Flutgedenken Inflation und Energiekrise verzögern Haushebung in Coswig

12. August 2022, 18:00 Uhr

Der Name sagt es bereits: Die Niederseite im Coswiger Stadtteil Brockwitz liegt niedriger als der Rest des Dorfes. Bei der Flutkatastrophe von 2002 und auch bei der Flut 2013 bekamen das die Anwohner zu spüren. Damit sie nicht mehr um ihre Gesundheit sowie ihr Hab und Gut bangen müssen, sollen ihre 24 Häuser angehoben werden. Doch der Start verzögert sich.

20 Jahre nach der Jahrhundertflut 2002 sollte es im Coswiger Stadtteil Brockwitz eigentlich diese Woche heißen: Pumpen marsch. Allerdings nicht um Wasser wegzupumpen, sondern um mit hydraulischen Pumpen das erste Haus im Flutgebiet anzuheben. Doch daraus wurde nichts.

Es stellt sich die Frage, ob es jetzt sinnvoll ist, das erste Haus anzufassen und dann festzustellen, dass wir es nicht geheizt kriegen.

Olaf Lier Coswiger Ordnungsamtsleiter

"Die Statik für fünf Häuser ist fertig. Von daher könnte es sofort losgehen. Allerdings haben wir im Moment das Problem, dass wir nicht wissen, wie es im Herbst von der Energieseite her aussieht. Es stellt sich die Frage, ob es jetzt sinnvoll ist, das erste Haus anzufassen und dann festzustellen, dass wir es nicht geheizt kriegen", erklärt Coswigs Ordnungsamtsleiter Olaf Lier, der das Projekt mit jeder Menge Eigeninitiative seit 2013 vorangetrieben hat. Erschwerend komme hinzu, dass auch die Baupreise durch die Decke gingen, so Lier.

Ganz Europa schaut auf Haushebung in Coswig

Insgesamt sollen auf der Niederseite in Brockwitz 24 Häuser um mehrere Meter angehoben werden. Sie wären dann etwa auf Höhe des restlichen Dorfes und damit nicht mehr von möglichen Überschwemmungen betroffen. Die Kosten dafür liegen laut Coswiger Stadtverwaltung bisher zwischen 100.000 und 150.000 Euro pro Haus.

Alles in allem stehen demnach 10,5 Millionen Euro zur Verfügung, mit denen auch die Höherlegung der Grundstücke und der Straße bezahlt wird. Das Modellprojekt, das andere Kommunen in ganz Europa interessiert beobachten, wird den Angaben zufolge durch Bund und Land über Förderprogramme finanziert, sodass die Anwohner nichts bezahlen müssen.

Idee nach Hochwasser von 2013 geboren

Entstanden ist die Idee für die Häuserhebung nach dem Hochwasser 2013. "Während wir beim Hochwasser 2006 mit viel Mühe den größten Schaden abwenden konnten, traf es Brockwitz 2013 fast genauso schlimm wie 2002. Das Wasser stand nur einen halben Meter tiefer. Beim Ausräumen der Häuser waren wir zwar schon effizienter, aber dennoch fragten sich die Menschen: Wie soll es jetzt dauerhaft weitergehen?", denkt Lier an die Zeit zurück.

Gewachsene Dorfstrukturen erhalten

In der Vergangenheit hätte man einfach neue Häuser auf der grünen Wiese gebaut und die Fläche geräumt. "Aber dann wäre auch die Struktur des Dorfes zerstört worden. Das sind ja alte Gehöfte mit einer jahrhundertealten Geschichte. Da steckt eine Seele dahinter und es gibt gewachsene soziale Beziehungen zwischen den Menschen", sagt der Ordnungsamtsleiter.

Ein Deich hätte die Brockwitzer Niederseite zwar ebenfalls schützen können, aber laut Lier 10 bis 12 Millionen Euro gekostet und Flächen verbraucht. "Hinzu kommt, dass hier in Brockwitz nur eine Reihe Häuser gefährdet sind, während es andernorts ganze Ortsteile sind. Sie müssen ja nur hoch zur Straße laufen und sind in Sicherheit. Von daher standen wir auf der Prioritätenliste für Deichbauprogramme nicht sehr weit oben."

Der Dammbau hätte doch Jahrzehnte auf sich warten lassen. Außerdem müsste ein Damm unterhalten und das Grundwasser abgepumpt werden. Im Vergleich dazu stehen die einmaligen Kosten für die Häuserhebung. Das hat mich überzeugt.

Udo Beier Anwohner der Niederseite in Coswig-Brockwitz

Haushebung statt Damm - Anwohner sind überzeugt

Ähnlich sieht das auch Anwohner Udo Beier. Der 43-Jährige war mit seinem Fachwerkhaus sowohl 2002 als auch 2006 und 2013 vom Hochwasser betroffen. "Der Dammbau hätte doch Jahrzehnte auf sich warten lassen. Außerdem müsste ein Damm unterhalten und das Grundwasser abgepumpt werden. Im Vergleich dazu stehen die einmaligen Kosten für die Häuserhebung. Das hat mich überzeugt", sagt der Kfz-Mechaniker, der noch heute große Dankbarkeit gegenüber den Helfern empfindet, die ihn in der Not unterstützt haben. "Das werde ich nie vergessen", sagt Beier.

Schockmomente nach Rückkehr in überflutetes Haus

An die schicksalhafte Zeit ab dem 12. August 2002, als plötzlich Starkregen einsetzte, erinnert er sich nach wie vor lebhaft. "Ich war am Montagabend noch an der Elbe und die stieg zusehends über die Elbwiesen. Am Dienstag hatte ich das das Wasser schon hinter dem Grundstück stehen und habe meinen Arbeitgeber informiert, dass es eng wird." Er habe dann Hab und Gut in Haus und Scheune so weit wie möglich nach oben geschafft, bevor sein Haus wenig später zwangsevakuiert wurde."

2,80 Meter habe das Wasser auf seinem Grundstück gestanden, sodass der Keller und die erste Etage seines Hauses komplett überflutet waren. Traumatisch war für Udo Beier vor allem die Rückkehr in sein Haus. "Das war wirklich ein Schock. Die Haustür ging nicht mehr auf und im Inneren war alles verschlammt." Er habe allein am Wohngebäude einen Schaden von 100.000 Euro gehabt, sagt der Coswiger.

Haus innerhalb von zehn Tagen um drei Meter gehoben

Als erstes Haus an der Niederseite soll sein Haus nun demnächst drei Meter angehoben werden. "Die Technik des Häuserhebens stammt aus dem Bergbau und wurde auch in Sachsen in den vergangenen Jahren vereinzelt praktiziert. Wir haben uns bei der Recherche unter anderem Häuserhebungen in Delitzsch angeguckt", berichtet Olaf Lier.

In Coswig-Brockwitz werde man dort, wo es eine Bodenplatte gibt, Pfähle im Boden verankern und dann das Haus computergesteuert Millimeter für Millimeter anheben. "Bei Fachwerkhäusern, wie dem von Herrn Beier, wo keine durchgehende Bodenplatte existiert, werden wiederum Stahlstreben in den Wänden verankert und dann eine Bodenplatte gegossen, wo die Pfähle für die Hebung gleich integriert werden", beschreibt Lier das Procedere.

Die Bewohner der Häuser können während der Hebung im Haus bleiben. "Das ist der Vorteil dieser Methode, weil auch die Versorgungsleitungen so präpariert werden, dass sie flexibel mitgehoben werden", erklärt Bauingenieur Clauspeter Weyel, der die Statik für das Projekt berechnet hat. Pro Tag hebe man das Haus um 30 Zentimeter, sodass die Hebung nach zehn Tagen beendet ist, sagt der 74-Jährige, der für die Ruhrkohle AG seit den 1980er-Jahren unzählige Haushebungen im Ruhrgebiet begleitet hat.

Im Großraum Lünen haben wir die Häuser im Schnitt um 30 bis 40 Zentimeter gehoben. Die bis zu drei Meter in Coswig-Brockwitz sind jetzt noch einmal eine andere Herausforderung.

Clauspeter Weyel Bauingenieur

Wertsteigerung nach Haushebung

"Im Großraum Lünen waren Wohnhäuser durch den Bergbau in Schieflage geraten. Dort haben wir sie im Schnitt um 30 bis 40 Zentimeter gehoben. Die bis zu drei Meter in Coswig-Brockwitz sind jetzt noch einmal eine andere Herausforderung", sagt Weyel.

Neben dem Flutschutz sieht er einen weiteren Vorteil der Häuserhebung: "Für die Bewohner und ihre Kinder ist das eine gute Sache, weil die Häuser dann auf einen Schlag mehr wert sind". Abseits von zwingend notwendigen Projekten hat der Ingenieur auch schon Häuser aus Gründen des Komforts gehoben. "Ich habe mal ein Haus für einen Zahnarzt gehoben. Den hat eine Hochwasserschutzwand gestört, weil er von seiner Terrasse aus nicht mehr auf den Fluss blicken konnte", berichtet Weyel.

MDR

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