Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben

Wissen & EntdeckenAuf der Suche nach dem Wunderbaum im Botanischen Garten von Dresden

25. Juli 2022, 18:00 Uhr

Taschentuch- und Kängurubäume, fleischfressende Pflanzen und Seerosenblätter, die ein Kind tragen können - ein Ausflug in den Botanischen Garten von Dresden fasziniert. Besonders wenn ruppige Wildbienen eine Hummel rammen, Singvögel einem frech vor die Füße hüpfen und im Aquarium des Tropenhauses ein paar Gespensterfische schwimmen.

Alles was gefährlich ist, ist spannend für meinen Sohn. Sein zehn Jahre altes Gehirn saugt alle Details über giftige Komodowarane und gefräßige Tiger wie ein Schwamm auf. In Richards Kartensammlung gefährlicher Dinge hat der Wunderbaum einen Ehrenplatz. Wegen der Tödlichkeit seines Giftes ist er gleich mit mehreren Totenköpfen ausgezeichnet. Zeit, sich dieses Gewächs in echt anzusehen. Der Botanische Garten in Dresden hat 10.000 verschiedene Pflanzenarten, da sollte doch die eine oder andere gefährlich-giftige Art darunter sein.

Seltsame Pflanzenwelt auf 3,25 Hektar

Nur ein schmiedeeiserner Zaun trennt das Biotop am Rande des Großen Gartens von der hektischen Stübelallee mit ihren Autos, Straßenbahnen und der Gläsernen Manufaktur von VW. Der Stadtverkehr ist schnell vergessen, als wir nach wenigen Schritten im Reich der Pflanzen stehen. Unser Blick fällt auf Bäume mit schuppiger Rinde, Sträucher mit seltsamen Blättern, an denen Schildchen mit noch seltsameren Namen in die Erde gesteckt wurden: Taschentuchbaum, Wolfsmilch, Kängurubaum. Bei den Blumen, Büschen und Halmen, die sich in den Beeten ausbreiten, fällt die Zuordnung der Schilder schwer.

Achtung: Wanderstaude! Bitte Schild nachstecken!

Zum Glück treffen wir Barbara Ditsch, die sich für uns Zeit nimmt. Barbara Ditsch ist promovierte Blütenbiologin und seit vielen Jahren wissenschaftliche Leiterin im Botanischen Garten. Ich schildere ihr meine Sorge, in dem ganzen Grün, das sich vor uns ausbreitet, die Pflanzen wohl nicht immer dem passenden Schild zuordnen zu können. Barbara Ditsch stimmt mir zu. "Gerade die Stauden wandern ja auch", sagt sie. Die Gärtner seien aber immer bemüht die Etiketten nachzustecken. Aha. Dass Pflanzen größer werden und damit an einer Stelle mehr Raum einnehmen, war mir klar. Aber, dass sie sich über die Jahre auch zu anderen Stellen vortasten, macht mir etwas Gänsehaut.

Florale Weltreise (ohne Antarktis)

Barbara Ditsch läuft unterdessen beschwingt durch das Grün. Mein Sohn Richard hinterher. Er hat die Karten mit seinen Giftpflanzen in der Hand und ist ganz hibbelig. Im Freigelände des Botanischen Gartens sind viele Pflanzen nach ihren Regionen, in denen sie natürlicherweise vorkommen, sortiert. Es seien alle Kontinente vertreten, sagt Barbara Ditsch. "Außer die Antarktis", fügt sie hinzu, "aber da gibt es nur drei Blütenpflanzen und für die ist es in Deutschland zu warm."

Es sind alle Kontinente vertreten, außer die Antarktis, aber dort gibt es nur drei Blütenpflanzen.

Barbara Ditsch | Blütenbiologin

Dass auf etlichen Etiketten nur die lateinische Bezeichnung der Pflanze steht, liegt daran, dass sie in unserem Sprachraum nicht existiert. Nicht für jede amerikanische Pflanze gibt es einen deutschen Namen, nennt Barbara Ditsch ein Beispiel. Für den Ricinus communis gibt es sogar zwei deutsche Bezeichnungen: Rizinus oder Wunderbaum. In seinen Samenschalen verbirgt sich das Gift Rizin. "Es ist die GIFTIGSTE ALLER PFLANZEN!", platzt es aus Richard heraus.

Zu unserer Überraschung steht das scheinbare Todesgewächs auf dem Freigelände bei den Nutzpflanzen. Und es sieht prächtig aus: Die Blüten sind feuerrot, die Stengel schimmern fast purpur, die handtellergroßen Blätter changieren zwischen dunklen Grün- und Rottönen. Aus den Bohnen des Wunderbaums wird Rizinusöl gewonnen und für Medikamente verwendet, wie uns die Wissenschaftlerin erklärt. Dann stellt sie uns eine kniffelige Frage: Warum heißt der Wunderbaum eigentlich Wunderbaum? Wir grübeln: Weil er so schön ist? Weil die aus ihm gewonnene Medizin Wunder wirkt? Wir kommen nicht drauf.

Sprungturmhoch und supergiftig

In den Tropen, wo die einjährige Pflanze beheimatet ist, wachse sie ganz schnell, klärt uns Barbara Ditsch auf. Innerhalb eines Jahres könne sie bis zu zehn Meter hoch werden. Ich stelle mir einen Zehn-Meter-Turm im Freibad vor und den Strauch gedanklich daneben. Ja, der Name ist verdient. Unterdessen ist mein Sohn total happy, weil er direkt neben dem Wunderbaum noch eine tödliche Pflanze entdeckte hat - den Gefleckten Schierling.

Schweigeminute für Sokrates

Exkurs ins alte Griechenland: Es war doch der berühmte Philosoph Sokrates, der nach seinem Todesurteil den Schierlingsbecher trank? Gleichzeitig wurde auch diese Pflanze in ihrer Janusköpfigkeit in Antike und Mittelalter als Heilmittel verwendet, etwa bei Augenentzündungen, Geschwüren oder Keuchhusten. Angesichts der Nebenwirkungen greift die heutige Medizin aber auf ungefährlichere Medikamente zurück. Ich lege eine Schweigeminute für den großartigen Philosophen ein.

Ackerbau wie bei den Azteken

Wenige Meter weiter bewässert Baumschulgärtner Jerome Dietzsch ein Maisfeld. Im Botanischen Garten pflegen die Gärtner nicht alles sprichwörtlich querbeet, sondern jeder hat sich auf Bereiche spezialisiert. Jerome Dietzsch trägt den grünen Daumen für Gehölze und Nutzpflanzen.

Den Mais hat er so angebaut, wie es einst die Azteken getan haben - eine indianische Hochkultur, die bis zu ihrer Auslöschung durch die spanischen Eroberer bis ins frühe 16. Jahrhundert in Mittelamerika existierte. Weil die Böden oft karg waren, bauten die Azteken Mais, Kürbis und Bohnen gemischt auf einer Fläche an. Die Kürbisranken, die den Boden bedecken, schützen vor Austrocknung, die Bohnen bringen den Nährstoff für den Mais und Kürbis ein. Jerome Dietzsch versichert, dass Besucher mit ihren Fachfragen bei den Gärtnerinnen und Gärtnern willkommen sind. "Man kann jeden von uns fragen", sagt er.

Wildbienen - die Wikinger der Lüfte

Meinem Sohn hat es im Moment die Fauna angetan. Er beobachtet fasziniert, wie sich an einem fliederfarbenen Heilziest die Insekten tummeln. Ein Schmetterling, Bienen und eine große Hummel fliegen von Blütenkelch zu Blütenkelch, um den Nektar einzusaugen.

Dabei geht es ruppig zur Sache und die Hummel stürzt ab. Barbara Ditsch nimmt das Tier auf ihre Hand: "Die Wildbienen rammen andere Insekten regelrecht." Der Hummel hängt ein Flügel abgeknickt zur Seite, sie wird nicht mehr fliegen können. "Komm", sagt Barbara Ditsch zu Richard, "wir suchen ein Meisennest." Und dann geht es zum letzten Geleit. Schön, wenn man am Ende der Nahrungskette steht.

Die florale Vielfalt lockt seltene Tiere. So kann man an der Zaunrübe die auf sie spezialisierte Zaunrüben-Biene beobachten. Natürlich ist der Garten ein Paradies für Singvögel, denn die finden hier jede Menge Futter. Manchmal laufen Füchse und Hasen durch das Gelände, wie Barbara Ditsch erzählt. Letztere zum Leidwesen der Gärtner, weil sie gern mal lang gehegte Exoten niederfressen. Und dann gibt es noch das Aquarium im Tropenhaus, einem der drei Gewächshäuser des Botanischen Gartens.

Wir werfen einen Blick ins Kakteenhaus, sehen mit Respekt auf die nadelspitzen Schwiegermutterstühle und die fleischfressenden Pflanzen, staunen über die Schönheit der Orchideen. Im Viktoriahaus betrachten wir die riesigen Blätter der Victoria-Seerose, die andächtig auf einem kleinen Teich schwimmen. Eigentlich sind wir viel zu erledigt für noch mehr Eindrücke. Einen Pflichtbesuch statten wir den Geisterfischen im Tropenhaus ab.

Wir nennen sie Geisterfische, weil sie so durchsichtig sind, dass man denkt, es schwimmen Skelette durchs Aquarium. Richtigerweise handelt es sich um Glaswelse. Richard knipst sie mit dem Handy und dann geht es zum Ausgang: Kängurubaum, Wolfsmilch, Taschentuchbaum. Welche Geschichte sich wohl hinter diesen lustigen Namen verbirgt? Wir werden es herausfinden - beim nächsten Mal.

Fazit

Im Botanischen Garten kommt die ganze Familie auf ihre Kosten. Wer Inspiration für seinen Kleingarten oder seine Zimmerpflanzenauswahl sucht, ist hier genauso richtig, wie jemand, der Tiere beobachten will oder seinen Kindern etwas über Pflanzen beibringen möchte. Giftpflanzen bilden im Übrigen die Ausnahme und sind im Beet, dass sowieso nicht betreten werden darf, absolut ungefährlich. Route und Aufenthaltszeit kann ganz individuell an die eigenen Bedürfnisse angepasst werden. Kinder können die Wege entlangrennen und im Tropenhaus gibt es auch Toiletten.

Adresse und Anreise

Der Botanische Garten liegt im Zentrum Dresdens, in direkter Nachbarschaft zum Großen Garten. Es gibt keine Besucherparkplätze. Empfohlen wird die Anreise mit dem Fahrrad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln (Haltestelle Straßburger Platz, Straßenbahnlinien 1, 2, 4, 10, 12, 13).
Botanischer Garten, Stübelallee 2, 01307 Dresden

Öffnungszeiten während der Ferien

8 bis 18 Uhr, Gewächshäuser ab 10 Uhr

Kosten

Der Besuch ist kostenfrei, Spenden sind willkommen.

Geeignet für

Groß und Klein und jedes Alter. Achtung: Das Mitführen von Hunden ist nicht erlaubt (Blindenhunde sind ausgenommen)

Barrierefreiheit

Für Besucher mit eingeschränkter Mobilität stehen ein Behindertenparkplatz und eine mit Euroschlüssel zugängliche Behindertentoilette zur Verfügung. Die Hauptwege des Botanischen Gartens sind barrierefrei gestaltet.

Daran sollte man denken

Fotokamera oder Handy für atemberaubende Bilder

Wenn man schon mal da ist ...

... kann man einen Abstecher in den Großen Garten machen, am besten mit Decke und Picknickkorb.

Mehr zum Thema

MDR