Offene Begegnungsorte und TheaterprojekteWie Jugendliche in Zwickau für Toleranz kämpfen
Nachrichten aus Zwickau in der überregionalen Presse sind meist Negativschlagzeilen. Oft geht es dabei um rechte Übergriffe und das Erbe des NSU. Spürbar ist dieses Umfeld auch für Jugendliche. Sie sehnen sich nach Austausch und Engagement in offenen Begegnungsorten. Ein Besuch im sogenannten Projekt 46, im Alten Gasometer und im Theater Plauen-Zwickau.
- Jugendliche in Zwickau schätzen offene Begegnungsorte wie das "Projekt 46".
- Im soziokulturellen Zentrum Alter Gasometer werden Jugendliche und ihre Ideen ernstgenommen.
- Gehör verschaffen sich Jugendliche auch bei Projekten des Theaters Plauen-Zwickau, aktuell in einer Performance über Queerness.
Ein guter Ort, um sich in Zwickau zu treffen – das ist das "Projekt 46". Zumindest findet das Vicky Müller. Die 19-jährige Abiturientin ist oft hier, seit die Zwickauerinnen und Zwickauer das ehemalige Ladenlokal in der Fußgängerzone in der Innenstadt Anfang 2023 als selbstorganisierten, offenen Treffpunkt für sich vereinnahmt haben.
Sie komme zu Partys, Konzerten oder zum Quatschen hierher, setze aber auch eigene Veranstaltungsideen um, sagt Vicky Müller. "Wir hatten schon Podiumsdiskussionen oder Filmvorstellungen hier, mit verschiedenen Menschen, Politiker*innen", erzählt sie und ergänzt: "Das ist echt schön, wenn man Gast sein kann, aber auch was machen kann."
Gemütliche Couches stehen in dem großen Raum, ein Klavier, auch eine Spielecke gibt es. Hier sind alle willkommen von jung bis alt. Solch einen Treffpunkt hätte sich Vicky schon viel früher gewünscht – ein Ort, wo sie auf unterschiedliche Menschen trifft und Zuspruch für das bekommt, wofür sich die junge Frau engagiert, wie Fridays for Future und den CSD. In Zwickau hat man es nicht leicht, wenn man, wie Vicky von sich sagt, alternativ und aktivistisch unterwegs ist.
NSU-Geschichte und Rechtsextremismus
Die Stadt habe die NSU-Geschichte, und viele damalige Unterstützer wohnten noch hier, erzählt die junge Frau. "Das ist ziemlich traurig und deswegen ist man vor allem als Mensch, der sich eher progressiver einordnet, in Zwickau oft das Opfer und wird auf der Straße verfolgt oder bedroht." Vicky Müller spricht von "man", meint damit aber auch sich selbst. Im letzten Jahr ist sie von mehreren Rechtsextremen verfolgt worden. Danach ist sie kaum noch aus dem Haus gegangen und hat sich unauffällig gekleidet, T-Shirts mit politischen Slogans im Schrank gelassen.
Als Mensch, der sich eher progressiver einordnet, ist man in Zwickau oft das Opfer und wird auf der Straße verfolgt oder bedroht.
Vicky Müller, Jugendliche aus Zwickau
Das "Projekt 46" sei da ein guter Ansprechpartner, sagt Vicky Müller. Einige der Engagierten dort teilen ihre Erfahrung. Besonders die Älteren "können Rückhalt geben, die machen Mut, und dann kriegt man irgendwann wieder das Selbstbewusstsein, rausgehen zu können, ohne Angst", beschreibt sie den Zusammenhalt im Begegnungsort.
Viele Jugendliche in Zwickau fühlen sich nicht gesehen
Demnächst beginnt Vicky ein Freiwilliges Soziales Jahr im soziokulturellen Zentrum Alter Gasometer. Dort arbeitet Jörg Banitz als Sozialarbeiter. Die Kinder und Jugendlichen bei ihm im Jugendtreff erlebt Banitz als eher unpolitisch: "Das ist das, was Jugendliche sagen. Sie machen ihren Alltag. Aber daraus resultiert dann auch: Wir werden eh nicht gesehen, warum soll ich mich dafür interessieren."
Sie machen ihren Alltag. Aber daraus resultiert dann auch: Wir werden eh nicht gesehen, warum soll ich mich dafür interessieren.
Sozialarbeiter Jörg Banitz über Jugendliche in Zwickau
Jörg Banitz und seine Mitstreiterinnen setzen genau da an, haben inzwischen legale Graffitiflächen organisiert, ein wichtiges Angebot für die Jugendlichen. Gerade sind sie dabei, so genannte Wohlfühlorte zu sammeln – aber eben auch die No-Go-Areas, die in Befragungen der Mädchen und Jungen benannt wurden. Das schließt auch Treffpunkte von rechten Jugendlichen ein, die laut Banitz wieder verstärkt unterwegs sind.
Theater Plauen-Zwickau engagiert sich für Toleranz
Wo Jugendliche mit ihren Themen ebenfalls Gehör finden, sind die theaterpädagogischen Projekte des Theaters Plauen-Zwickau. Aktuell proben sie eine Performance, die demnächst vor dem Rathaus aufgeführt werden soll. Es geht um Queerness.
An den Texten haben die beteiligten Jugendlichen, alle zwischen 15 und 22 Jahren alt, mitgeschrieben und eigene Erfahrungen darin verarbeitet. Einer von ihnen ist Perez Lang. Als Tänzer hat er bereits diskriminierende Kommentare erlebt: "Wenn du dann auf die Bühne kommst und in der ersten Reihe die Jugendweihlinge, da kommt häufig ein Lachen oder ein Spruch", erzählt Perez. Das sei verletzend, aber er habe gelernt damit umzugehen. "Aber ich finde nicht, dass das jeder sollte, weil irgendwann ist es zu viel", betont er.
Daher ist es ihm, wie auch den Jugendlichen in der Theatergruppe wichtig, damit immer wieder und jetzt speziell mit dieser Performance an die Öffentlichkeit zu gehen. Perez Lang bringt die Aussage dahinter auf den Punkt: "Das bedeutet Toleranz und das heißt Aushalten. Bloß weil ich das mache, heißt das nicht, dass du das gut finden musst, aber du kannst mich wenigstens in Ruhe lassen." Und damit wäre ja schon viel gewonnen.
Weitere Informationen
Theaterwoche der Toleranz
26. August bis 1. September 2024
am Theater Plauen-Zwickau
Gewandhaus Zwickau
Hauptmarkt
08056 Zwickau
Konzert- und Ballhaus "Neue Welt"
Leipziger Straße 182
08058 Zwickau
Quelle: MDR KULTUR (Grit Krause)
Redaktionelle Bearbeitung: td, hro
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 23. August 2024 | 13:10 Uhr