rente. Nachfolger für ihre Praxen suchen sie oft vergeblich.

Dramatische Versorgungslücken könnten folgen, die Patienten wären die Leidtragenden. "Sehr viele auf dem Dorf werden auf der Strecke bleiben, werden keine Hausbesuche mehr bekommen, werden flehen, dass irgendjemand mal hinkommt. Es wird eine Katastrophe werden", sagt Landarzt Rainer Lohmann.

Kassenärztliche Vereinigung: Kaum Verbesserung trotz Maßnahmen

Dabei gibt es längst Förderprogramme für Ärzte, die sich im ländlichen Raum niederlassen wollen. Zuschüsse von bis zu 100.000 Euro etwa, extra Studienplätze für zukünftige Landärzte im In- und Ausland sowie eine neue medizinische Fakultät in Chemnitz. Doch all das scheint nicht die gewünschte Wirkung zu erzielen, beklagt auch der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen (KVS), Klaus Heckemann. Die Maßnahmen gäben zwar eine "gewisse Hoffnung", das Problem sei aber "nicht in ein paar Jahren behoben". "Wir müssen ehrlicherweise sagen: Wenn es sich nicht verschärft zum Status Quo, dann sind wir froh", so Heckemann.

Klaus Heckemann
Klaus Heckemann ist der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen. Bildrechte: Kassenärztliche Vereinigung Sachsen

Landleben für junge Ärzte oft unattraktiv

Einen Hoffnungsschimmer gebe es dennoch, sagt der KVS-Vorsitzende: Das Interesse am Hausarztberuf habe in den letzten Jahren unter Studierenden zugenommen. Doch viele Mediziner bleiben nach dem Studium lieber in den großen Städten. Landarzt Rainer Lohmann glaubt deshalb, dass Sohn Christoph es schwer haben wird, in Zukunft einen Praxispartner oder eine Praxispartnerin nach Callenberg zu locken. "Was kann er denn bieten? Er kann einen Arbeitsplatz bieten. Aber den kriegt ein Arzt überall, ob das jetzt in Chemnitz ist oder in Dresden oder sonst wo. Aber er kann ihm hier nichts drumherum bieten", so Lohmann.

Infrastruktur, Schulen und kulturelles Angebot fehlen vielerorts im ländlichen Raum. Auch geeignete Stellen für die Partner der Mediziner finden sich oft nicht. Denn die sind meist ebenfalls gut ausgebildet und haben in den Städten bessere Jobaussichten.

Landarzt Rainer Lohmann fordert deshalb nicht nur Reformen aus Berlin, um Hausärzte etwa von Bürokratie zu entlasten und damit wieder mehr junge Mediziner für den Beruf zu begeistern. Er sieht auch die Bürgermeister vor Ort in der Pflicht, ihre Kommunen für junge Ärzte attraktiver zu machen.

Niederdorf kann Hausärztin für sich gewinnen

Stephan Weinrich ist genau das gelungen. Der Bürgermeister von Niederdorf im Erzgebirge hat dafür weder Kosten noch Mühen gescheut. 600.000 Euro hat seine Gemeinde investiert, um eine Hausärztin zu gewinnen. Mit dem Geld wird unter anderem das Gemeindeamt umgebaut, wo im Oktober kommenden Jahres die Praxis eröffnen soll. Weinrich hat dafür extra sein Büro geräumt und ist in den Keller des Gebäudes umgezogen. "Ich hatte es erst als unmöglich abgetan, aber habe mir dann trotzdem gesagt, ich probiere es und mir überlegt: Was können wir einem Arzt bieten", sagt Weinrich in den hallenden Räumen der Baustelle.  

Er ließ einen Imagefilm über seine Gemeinde drehen – aus Sicht eines zukünftigen Arztes. Er warb für sein Dorf bei der Kassenärztlichen Vereinigung und an Universitäten, schrieb wahllos Ärzte an. Und es klappte. "Auf einen Brief gab es eine Reaktion. Das war unser Glück", sagt Weinrich. "Wäre ich auf dem Standpunkt geblieben, dass es keinen Sinn macht, einen Arzt zu suchen, hätten wir jetzt keinen."

Niederdorf: Ein glücklicher Einzelfall?

Die junge Ärztin hat den Vertrag bereits unterschrieben und verpflichtet sich, für 20 Jahre in Niederdorf zu bleiben – natürlich mit der Option auf Verlängerung. Stephan Weinrich betont allerdings, dass die Niederdorfer Erfolgsgeschichte nicht pauschal auf andere Gemeinden im Freistaat übertragbar sei. "Niederdorf ist gut an die Autobahn und das Schienennetz nach Chemnitz angeschlossen", sagt Weinrich. Auch habe die Gemeinde dank des angrenzenden Gewerbegebiets ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung gehabt, um der Ärztin die bestmöglichen Bedingungen bieten zu können.

Und dennoch: Der Fall Niederdorf zeigt, dass es auch in diesen Zeiten möglich ist, Ärzte aufs Land zu holen. Auch wenn neben Eigeninitiative eben noch immer eine gehörige Portion Glück dazugehört.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalreport aus dem Studio Chemnitz | 13. Dezember 2022 | 16:30 Uhr

17 Kommentare

GEWY am 19.12.2022

@Tom0815 ein vielschichtiges Problem. Die demographische Entwicklung ist ja eine ganz andere wie vor Jahrzehnten. Die hat man verpasst. Zur Zeit studieren in Deutschland ca. 105T Medizin, aber ca. 241T BWL. Ein Studienplatz Medizin kostet dem Land ca. 35T€/Jahr ein BWL Platz aber nur ca. 4€/Jahr. Man kann also für wenig Geld viel BWL "ausbilden", d.h. viel Studenten unterbringen. Aber eben am Bedarf vorbei. Bei der heutigen Mobilität ist ein Landarzt eigentlich nicht mehr jwd., die Gründe liege auch mit in der gezielten Herabwürdigung ländlichen Lebens fern der Speckgürtel im Allgemeinen.(siehe hinterwäldlerisches Sachsen, Fremde, fremdenfeindlich im "Hinterwald" wo es gar keine Fremden gibt), Genau diese Zeitgenossen wie @ Robert Paulson die die Gesellschaft spalten.

Tom0815 am 19.12.2022

@hansfriederleistner
Geht es noch um das Problem der zunehmend schlechten ärztlichen Versorgung auf dem Land? Sie kennen das Problem ja genau, sind bei der Erklärung oder Lösungsvorschlägen (da bin ich mir nicht ganz sicher) dann aber etwas abgeschweift.

Aber nochmal. Wie gesagt scheint die zunehmend schlechtere ärztliche Versorgung auf dem Land nicht daran zu liegen, dass es insgesamt zu wenige Ärzte gibt ^^, sondern eher an den im Artikel benannten Ursachen und vielleicht (oder ganz sicher wenn das von mir benannte Beispiel meines Freundes aus Brandenburg als Sicherheit ausreicht) auch an in den Kommentaren benannten zusätzlichen Gründen und sicher noch weiteren.

Frank 1 am 19.12.2022

Herr Paulsen, Ihr "Beitrag" ist Ausdruck von absoluter geistiger Armseligkeit. Zeigt er doch, dass Sie sich den MDR-Beitrag nicht wirklich durchgelesen haben, bzw. nicht verstanden haben was Sie gelesen haben. Sie hetzen blind und undifferenziert gegen Sachsen und übersehen in Ihrem Belastungseifer, dieses Problem haben wir generell in Deutschland. Es ist kein typisch sächsisches Problem.
Ein Anliegen hebe ich an den MDR. Aus zuverlässiger Quelle (SLÄK) ist mir bekannt, dass es in Sachsen eine nicht unerhebliche Anzahl arbeitsloser Mediziner gibt. Also nicht arbeitssuchend sondern arbeitslos. Es wäre doch eine Recherche wert zu hinterfragen woran das liegt. Es fehlen Ärzte, gleichzeitig sind Ärzte arbeitslos.

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