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Steffen Kailitz arbeitet als Politikwissenschaftler am Hannah-Arendt-Institut und forscht unter anderem zu demokratischem Zusammenhalt und Rechtsextremismus in Sachsen. Bildrechte: MDR/Benjamin Jakob

Hass und HetzePolitologe: "Wenn es um Werte geht, sind Kompromisse schwieriger"

28. Januar 2023, 18:00 Uhr

Ob vegane Ernährung, Klimaaktivismus, Dieselmotoren, Panzerlieferungen oder Ukraine-Hilfe - die Toleranz gegenüber anderen Einstellungen scheint spürbar zu sinken? Ist das wirklich so? Und wenn ja, woran liegt das? Wieso akzeptieren wir andere Meinungen immer weniger? Darüber haben wir mit dem Politikwissenschaftler Steffen Kailitz vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung (HAIT) gesprochen.

Herr Kailitz, gerade haben die Inhaber einer veganen Fleischerei in Dresden Morddrohungen erhalten. Warum akzeptieren Menschen andere Meinungen immer weniger? Warum sinkt die Toleranz immer mehr?

Ich bezweifle, dass die Toleranz wirklich immer stärker sinkt. Es kommt immer auf den Ankerpunkt an, auf den Sie sich beziehen. Nehmen wir das Beispiel der veganen Fleischerei. Blicken wir in der Geschichte der Bundesrepublik zurück, kann ich mir nur schwer vorstellen, dass die Toleranz für vegane Fleischereien in den 80iger-Jahren höher war als jetzt.

Die Toleranz gegenüber anderen sinkt also gar nicht – sondern ist höher als je zuvor?

Nehmen wir beispielsweise die Homo-Ehe. Wenn wir in der Geschichte der Bundesrepublik zurückgehen, waren homosexuelle Handlungen sogar unter Strafe gestellt. Homosexuelle wurden verfolgt und angeklagt. Natürlich war die Toleranz in Politik und Gesellschaft etwa gegenüber Homosexuellen damals nicht höher als heute – im Gegenteil.

Insofern haben wir heute prinzipiell erst mal ein höheres Maß an gesellschaftlicher Liberalität erreicht. Aber es gibt noch bedeutende Gruppen in der Gesellschaft, die gegen diese Liberalisierung große Vorbehalte haben und glauben, dass sie existenzgefährdend für Deutschland sei. Diese Gruppen auf der politischen Rechten möchten gern zu früheren Zeitpunkten zurück, zu denen die Gesellschaft noch weniger tolerant und liberal war.

Die gesellschaftliche Entwicklung gen liberalen Einstellungen und Toleranz federt also zurück?

Politikwissenschaftler sprechen von postmateriellen Werten, die sich mit dem Aufstieg der grünen Parteien etabliert haben. Als Reaktionen erleben wir jetzt die Mobilisierung von Gegenbewegungen. Rechtspopulistische Parteien sind in vielen Teilen der Welt viel erfolgreicher als in der Vergangenheit. Gleichzeitig vertraten früher konservative Mainstream-Parteien Positionen, die heute nur noch die Rechtspopulisten vertreten. Das lässt sich also auch als ein Rückzugsgefecht autoritärer Einstellungen in der Gesellschaft deuten.

Viele Diskussionen werden nicht nur öffentlich, sondern auch privat sehr hitzig geführt. Jeder meint im Recht zu sein. Woran liegt das?

Viele Themen haben sich durch den gesellschaftlichen Wandel von einer rein politischen Ebene auf eine Ebene des Wertewandels verschoben. Wenn es um materielle Konflikte geht, ist es im Grunde einfacher Kompromisse zu schließen. Immer dann, wenn Werte in den Diskussionen verhandelt werden, seien es Familienwerte oder auch bestimmte Werte wie eine Gesellschaft ausgestaltet sein soll, ist es viel schwieriger Kompromisse zu schließen.

Für viele hängt ein Weltbild an den Vorstellungen, weil man ja dran glaubt, dass nur dieser Weg zu einer guten Gesellschaft führt. Der Mangel an Toleranz in Diskussionen ist ein allgemeines Problem. Wenn es um die Werte-Ebene geht, verschärfen sich die Argumente rasch, schnell wird der Gegenüber als Feind gesehen, oder zumindest als Mensch, der falsch denkt.

Doch gab es nicht schon immer gesellschaftliche Diskussionen über Werte?

Ja, natürlich. Die verschiedenen individuellen Einstellungen treten heute durch die sozialen Medien nur viel stärker zutage. Zugespitzte Meinungen geraten jetzt viel öfter direkt in die öffentliche Wahrnehmung. Es geht also auch um eine veränderte Öffentlichkeit.

Experten sprechen von Filterblasen-Effekten durch den Konsum sozialer Medien. Weil Algorithmen dort Informationen liefern, welche die eigenen Positionen verstärken und sie nicht infrage stellen. Das Regulativ fällt weg. Wie gefährlich ist das?

Gefährlich? Tatsächlich ist es auch immer eine Frage des Missbrauchs, insofern bin ich sehr vorsichtig, soziale Medien per se als eine Gefahr darzustellen. Sie sind Teil des gesellschaftlichen Wandels mit Fortschritten und Problematiken, auf die man reagieren muss. Zum Beispiel Hass auf Minderheiten in einer Gesellschaft oder generell Hass bis hin zu Todesdrohungen muss geahndet werden. Beleidigungen, Verleumdungen und Bedrohungen sind justiziabele Straftatbestände.

Das ist nicht einfach – es fehlt Personal, Know-How und Schnelligkeit!

Ja, manchmal sind Drohungen schwer zu verfolgen. Gleichzeitig existiert diese Fehlwahrnehmung, dass das Netz ein rechtsfreier Raum ist, in dem sowieso nichts geahndet wird. Viele glauben sich hier an einem vermeintlich sicheren Ort, an dem man alles herausschreien kann. Der eine meint es wirklich so, der andere hat einfach nur einen schlechten Tag. Insofern ist es natürlich notwendig, dass Ermittlungen stattfinden. Nicht zuletzt, damit endlich klar wird, dass auch im Netz die Menschenrechte gelten und Gewaltandrohungen geahndet werden.

Das wird ja versucht, doch die Ermittler kommen nicht hinterher…

Das ist wie im normalen Leben, hier wird auch nicht jede hasserfüllte Äußerung verfolgt. Ein grundlegendes Problem ist die größere Sichtbarkeit von Hassbotschaften. Beleidigungen bleiben im analogen Leben, es gibt kaum oder wenige Zeugen. Im Netz sind die Hassbotschaften für alle immer und immer wieder einsehbar und potenzieren sich somit in ihrer Wirkung.

Gerade Rechtsextreme mobilisieren im Netz sehr stark. Wie viel Einfluss erlangen sie?

Na ja, das ist schwer zu quantifizieren. Natürlich gibt es hier Bestrebungen, Einfluss auszuüben und die eigenen Botschaften zu verbreiten. Ohne Frage, die rechtspopulistischen Parteien profitieren von den sozialen Medien, welche es erlauben, Einstellungen niedrigschwelliger und mit großer Reichweite zu veröffentlichen. Insgesamt jedoch sollte man die erweiterten Teilhabe-Möglichkeiten durch soziale Medien nicht nur negativ sehen. Klar ist jedoch, dass die zunehmende Polarisierung die Bereitschaft senkt, anderen zuzuhören.

Sie sind positiv. Andere sehen den Verfassungskonsens und mit ihm unsere Demokratie gefährdet...

Wir sollten aufmerksam sein. Hier in Sachsen haben wir beispielsweise eine Partei, die AfD, die im Kern rechtsextremistisch ist und bereits bei drei nationalen Wahlen hintereinander stärkste politische Kraft war. Hier besteht schon ein gewisser Grund zur Sorge. Die Beobachtung durch die entsprechenden Behörden ist im Gange. Hier in Sachsen gehen bedeutende Teile der Bevölkerung in eine Richtung, in der Grenzen überschritten werden und Positionierungen entstehen, die mit der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, wie wir sie in gegenwärtiger Form haben, nicht mehr vereinbar sind.

Das klingt hart!

Das ist die Krux. Eine härtere Haltung gegenüber Anhängern mit potenziell demokratiegefährdenden Positionen kann zur weiteren Verhärtung führen, zu einer Art Märtyrerhaltung. Aus dieser Position herauszukommen, ist gerade in Sachsen deutlich schwieriger als beispielsweise in Hamburg, wo die AfD und deren Strömungen eine viel geringere Rolle spielen. Insofern haben wir hier in Sachsen eine sehr schwierige Ausgangslage.

Sie wirken trotzdem ganz entspannt.

Na ja, ich sehe jetzt nicht, dass in den kommenden Monaten die deutsche Demokratie zusammenbricht. Also insofern bin ich schon entspannt. Doch wir haben natürlich in Sachsen den Hotspot überhaupt – deutschlandweit. Hier erleben wir die Entwicklungen wie unter einem Brennglas, vieles zeigt sich deutlich zugespitzer als in anderen Teilen der Republik.

Wird die AfD nach den nächsten Landtagswahlen stärkste Kraft werden?

Es wird auf jeden Fall Bemühungen bedürfen, damit das nicht passiert. Das letzte Mal gelang es Kretschmer mit einer riesigen Kraftanstrengung eine Mehrheit zu sichern gegen die AfD. Allerdings gibt es in der CDU Sachsen durchaus Kräfte, die für eine Zusammenarbeit mit der AfD bereit sind. Das ist eine Problemlage, die wir nicht unterschätzen dürfen. Zum Glück wird diese Einstellung nicht von der Mehrheit in der sächsischen CDU getragen. Das kann natürlich bei einer Wahlniederlage umschlagen. Dann hätten wir das Worst-Case-Szenario. Insofern haben wir hier in Sachsen – neben in Teilen Thüringen – deutschlandweit die problematischste Situation.

Zurück zu den Morddrohungen gegenüber der veganen Fleischerei. Lassen sich diese unter einer Zuspitzung politischer Einstellungen verbuchen?

In diesem Fall können sich zugespitzte politische Einstellungen und eben auch verschiedene Werte mit unterschiedlichen Weltbildern dahinter verbergen. Grundsätzlich sollten wir verschiedene Positionen aushalten können, das gilt für alle politischen Lager. Man muss beispielsweise aushalten, dass Menschen sich dafür einsetzen, dass der Dieselmotor weiterverwendet wird, auch wenn man es selbst für gesellschaftlich schädlich hält. Man muss umgekehrt auch aushalten, dass Produkte in einer veganen Fleischerei angeboten werden. Bei Morddrohungen ist stets die Grenze überschritten, da müssen wir nicht drüber reden.

Was raten Sie Menschen, die sich im Familien- oder Freundeskreis über aktuelle Fragen zerreißen?

Erstmal müssen wir alle bei uns selbst anfangen und die Frustrationstoleranz wieder erhöhen. Das Erregungslevel ist oft viel zu hoch. Es ist tatsächlich ratsam, gelassener zu bleiben. Toleranz bedeutet ja nicht, dass man die Meinung des anderen akzeptieren muss. Es reicht ein gleichberechtigtes Nebeneinander auszuhalten.

Bei den Religionen haben wir in Deutschland auch einst mühsam gelernt. Hier handelt es sich ja um Glaubenssysteme, die grundsätzlich nicht miteinander vereinbar sind, sich sogar widersprechen. Hier ist man aus guten Gründen nach blutigen Auseinandersetzungen zu einer gegenseitigen Toleranz gekommen, bei der nicht stets und ständig versucht wird, den anderen zu missionieren oder als des Teufels zu verfemen.

MDR

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Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalreport aus dem Studio Dresden | 30. Januar 2023 | 10:30 Uhr