
Veteranen Unsichtbare Wunden: Christore Viehweger aus Delitzsch hilft traumatisierten Soldaten
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15. April 2025, 12:17 Uhr
Raketeneinschläge, Schwerverletzte, Kameraden, die abends nicht mehr am Abendbrottisch sitzen. Das erleben Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten bei Einsätzen in Krisengebieten. Nach Hause kehren sie häufig mit äußeren und inneren Verletzungen zurück. Ihre Familien leiden meist mit, auch weil Hilfe von bürokratischen Verfahren abhängt. Christore und Jobst Viehweger aus Delitzsch beraten traumatisierte Kriegsrückkehrer - Christore war selbst fünf Mal in Afghanistan im Einsatz.
- Bei der Bundeswehr sind Soldatinnen und Soldaten durch Einsätze in Krisengebieten oft traumatisiert.
- Betroffene fühlen sich häufig zu wenig unterstützt, vor allem wenn sie nicht mehr im Dienst sind.
- Wie eine Psychotherapeutin berichtet, verlieren Erkrankte häufig ihre sozialen Kontakte.
Ein älteres Ehepaar sitzt auf einer Bank. Hinter ihnen schwimmen Enten auf einem Teich, umgeben von Wald. Christore und Jobst Viehweger aus Delitzsch gehören nicht zu den Wanderern, die den schönen Apriltag für einen Ausflug nutzen. In Waldenburg bei Zwickau treffen sie sich unter anderem mit anderen Einsatzveteranen der Bundeswehr und deren Familien. Christore nahm an Auslandseinsätzen der Bundeswehr teil, darunter fünf in Afghanistan. Die Erlebnisse haben sie krank gemacht.
Traumatische Afghanistan-Einsätze
Als Christore Viehweger im Gespräch mit MDR SACHSEN von Afghanistan erzählt, legt Ehemann Jobst einen Arm um sie. Denn noch immer verfolgen sie die Erlebnisse in Krisenregionen. Die heute 70-Jährige arbeitete erst für die NVA, dann für die Bundeswehr in der Verwaltung. Mit 50 ging sie erstmals nach Afghanistan. Ihre Kinder seien groß gewesen. "Ich wollte helfen", sagt sie. Am Hindukusch reiste sie beruflich herum, begleitete auch eine Bundeswehrärztin bei humanitären Einsätzen und kümmerte sich um Waisenkinder.
Die große Armut habe sie bewegt. "Man nannte mich 'Mutter Theresa von Kundus'". Gleichzeitig war die Gefahr allgegenwärtig. Es gab Gefechte und Angriffe der Taliban auf Bundeswehrcamps.
"Wie ein kleines Erdbeben" habe es sich der Einschlag einer Rakete in ihrer Nähe in einem Feldlager angefühlt, erinnert sie sich. "Da gehen Sie in die Knie." Mit anderen Kameraden habe man ein nettes Gespräch geführt und wenig später erfahren, dass sie nicht mehr leben. "Das war schlimm, die eigenen Leute im Gefecht und Sie können nichts machen." Ihr Ehemann nickt. Seine Frau habe das öfter erlebt. "So etwas verändert den Menschen im Kopf", sagt er.
Das war schlimm, die eigenen Leute im Gefecht und Sie können nichts machen.

In den Amtsstuben fehlt die Empathie
60 tote Bundeswehrsoldaten gab es am Hindukusch. "Es gab kaum psychologische Unterstützung", so die Sächsin leise. Mit den Kriegsbildern aus der Ukraine sei die Angst wieder hochgekommen. Einen erneuten Klinikaufenthalt habe ein Bundesamt abgelehnt. "Ein Parlament hat uns dahin geschickt, übernimmt aber nicht die Folgen dieser Mandate. Und ich muss mich rechtfertigen, dass es mir schlecht geht."
Christores Mann, ein früherer NVA- und Bundeswehr-Offizier, kritisierte die seiner Ansicht nach fehlende Empathie in den Amtsstuben. Er warnte vor möglichen Folgen wie Suiziden - 26 habe es im letzten Jahr gegeben - und vor Gewalttaten von Soldaten, die sich im Nachhinein als Folgen einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) herausstellen würden.
Kampf zurück ins Leben
Auch David Hallbauer musste sich abseits der Schlachtfelder sein normales Leben erkämpfen. Als Gebirgsjäger war der Sachse früher in Schneeberg stationiert. Von einem Auslandseinsatz im Kosovo kehrte der heute 48-Jährige Stabsfeldwebel bei der Bundeswehr in Frankenberg traumatisiert zurück. Das habe massive Einschränkungen im Alltag bedeutet, sagt der Familienvater aus Waldenburg MDR SACHSEN. "Man kann nicht Einkaufen gehen, nicht Bus fahren, man schläft schlecht."
Man kann nicht Einkaufen gehen, nicht Bus fahren, man schläft schlecht und fühlt sich schlapp im Alltag.
Für Hallbauers Ehefrau Franziska ist es mittlerweile zur Normalität geworden, ihrem Mann zu helfen oder Dinge zu übernehmen, wenn er sich nicht gut fühlt. "Dann unternehme ich auch etwas zu dritt mit den Kindern, ohne ihn."
Dunkelziffer bei Zahl der Betroffenen
Christore Viehweger und David Hallbauer sind keine Einzelschicksale. Anna Hentsch zufolge kann die Anzahl der Betroffenen nur geschätzt werden. "Es gibt eine hohe Dunkelziffer", so die frühere OP-Schwester, die für den Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr im Kosovo und in Afghanistan diente. Als Sozialarbeiterin organisiert sie nun die Hilfsangebote für Traumatisierte im Bund Deutscher Einsatzveteranen (BDV e.V.). "Der Bedarf ist immens hoch", stellt sie fest.
Der Bedarf ist immens hoch.
Das ist der Bund Deutscher Einsatzveteranen e.V. (BDV)
Der im Jahr 2010 gegründete zivile Verein arbeitet außerhalb der Bundeswehr, die ihr Veteranenbüro in Berlin unterhält. Die überwiegend Ehrenamtlichen des BDV begleiten 250 bis 300 Familien im Alltag nach dem Motto "Du bist nicht allein". Im Fokus stehen ehemalige Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die bei Auslandseinsätzen gesundheitlich geschädigt wurden.
Öffentliche Auftritte gibt es bei dem 2024 vom Bundestag eingeführten Nationalen Veteranentag am 15. Juni. Mit dem Eishockeyverein Eispiraten Crimmitschau verbindet den BDV eine Sportkooperation.
Quelle: BDV e.V.
Psychologin bringt Traumatisierte zurück ins soziale Netz
Die Neuropsychologin und Psychotherapeutin Catrin Schöne behandelt seit mehreren Jahren traumatisierte Soldaten. Als "die Frau, die mir das Leben gerettet hat", stellt sie ein Veteran vor. "Ohne militärische Kenntnis kann man kaum Soldaten behandeln", ist eine ihrer Erfahrungen. Der erste Schritt sei es, die Soldaten wieder an soziale Netzwerke anzubinden. Viele Menschen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung und deren Begleiterscheinungen wie etwa Depressionen hätten sich zurückgezogen.
Ohne militärische Kenntnis kann man kaum Soldaten behandeln.
Schöne zufolge gibt es für traumatisierte Soldatinnen und Soldaten seit Anfang 2025 mehr finanzielle Hilfe aufgrund des neuen Soldatenentschädigungsgesetzes. Doch sei die medizinische Anerkennung von gesundheitlichen Schäden für Betroffene häufig ein langer und belastender Prozess. Sie berate Berufskollegen im Umgang damit: "Kein Soldat hat es verdient, auf seinen posttraumatischen Belastungen ein Leben lang sitzen zu bleiben."
Laut Hallbauer ist das vielfach ein langer Weg: "Ich kenne niemanden, der wirklich wieder gesund geworden ist." Die meisten Betroffenen leben demnach mit den einsatzbedingten Traumen und lernen in der Therapie, wie man damit lebt. "Es geht bergauf und bergab."
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 05. April 2025 | 19:00 Uhr
part vor 7 Tagen
Auch wenn unsere Freiheit nicht am Hindukusch verteidigt werden musste, weltweit und in allen Armeen der Welt finden sich Veteranen, die unter dem geleisteten Kriegseinsatz leiden. Zumeist müssen sie um ihre Rehabilitierung kämpfen und um die Anerkennung von auch physischen Verletzungen. Die Zeiten sind heute vorbei, als Panzerschokolade ihr psychische Wirkung entfaltete. Heutige Soldaten gehen zumeist ohne den Einsatz von Rauschmitteln oder Politkommissaren in den Einsatz, die Realität des Kriegsgeschehens erleben sie hautnah. Der Einfluss dieser Erlebnisse auf die Gesellschaft und Familie wird nahezu immer unterschätzt.
Georg11 vor 7 Tagen
Der Artikel erinnert an "Draußen vor der Tür, ein Drama von Wolfgang Borchert. Zitat (Wikipedia): "Im Zentrum der Handlung steht der deutsche Kriegsheimkehrer Beckmann, dem es nach dreijähriger Kriegsgefangenschaft nicht gelingt, sich wieder ins Zivilleben einzugliedern. Während er noch durch die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs geprägt ist, haben seine Mitmenschen die Vergangenheit längst verdrängt." Paul hardcaste hat das Thema in die Popkultur mit seinem Lied "19" eingeführt: "Laut einer Studie der Veteranenbehörde litt die Hälfte der Vietnamkriegsveteranen an dem, was Psychiater Posttraumatische Belastungsstörung nennen, Viele Veteranen klagen über Entfremdung, Wut oder Schuldgefühle Manche erliegen Selbstmordgedanken Acht bis zehn Jahre nach der Heimkehr kämpfen fast achthunderttausend Mann immer noch im Vietnamkrieg." Im Ukrainekrieg werden wir auch keine gerechte Lösung durch moralische Selbstdarstellung/-Selbstüberhöhung erreichen, sondern mit diplomatischem Geschick.
Georg11 vor 7 Tagen
Die o.g. Aspekte sind in unserer Debatte zur Ukraine-Politik vollständig abwesend. Im Fachblatt "responsible statecraft" ist bspw. zu lesen (Right versus right in Ukraine, George Beebe):"Der deutsche Theoretiker Max Weber stellte einer "Ethik der Überzeugung", die gegen jedes Unrecht kämpft, eine "Ethik der Verantwortung" gegenüber, die dazu aufruft, die möglichen Ergebnisse solcher Kämpfe bei der Abwägung moralischer Entscheidungen zu berücksichtigen....Durch die Brille der Überzeugung betrachtet, scheint die richtige Antwort auf Putins Invasion klar zu sein: Man gibt sich nicht dem Bösen hin; Man kämpft und besiegt es. Betrachtet man es durch die Brille der Ergebnisse, ist die Begründung eines solchen kompromisslosen Ansatzes weit weniger sicher." Mehr als 1 Million Tote und Verletzte aber nur Häme, weil Trumps ehrliche Absichten, den hunderttausendfachen Traumatisierungen ein Ende zu setzen.