Kinder beim Schulsport
Kinder bewegen im Schulsport mit Spaß einen Gymnastikball. An Grundschulen fielen in Sachsen im Pandemiejahr 2020 in nur drei Monaten mehr als 7.000 Sportstunden aus. Nur eine Sportstunde wöchentlich sieht der Grundschullehrplan vor. Bildrechte: imago/Westend61

Schule in der Pandemie Kinder nicht fit - Tausende Sportstunden an Sachsens Schulen ausgefallen

06. Juni 2022, 12:00 Uhr

"Mach' mal einen Purzelbaum!" Nach monatelangen Lockdowns leiden viele Schulkinder unter Übergewicht, Haltungsschwächen und motorischen Mängeln. Schulärzte hatten früh davor gewarnt. Auch ohne Lockdowns mussten Kinder auf Bewegung verzichten. Wie eine Kleine Anfrage der Landtags-Linken ans Licht brachte, fielen zwischen den Corona-Wellen in allen Schultypen Tausende Sportunterrichts-Stunden aus. Nicht nur der Lehrermangel hat Schuld daran, sondern auch streikbedingte Ausfälle oder Fortbildungen.

Nach den monatelangen Lockdowns scheitern viele sächsische Schulkinder an einfachen Turnübungen. Ursache ist neben der Corona-Pandemie der massive Ausfall von Sportunterricht an Sachsens Schulen, der nicht coronabedingt ist. Das hat eine Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Fraktion im Sächsischen Landtag ergeben.

Landtagsanfrage zeigt massiven Sportausfall außerhalb Pandemiezeit

Marika Tändler-Walenta (Linke) brachte die neuen Zahlen ans Tageslicht. Demnach fielen auch während der Öffnungszeiten der Schulen im Coronajahr 2020 ingesamt fast 22.000 Sportunterrichts-Stunden aus - und das in nur drei Monaten. Fand doch einmal Sport statt, sprang häufig eine fachfremde Lehrkraft ein. Betroffen von den Ausfällen waren alle Schultypen.

Ein Mädchen sitzt vor einem Laptop
Wegen geschlossener Schulen in der Corona-Zeit verbrachten Kinder viele Stunden vor dem Computer statt mit Bewegung (Symbolfoto). Bildrechte: imago images/Cavan Images

Ausfall von mehr als 7.000 Sportstunden an Grundschulen innerhalb von drei Monaten

Im Zeitraum von nur drei Monaten vom 1. September bis 30. November 2020 fielen sachsenweit an Grundschulen rund 7.150 Sportstunden aus. Die meisten davon waren außerplanmäßig gestrichen worden. Das heißt, bespielsweise durch erkrankte Lehrkräfte, Streik, Bauarbeiten oder verspätete Schulbusse. Planmäßiger Unterrichtsausfall entsteht aufgrund von Lehrermangel oder fehlenden Raumkapazitäten.

Bewegung ist ein Ausdruck von Lebensfreude und Grundlage des kindlichen Lernens.

Landesarbeitsstelle Schule-Jugendhilfe Sachsen Internetseite www.lernportal-sachsen-bewegung.de

Oberschulen waren Spitzenreiter bei Sportausfall

An der Spitze bei Grundschulen lag der Standort Dresden des Landesamtes für Schule und Bildung (Lasub) mit mehr als 1.800 Ausfallstunden. An Oberschulen fielen sachsenweit im gleichen Zeitraum 8.614 Sportstunden aus, die meisten am Standort Chemnitz mit mehr als 2.400-maligem Ausfall des Sportunterrichts. An letzter Position beim Sportausfall rangieren sächsische Gymnasien. Hier fielen insgesamt knapp 6.100 Sportstunden aus, die meisten davon am Lasub-Standort Dresden mit 1.727 Ausfällen. Dabei sind die coronabedingten Ausfälle nicht einmal eingerechnet, durch die Schulen komplett geschlossen blieben.

Schon vor Corona wurde Sportunterricht gekürzt

Kurz vor der Corona-Pandemie kürzte das sächsische Kultusministerium auch die Zahl von Sportunterrichtsstunden im Lehrplan ein. Demnach findet an Grundschulen laut Lasub-Stundentafel Sportunterricht in den Klassen 1 bis 3 mit drei Wochenstunden statt, in Klasse 4 noch mit zwei Wochenstunden. An Oberschulen und Gymnasien der Sekundarstufe I sieht der Lehrplan Sport mit drei Wochenstunden in den Klassenstufen 5 und 6 und von Klassenstufe 7 bis 10 mit zwei Wochenstunden vor.

SLV: Wenig Bewegung außerhalb der Schule

Der Sportlehrerverband forderte damals mit einer Petition die "durchgängige sportmotorische Ausbildung im Umfang von drei Wochenstunden von der Grundschule bis zu den weiterführenden Schulen". Damals konnte keiner die bevorstehenden Schulschließungen in der Corona-Pandemie erahnen. Laut sächsichem Sportlehrerverband (SLV) kommt dem Schulsport eine wichtige Rolle zu, denn: "Nur ein Drittel der Kinder bewegt sich außerhalb der Schule", so Verbandspräsident Peter Pattke. Nicht nur Kinderärzte, auch die Landesarbeitsstelle Schule-Jugendhilfe-Sachsen, die ein Lernportal für Sort und Spiel bereithält, betonen, dass sportliche Kinder besser in der Schule lernen.

Sportlehrerverband: Zahl der Ausfallstunden wahrscheinlich noch höher

Wie Verbandspräsident Pattke MDR SACHSEN sagte, lägen die Zahlen zu den Stundenausfällen "in der Praxis sicherlich viel höher als offiziell angegeben." Das liegt an den amtlich nicht berechneten Ausfallstunden in den coronabedingten Lockdown-Phasen. "Daher wird an jeder Schule, je nach Sachlage der Unterrichtsausfall verwaltet und keiner hat mehr einen Überblick", kritisiert Pattke.

Für das "Aufholprogramm nach Corona" sind im Sport oft weder die personellen noch sächlichen Ressourcen wie Sporthallen und Schwimmhallen vorhanden.

Peter Pattke Präsident Sportlehrerverband Sachsen

Der Verbandspräsident bezweifelt die Wirkung des vom Sächsischen Kultusministeriums gestarteten „Aufholprogrammes nach Corona“, das auch im Sportunterricht Ausfälle ausgleichen soll. Pattke: "Das scheitert an dem Grundproblem, dass dafür weder personelle noch sächliche Ressourcen wie Sporthallen und Schwimmhallen vorhanden sind."

Der sächsische Kultusminister Christian Piwarz (CDU) blieb bei seiner Antwort auf das Ergebnis der Linke-Anfrage, wie er den Ausfall von Sportunterricht verringern will, im Ungefähren. Er verwies auf den bestehenden Vertretungslehrerpool beim Lasub und betonte: "Oberstes Ziel ist die möglichst bedarfsgerechte Einstellung auch von Sportlehrkräften." Antworten für eine dauerhafte Lösung, wie Ausfälle im Sportunterricht wieder wettgemacht werden können, nannte er keine.

"Obstsalat" und "digitale Turnhalle" gegen pandemiebedingten Bewegungsmangel

Mit Bewegungsspielen wie "Obstsalat" in einer "digitalen Turnhalle" hat der SLV während der Lockdowns die Schülerinnen und Schüler mit Tipps im Netz versucht, fitzuhalten. Trotzdem bemängelt Peter Pattke, SLV-Präsident, in einem Gespräch im März 2021 mit dem Portal sportbuzzer.de: "Wenn man sich anschaut, wie viele Grundschüler heute noch einen Purzelbaum können, ist das wirklich verheerend."

Schülerumfrage: Anzahl der Sportmuffel rasant gestiegen

In diesem April veröffentlichte der SLV zudem auf seiner Internetseite die ernüchternde Facharbeit eines Leipziger Schülers zum Thema Corona und sportliche Aktivitäten. Der Elftklässler von der Werner-Heisenberg-Schule in Leipzig hatte dazu seine Mitschüler und Mitschülerinnen befragt. Im Ergebnis stieg die Zahl der Schüler und Schülerinnen, die sich selten oder gar nicht sportlich betätigten, während des Lockdowns auf das Zweieinhalbfache an. Ein ähnliches Ergebnis wäre an vielen Schulen zu verzeichnen.

Wenn man sich anschaut, wie viele Grundschüler heute noch einen Purzelbaum können, ist das wirklich verheerend.

Peter Pattke Präsident des Sportlehrerverbandes Sachsen

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Nachrichten | 06. Juni 2022 | 08:00 Uhr

5 Kommentare

THOMAS H am 07.06.2022

Reuter 4774: Das Kinder zu dick und unbeweglich sind, wird doch nicht zum ersten Mal festgestellt und da gab es keine politischen Einschränkungen. Ebenso schaue ich nicht missgünstig auf die Jüngeren, sondern würde mich freuen, wenn es die Spielplätze (mit Kletterturm, Sandkasten und Wippe) welche es bis zur Einverleibung, fast hinter oder vor jedem Wohnblock gab, noch da wären. Auch erinnere ich als noch jugendlicher Alter (56) immer wieder die noch ältere Generation daran, das sie auch mal Kinder waren und viele selbst Kinder hatten. Leider sehe ich aber viele Kinder, die lieber mit ihren mobilen Geräten vor der Haustür sitzen (hat wenigstens den Vorteil, das sie an der Luft sind), als das sie z. B. Ball spielen o. ä. tun.
Deshalb nochmals: Ich würde es begrüßen, wenn die heutigen Kinder, mehr von ihren Eltern dazu angehalten würden, sich draußen auszutoben, so wie ich es als Kind getan habe und das hat nichts mit Verklärung zu tun. Es war so.

Reuter4774 am 07.06.2022

Nein nicht die Digitalisierung sondern die Massnahmen der Regierung zugunsten alter Leute wie Ihnen. Die Kinder durften nirgendwo mitgenommen werden ( Pandemietreiber) und die Spielplätzen mit Absperrband geschlossen ( bewacht von den ansässigen Senioren mit Rolator um jedes Kind anzuzeigen was nur vorbei geht), Schule und Kita zu ( Seniorentagesstätten fröhlich geöffnet ohne Maske, wir haben 3 in der Nähe). Wenn man das schlechte Benehmen etlicher 60+ Mitbürger erlebt ( hat) kann die Kindheit garnicht so verklärt gewesen sein, die Sie darstellen wollen. Eine Generation die derart missgünstig auf alle Jüngeren schaut.

THOMAS H am 07.06.2022

Ja so ist das eben im Zeitalter der Digitalisierung. Lieber rechteckige Augen und hypernervös behandlungsbedürftig, als draußen rumzutoben. Das waren noch Zeiten, als wir Kinder gar nicht nach Hause wollten, weil es doch viel schöner war, durch die Landschaft zu stromern und sich den Wind um die Nase wehen zu lassen. Aber es haben auch die Eltern darauf geachtet, das wir Kinder, nicht den ganzen Tag in der Bude hocken, auch wenn sie manchmal geflucht haben, wenn sie z. B. im Winter nicht wussten, wie sie so schnell die Kleidung (Schuhe wurden mit Zeitungspapier ausgestopft) wieder trocken bekommen, wenn die Kinder am Vormittag draußen waren und nachmittags aber auch wieder raus wollten.
Drinnen bleiben mussten wir trotzdem nicht, da sich immer was zum anziehen gefunden hat.

Mehr aus Sachsen