Bilder der Dresdner Bombardierung von Hans-Joachim Dietze
Dresden ist wie viele andere Städte im Krieg durch Bombardierung zerstört worden. Warum nimmt sie in der Erinnerungskultur so viel Raum ein? Bildrechte: MDR/Hans-Joachim Dietze

Bombennacht Historikerin: Nazis haben den Mythos Dresden vorbereitet

12. Februar 2022, 18:32 Uhr

Nie wieder Krieg – das ist die Botschaft vieler Zeitzeugen und die Essenz, mit der der Dresdner Verein "Memorare Pacem" arbeitet. Doch die Erinnerung an die Bombardierung Dresdens ist politisch umkämpft. Rechtsextreme missbrauchen den Jahrestag für ihre Zwecke. Zusammenstöße mit Gegendemonstranten führten Dresden im Jahr 2011 in bundesweite Schlagzeilen. Als Konsequenz gründete die Stadt die Arbeitsgemeinschaft 13. Februar. MDR SACHSEN sprach Anfang 2022 mit der Historikerin Caroline Förster über den Kampf um den Mythos Dresden und würdige, nicht ideologische Erinnerung.

Blick auf das fast völlig zerstörte Stadtzentrum von Dresden.
Das Stadtzentrum Dresdens brannte nach der Bombardierung fast völlig aus. (undatierte Aufnahme) Bildrechte: picture alliance / dpa | Gutbrod

Frau Förster, wie wichtig ist das Gedenken an den Bombenangriff in Dresden?

Auf diese Frage können Sie in Dresden nur komplexe Antworten bekommen. Ich versuche es mit einem einfachen Ansatz. Unser Verein "Memorare Pacem - Gesellschaft für Friedenskultur" ist aus der "Interessengemeinschaft 13. Februar" hervorgegangen, die schon seit der Friedensbewegung in den 80er-Jahren Kontakte zu Zeitzeugen knüpfte. Anliegen war, den Menschen, die den Krieg erlebt haben, zuzuhören. Da geht es allerdings erstmal um Erinnern und nicht um Gedenken.

Was hat der Krieg für die Zeitzeugen bedeutet?

Die Zeitzeugen möchten deutlich machen, was Krieg bedeutet. Sie möchten zeigen, was Krieg anrichtet, in unseren Familien, in unseren Seelen, mit unseren Kindern, unseren Freunden, unseren Eltern, mit der ganzen Welt.

Die wichtigste Botschaft vieler Menschen damals bis heute war und ist: Nie wieder Krieg.

Caroline Förster Historikerin

Dr. Caroline Förster, Historikerin und Geschäftsführerin des Dresdner Geschichtsvereins.
Die Historikerin Dr. Caroline Förster engagiert sich ehrenamtlich im Verein "Memorare Pacem" und ist Geschäftsführerin des Dresdner Geschichtsvereins Bildrechte: Robert Jentzsch

Wie tief haben sich die Erfahrungen in das Bewusstsein der Überlebenden gebrannt?

Da müsste man sie selbst befragen. Doch bei allem, was wir mit den Zeitzeugen erlebt haben – während unserer Schulprojekte oder des Überlebenden-Austausch in Coventry, in Wielun und in Guernica – wurde immer wieder klar: Kriegsleid ist unabhängig von der Staatsangehörigkeit. Verluste, Schmerz und Trauer sind nicht an Herkunft geknüpft. Sie sind universal, grenzenlos, menschlich im tiefsten Sinn.

Bei Bombenangriffen sind viele Städte zerstört worden. Warum ist gerade in Dresden das Gedenken so politisch?

Erinnerungskultur in Dresden ist unglaublich komplex. Letztlich hat das Gedenken sich verselbstständigt und verschiedene Phasen durchlebt. Was vielen nicht bewusst ist:

Die Darstellung Dresdens als Kronzeuge im Bombenkrieg und als Sinnbild einer zerstörten Kulturstadt ist maßgeblich von den Nationalsozialisten vorbereiten wurden.

Caroline Förster Historikerin

Schon die Nationalsozialisten haben an diesem Bild gearbeitet?

Ja, sowohl in der internen als auch externen Kommunikation – wie man heute sagen würde. Schon direkt nach der Bombardierung ist die Zerstörung der Stadt in der nationalsozialistischen Inlandspresse aufbereitet worden. Gleichzeitig lancierte der damalige Propagandaminister Joseph Goebbels die Erzählung der zerstörten Kulturstadt über die ausländische Presse. Die NS-Propaganda überhöhte und fokussierte Dresden als zerstörte Kulturstadt. Fakten, zum Beispiel zur Zahl der Opfer, wurden wissentlich gefälscht. Der Mythos Dresden ist von den Nationalsozialisten vorbereitet worden.

Das ist ein langer Rückgriff!

Ja, das ist der Ursprung. Es ist erstaunlich, wie lange solche Narrative überleben, wenn sie sich einmal in den Köpfen der Menschen festgesetzt haben. Die Gedenkkultur hat sich über Jahrzehnte immer weiter verselbstständigt. Besonders schwierig ist es, wenn sich unterschiedliche Ebenen überlagern. Für uns ist es wichtig zu zeigen, was der Krieg für die Menschen bedeutet. Wir wollen weg von dieser mehrfach verkleideten politisch-ideologischen Zuschreibungsebene. Das genau diese in Dresden existiert, sehen Sie daran, dass die Jahrestage des Bombardements schon immer mit großen Gedenkfeiern verbunden waren.

Eine Gedenkfeier für die Toten der Bombardierung – wieso soll das schlecht sein?

Es geht nicht um "schlecht" oder "gut", sondern um ein Nachdenken über die Form der Erinnerung. Zum 60. Jahrestag 1995 haben Bundeskanzler Helmut Kohl und Bundespräsident Roman Herzog Dresden besucht. Besonders Herzog hat eine tolle Rede gehalten. Mit dieser Prominenz jedoch war das Gedenken an diesen Tag ein Riesenbrimborium. Und so kommen Sie in einen Kreislauf aus jährlicher großer medialer Aufmerksamkeit und Handlungsdruck. So wird aus Erinnerung Geschichtspolitik.

Wieso?

Man sollte die tradierte Erinnerungskultur hinterfragen, Gedenken ist eben nur eine Praxis. Es gibt noch sehr viele andere Möglichkeiten. Die Überhöhung der Zerstörung Dresdens im Zweiten Weltkrieg wurde durch solche Gedenkfeiern fortgesetzt. Es gibt zahlreiche zerstörte Städte. Die Zerstörungen in Köln, Hamburg, Würzburg, Wuppertal oder Pforzheim waren weit größer, sehr viele Menschen starben. Auch zum 75. Jahrestag 2020 sprach Bundespräsident Steinmeier in Dresden, ich kann mich nicht erinnern, dass er das in diesem Zusammenhang auch in Hamburg oder Köln getan hätte.

Doch sind solche Stimmen nicht gut? Es gab viele Vorwürfe, das Gedenken würde den Rechten überlassen?

Der Reihe nach: Sind solche Stimmen nicht gut? Doch, Rituale und Symbolik sind prinzipiell nicht schlecht, sondern wichtig. Die Frage ist immer, wofür sie stehen. Ich würde hier in zwei wichtige Ebenen unterscheiden. Eine Ebene berührt die Frage, wie eine Stadtgesellschaft ihre Geschichte verhandelt, sich also in unserem Fall mit dem Nationalsozialismus beschäftigt. Die zweite Ebene ist das Engagement gegen Rechtsextremismus, Radikalisierung und Antisemitismus. Diese zwei Ebenen sind in Dresden eng miteinander verknüpft sind. Im Jahr 2011 stellten sich viele Initiativen gegen den Rechtsextremismus. Die folgenden bundesweit beachteten Zusammenstößen führten schließlich zur Gründung der "Arbeitsgemeinschaft 13. Februar". 

In dieser Zeit ist die Menschenkette entstanden…

Ja, unter anderem. Die Frage war, wie man aus der heroischen Gedenknummer herauskommt.

Dresden musste Antworten finden, wie es Erinnerungskultur gestaltet. Letztlich ist das eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Caroline Förster Historikerin

Für die Zeitzeugen ist die Antwort klar: Es muss eine Botschaft des Friedens und der Versöhnung sein. Die Menschenkette ist ein kompromissfähiger Konsens, ein solidarisches, soziales Miteinander-Erinnern abseits des alten Mythos. Gleichzeitig engagieren sich zahlreiche Initiativen und Vereine für vielfältige und künstlerische Erinnerungsformen, unter anderem an Zwangsarbeit und Deportationen. Das unfassbare Verbrechen an Säuglingen und Kleinkindern von Zwangsarbeiterinnen verdeutlicht die Kindergrabanlage auf dem St. Pauli-Friedhof. Dies ist ein Ort, der kaum Beachtung findet, aber durch eine zivilgesellschaftliche Initiative betreut wurde.

Aufführung des Puppenspielstücks "Chiffre 1302“ von Maria Bretschneider in einer Schule in Dresden-Prohlis. In dem Schulkunstprojekt wurden Zeitzeugenberichte verwoben.
Neue Formen der Erinnerung: Das Puppenspielstücks "Chiffre 1302“ von Maria Bretschneider verwebt Zeitzeugenberichte mit der Geschichte. Es wurde unter anderem in einer Schule in Dresden-Prohlis aufgeführt. Bildrechte: Caroline Förster

Damals wurde der Stadt Dresden vorgeworfen, sie sei viel zu lange passiv gewesen. Hätte sich die Stadt eher mit der Dekonstruktion des Dresdner Mythos beschäftigen müssen?

Diese Antwort berührt auch die Frage der Transformation. Nach der politischen Wende 1989/90 gab es viele wichtige Themen, für nicht wenige Menschen ging es um ihre Existenz.

Rechtsextreme haben diese Zeit für sich genutzt. Sie konnten die, von den Nazis, in die Welt gesetzten Mythen und Begriffe wieder aufwärmen und für ihre eigene Propaganda wiederverwenden. Vieles davon blieb zunächst unhinterfragt und wurde zum Teil sogar bedenkenlos übernommen.

Caroline Förster Historikerin

Da gibt es zahlreiche Analysen, wie und warum gerade in Dresden und auch in Ostdeutschland es zu diesen Entwicklungen kommen konnte. Für Dresden war die eingesetzte Historikerkommission eine Antwort: Wissenschaftliche Fakten gegen den Mythos setzen. Die Diskussion um die Opferzahlen auf eine weitere wissenschaftlich fundierte Grundlage zu heben. Gegen den Mythos anzukommen ist aber natürlich schwer. Klar ist, zahlreiche Initiativen sind seit Jahren aktiv. Doch auch die mediale Aufmerksamkeit liegt auf dem Mythos.

Ein bewusstes Auseinandersetzen mit Erinnerungskulturen und anderen Geschichtsbildern der Stadt ist eine zentrale, wichtige und immerwährende Aufgabe - nicht nur an einem Tag im Jahr. Nur so kommt man vom Reagieren ins Agieren, vom Verstehen der Vergangenheit, in ein Erkennen der Gegenwart und in ein Gestalten der Zukunft.

Caroline Förster Historikerin

Wie sieht Erinnerungsarbeit bei Ihnen heute aus?

Gruppenbild in der Schule (auf dem Bild sind von links nach rechts Caroline Förster, Nora Lang und Puppenspielerin Marie Brettschneider).
Historikern Caroline Förster mit Zeitzeugin Nora Lang und der Puppenspielerin Maria Brettschneider an einer Schule in Dresden-Prohlis. Bildrechte: Caroline Förster

Die Zeitzeugen werden immer weniger. Wie halten wir ihre Geschichten lebendig? Der Austausch mit Schülerinnen und Schülern über Erinnerungen, Demokratie und Menschenrechtsaspekte ist dafür ein wichtiger Teil.  Mit den "Young Peace Exploreres" gibt es ein Austauschprogramm für Jugendliche, und es gab und gibt internationale Treffen der Überlebenden. Im Zentrum steht immer die Frage: Was bedeuten Krieg und Leid für mich? Was bedeutet Frieden und Sicherheit? Was kann ich tun? Es ist immer berührend. Denn ich erlebe die Zeitzeugen mit einer Botschaft - an die eigene Verantwortung, das Menschsein, für Frieden und Versöhnung und gegen jeden Krieg.

Danke für das Gespräch!

Dr. Caroline Förster Dr. Caroline Förster hat in Geschichte promoviert, und engagiert sich seit 2014 ehrenamtlich bei "Memorare Pacem". Hauptberuflich ist sie Geschäftsführerin des Dresdner Geschichtsvereins und für die Herausgabe der Dresdner Hefte zuständig.

Noch immer umkämpft: Unbekannte zerstören "Trauerndes Mädchen" auf dem Heidefriedhof

Dass die Erinnerung um Dresden noch heute umkämpft ist, zeigt die Zerstörung der Skulptur "Trauerndes Mädchen" auf dem Heidefriedhof. Erst Anfang Februar stießen Unbekannte die Bronzefigur von ihrem Podest und brachen ihr die Füße ab. Die Polizei schließt einen politischen Hintergrund nicht aus und ermittelt wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung.

In diesen Zusammenhang werde laut Polizei ein Bekennerschreiben der "Autonomen Aktionsgruppe Dresden Entnazifizieren" geprüft. Die Skulptur reihe sich ein in den "geschichtsrevisionistischen Gedenkdiskurs in Dresden“, heißt es dort. Die Deutschen hätten sich für den aktiv für die NS-Ideologie entschieden und seien damit Täter:innen. "Derartig irreführende Gedenkstätten" müssten deswegen weg. Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) erklärte: "Die Beschädigung oder Zerstörung von Gedenkorten ist nie politisch, sondern einfach nur Vandalismus. Egal ob aus dem links- oder rechtsradikalen Spektrum: Wer sich an solchen Aktionen beteiligt, verlässt den demokratischen und zivilgesellschaftlichen Diskurs um eine vielfältige Erinnerungskultur.“

Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Die Linke) erklärte: "Die Vermittlung von historischen Fakten und das Gedenken an die Opfer der NS-Diktatur ist auch in Dresden der Anspruch einer lebendigen und pluralistischen Erinnerungskultur." Dazu gehöre der Diskurs über Denkmäler. Mit der mutwilligen Zerstörung der Skulptur 'Tränenmeer' seien jedoch Tatsachen geschaffen, die der Notwendigkeit der inhaltlichen Auseinandersetzung nicht hilfreich seien.

MDR (kt)

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