Neuerscheinung Neues Buch: Christian Thielemann plaudert über Richard Strauss
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20. September 2024, 15:33 Uhr
Christian Thielemann gilt als weltweit führender Spezialist für Richard Strauss. In den vergangenen 14 Jahren hat er als Chef der Sächsischen Staatskapelle in Dresden neben Richard Wagner vor allem Strauss geehrt. Das macht er jedoch nicht nur am Pult, sondern auch in Buchform. Kurz nach Strauss' 75. Todestag ist nun Thielemanns Buch "Richard Strauss – ein Zeitgenosse" erschienen.
- Der Dirigent Christian Thielemann hat ein Buch über den Komponisten Richard Strauss veröffentlicht, mit dem er sich seit Jahrzehnten beschäftigt.
- Thielemann schreibt darin, wie er unter anderem in Dresden immer wieder Werke von Strauss dirigiert hat.
- Das Buch erinnert an ein lebendiges Gespräch und erzählt zahlreiche Anekdoten.
"Bei Strauss weiß ich, was ich bekomme", erklärt der Dirigent Christian Thielemann gleich im Vorwort zu seinem Buch "Richard Strauss – ein Zeitgenosse". "Eleganz und ein unverwechselbares deutsches Brio, schnell, grazil, virtuos. Die Wahrheit erschließt sich in seiner Musik erst auf den zweiten oder dritten Blick. Deshalb ist Strauss modern. Und deshalb ist er für mich bis heute ein Zeitgenosse. Ein Musiker, der uns lehrt, hinter die Kulissen zu blicken, zwischen den Zeilen zu lesen und zu hören – und der uns eine Menge zu sagen hat, gerade weil er so von dieser Welt ist."
Thielemanns Verbundenheit mit Strauss
Neben Wagner, Bruckner und Beethoven ist Richard Strauss der Komponist, der Christian Thielemann am meisten sagt, mit dem er sich seit seiner Jugend beschäftigt, den er am häufigsten dirigiert, den er zu gern mal getroffen und mit ihm Skat gespielt hätte. So absurd ist das gar nicht: Der bekennende Skatspieler Richard Strauss starb 1949. Christian Thielemann wurde zehn Jahre später geboren.
Thielemann schreibt in diesem Buch über seine eigenen Erfahrungen mit Strauss, den zu dirigieren sich für ihn anfühlt wie ein Landeanflug auf eine Mega-City: "Man sieht nur Stadt, überall sind Lichter, alles glitzert. Man nähert sich und denkt, das kann doch nicht wahr sein, hört dieser Riesenteppich denn nie wieder auf?"
Gedanken und Gespräche über Musik
In gut lesbaren Kapiteln beleuchtet Thielemann den paneuropäischen Bajuwaren Richard Strauss in all seinen Widersprüchen, führt in dessen Tondichtungen ein, Stück für Stück, und gibt auch zu, mit welchen er nicht viel anfangen kann. Anhand von Strauss' Opern erklärt Thielemann, wie der Komponist dieses Genre ins 20. Jahrhundert führte. Er schließt mit praktischen Überlegungen zur Interpretation an und der Frage, wie viel Zucker hier dem Affen zu geben sei.
Immer wieder huldigt er "seinen Strauss-Sängerinnen", denen er das Buch auch gewidmet hat. Thielemann ist einfach ein unterhaltsamer Gastgeber, mit dem man sich sofort wohlfühlt und im Gespräch wähnt, weil er so gar nicht biografisch vorgeht und vor allem, weil er so lustvoll Details über Strauss platziert. Dieses angenehme Lesegefühl ergibt sich sicher auch, weil – wie schon in Thielemanns Beethoven- und Wagner-Büchern – wieder die Journalistin und Musikkritikerin Christine Lemke-Mattwey ihr Können zeigt. Weit über ein Jahr haben die beiden in der Corona-Zeit Gespräche geführt. Und er dankt ihr folgerichtig, dass sie sein "Nachdenken über Richard Strauss so klug wie kenntnisreich hinterfragt und überaus trefflich in Worte gesetzt" hat.
Zahlreiche Anekdoten über den Komponisten
Episodisch erkundet der Dirigent seinen Strauss, und das geht weit über Brief- und Partiturstudium hinaus. Spannend, wenn Thielemann den typischen Strauss-Klang als obertonreich und sterlingsilbrig glänzend beschreibt und erzählt, welche Dirigenten er bewundert. Erhellend, wenn er über den im Herzen unpolitischen Strauss schreibt, der 1933 als "2. Wahl" Präsident der Reichsmusikkammer wurde – vielleicht in der Hoffnung, er könne dort qua Amt das Schlimmste verhindern – und der genau in diesem Versuch fulminant scheiterte.
Lustig, wenn man liest, warum Strauss seinen ewigen Opernkonkurrenten Giacomo Puccini als "delikate Weißwurst" betitelte, dass er dem Zwölftöner Arnold Schönberg empfiehlt, Schnee zu schaufeln statt Notenpapier zu bekritzeln. Oder die Geschichte, als Strauss' Gegenspieler Hans Pfitzner ihm mal sein Leid klagte, wie schwer doch Komponieren sei und er ihn drauf fragt: "Warum tun Sie's dann?"
Wie Thielemann auf Strauss' Spuren wandelt
Christian Thielemanns Bewunderung für Richard Strauss ist enorm, der (wie man en passant erfährt) beim Dirigieren der monumentalen "Alpensinfonie" gern die eine Hand in der Westentasche einhängte, die andere minimal bewegte, und die Wiener Philharmoniker, dieses Weltklasse-Orchester, dabei höchst konzentriert auf der sprichwörtlichen Stuhlkante saßen. Ob er das selbst bei nächster Gelegenheit ausprobiert, bleibt Thielemanns Geheimnis, nicht aber, dass er sich in Strauss entdeckt.
Strauss sei für ihn der "gutbürgerliche Revoluzzer, das normale Genie. Alles Schöne ist bei ihm subversiv, alles Subversive schön. Und am Ende wird Harmonie hergestellt, er kennt keine offenen, atonalen Schlüsse. Als Komponist des 19. und 20. Jahrhunderts verkörpert Richard Strauss einen Begriff der Moderne, dem ich mich gerne anvertraue", schwärmt Thielemann über seinen besonderen Hausgott, bei dem zu Hause in Garmisch er übrigens Anfang der 2000er-Jahre (in seiner Zeit als Chef der Münchner Philharmoniker) öfter zu Mittag saß und sich von den betagten Enkeln und der alten Haushälterin Anni erzählen zu lassen.
Was wir beim Lesen also quasi alles aus erster Hand über Richard Strauss erfahren, weckt sofort Lust, ihn direkt dabei auch zu hören – idealerweise natürlich in Christian Thielemanns Lesart.
Informationen zum Buch
"Richard Strauss – ein Zeitgenosse"
von Christian Thielemann, gemeinsam mit Christine Lemke-Matwey
316 Seiten, gebunden
Preis: 28 Euro, e-Book: 21,99 Euro
ISBN: 978-3-406-82459-3
Redaktionelle Bearbeitung: tsa
Dieses Thema im Programm: SWR Kultur – Treffpunkt Klassik | 19. September 2024 | 10:05 Uhr