Chip-Produktion in Europa Halbleiterindustrie in Europa: Chip-Boom in Dresden?
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22. Mai 2021, 05:00 Uhr
Der Halbleiter-Hersteller Intel will Milliarden in Europa investieren. Derzeit ist Konzern-Chef Pat Giesinger auf der Suche nach einem geeigneten Standort. Vieles spricht für die Region Dresden. Dort sitzt das Silicon Saxony - ein Industrieverband im Elbtal. Das hat in der Vergangenheit schon Unternehmen anlocken können wie beispielsweise Infineon. Und auch Bosch wird dort in Kürze eine neue Halbleiterfabrik eröffnen.
Intel plant ein neues Werk und ist derzeit auf der Suche nach einem neuen Standort. Im Silicon Saxony wird man hellhörig - der Industrieverband ist einer der führenden Halbleiter-Standorte in Europa. Insgesamt sind laut Silicon Saxony rund 2.400 Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Chip-Industrie rund um Dresden angesiedelt.
Bosch steht vor Fabriksöffnung
Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen sind in den vergangenen Jahren dazugekommen, aber auch Großkonzerne wie der Münchner Dax-Konzern Infineon oder Globalfoundries. Und auch Bosch wird in Kürze eine neue Halbleiterfabrik eröffnen. Frank Bösenberg, Geschäftsführer von Silicon Saxony, rechnet sich gute Chancen aus, dass nun auch Intel folgen könnte: "Wir sind - und das werde ich auch nicht müde zu wiederholen - Europas größter Halbleiterstandort. Und diese Anhäufung von gleichartigen Akteuren hilft uns auch im globalen Wettbewerb. Die hat auch zur Ansiedlung von Bosch hier mitgeführt. Und es würde mich verwundern, wenn Intel nicht auch einen Blick auf Sachsen werfen würde."
Wir sind, und das werde ich auch nicht müde zu wiederholen, Europas größter Halbleiterstandort.
Silicon Saxony: 16,5 Milliarden Euro Umsatz 2020
Das Silicon Saxony funktioniert ähnlich wie sein kalifornisches Vorbild, das Silicon Valley. Im Elbtal haben sich vor allem Mikroelektronik-Unternehmen angesiedelt. Und das Halbleiter-Cluster wächst: Laut Silicon Saxony sind dort mehr als 60.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Im vergangenen Jahr habe man dort 16,5 Milliarden Euro erwirtschaftet. Und der Trend geht weiter nach oben.
Solch ein Cluster ist in Europa nahezu einzigartig. Einzig im französischen Grenoble gibt es eine ähnliche Dichte von Chip-Herstellern, Maschinenbauern, Herstellern von Vorprodukten, Forschungseinrichtungen und Universitäten. Alles eng vernetzt an einem Standort. Das soll Unternehmen anziehen, aber auch Fachkräfte. Ein Vorteil, von dem eine ganze Region profitieren kann. Das gilt auch für den Raum Dresden.
"Hier gibt es Hochschulen und Forschungsinstitute, die Grundlagenforschung betreiben. Und die Halbleiterindustrie, die kann sehr gut mit diesen Grundlagenforschern zusammenarbeiten. Es ist also eine Chance, dass wir hier eine Industrie haben, die eine Menge Wertschöpfung erzeugt und die auch langfristig in der Region bleibt", sagt Marcel Thum, Leiter des Instituts für Wirtschaftsforschung in Dresden.
Es ist eine Chance, dass wir hier eine Industrie haben, die auch langfristig in der Region bleibt.
Nachfrage an Chips in Europa steigt stetig
Derzeit werden Chips aber vor allem in Asien produziert. Dabei braucht Europa ständig mehr Chips. Die für Deutschland so wichtige Autoproduktion ist von Chips abhängig. Allein in einem Auto sind zahlreiche Mikrochips verbaut, vom Fensterheber bis zum Bremssystem. Aber auch Computer, Smartphones oder Roboter - Technik, die über Chips funktioniert.
Lieferengpässe asiatischer Produzenten durch die Corona-Pandemie
Spätestens die Corona-Krise hat gezeigt, wie störanfällig die Lieferketten in der Elektronik-Produktion sind. Zuletzt kam es immer wieder zu Lieferengpässen. Konsolen waren monatelang vergriffen, Bänder in der Autoproduktion standen still - auch weil immer wieder ein Mangel an Chips herrschte. Tyson Barker, Programmleiter der Technologie und Außenpolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Außenpolitik, betont, dass durch solche Ausfälle die europäische Wirtschaft massiv gebremst wird: "Die Zukunftsfähigkeit der europäischen Wirtschaft ist existenziell abhängig von diesen Chips."
Milliarden an Fördermitteln für Halbleiterproduzenten in Europa im Gespräch
Europa will sich nun unabhängiger machen von asiatischen Produzenten. Berlin und Brüssel wollen die europäischen Halbleiterproduzenten mit Fördermitteln unterstützen - dabei geht es um Milliarden Euro. Und auch Intel fordert Subventionen, wenn das neue Werk gebaut werden sollte. Laut Handelsblatt wären rund acht Milliarden Euro aus öffentlicher Hand nötig.
In Dresden verteidigt man solche Subventionen. Es sei wichtig, technologische Entwicklungen zurück nach Europa zu holen. "Es ist richtig, dass wir mit europäischer Hilfe Chips in Deutschland und Europa produzieren. Und nicht mehr nur in Asien. Das ist klug und richtig. Wir müssen auch unsere Technologien schützen und voranbringen", betont Martin Dulig, Wirtschaftsminister von Sachsen.
Wir müssen auch unsere Technologien schützen und voranbringen.
Nachholebedarf beim Know-how
Subventionen seien in der Halbleiter-Produktion üblich, sagt Jan-Peter Kleinhans von der Stiftung Neue Verantwortung. Weltweit würde das so gehandhabt. Er steht der Chip-Produktion in Europa dennoch kritisch gegenüber. Die relevanten Akteure beispielsweise in Taiwan und Südkorea seien Europa technisch mindestens zehn Jahre voraus. Die Herstellung von Chips sei ein technisch komplexer Prozess, das Know-how dazu könne man nicht einfach in kurzer Zeit aufholen.
Experte: "Uns fehlt es an notwendigem Prozesswissen"
Jan-Peter Kleinhans ist in der Stiftung "Neue Verantwortung" aktiv. "Wir haben uns hier seit 20 Jahren nicht um moderne Fertigung gekümmert. Uns fehlt es an notwendigem Prozesswissen, um einen solch komplexen Fertigungsprozess erfolgreich betreiben zu können", sagt er. Anzunehmen, den technischen Rückstand problemlos aufholen zu können, grenze "geradezu an europäische Arroganz". Zudem sei es ein Trugschluss, zu glauben, dass Europa mit solchen Produktionshallen unabhängig produzieren könne.
"Auch Taiwan produziert nicht souverän. Es braucht bei der Chip-Produktion ein massives Zuliefersystem über mehrere Kontinente: Japanische Chemikalien, Equipment aus den Niederlanden oder US-amerikanische Design-Software", so Kleinhans. Autark zu produzieren sei nicht das richtige Ziel, eher die Wettbewerbsfähigkeit zu steigen. Das könne die EU, indem sie sich darauf fokussiere im Chip-Design ein relevanter Akteur zu werden.
Wir haben uns hier seit 20 Jahren nicht um moderne Fertigung gekümmert.
Neues Intel-Werk in Dresden?
In Sachsen bleibt die Politik ambitioniert, will die Chip-Produktion in den Freistaat holen und gibt sich selbstbewusst. "Wir wissen, welches Potenzial der Standort um Dresden zu bieten hat und werden das bei den Gesprächen mit Intel einbringen", so der sächsische Wirtschaftsminister Dulig. Intel will bis Jahresende entscheiden, wo das neue Werk entstehen soll. Bekommt Dresden den Zuschlag, könnte schon in zwei Jahren ein neues Werk im Silicon Saxony eröffnen.
Quelle: MDR
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 25. Mai 2021 | 21:45 Uhr