Erzgebirgische Dorfgeschichten Karl May und wie das Erzgebirge aus Versehen geschaffen wurde

19. September 2022, 19:30 Uhr

Ist das Erzgebirge durch ein Malheur entstanden? Das sagt zumindest Karl May. "Die Schaffung des Erzgebirges aus Versehen, durch die beiden Götter Pluto und Vulkan, ist eine Hommage ans Erzgebirge", sagt Joachim Biermann, Vorsitzender der Karl-May-Gesellschaft über die Erzählung "Das Geldmännlein". Am Montag wurde im Karl-May-Museum in Radebeul ein neues Werk mit dem Titel "Erzgebirgische Dorfgeschichten" aus einer frühen Schaffensphase des Autors präsentiert.

Der Kosmos von Karl May ist noch viel größer als Winnetou und Old Shatterhand. Der Schriftsteller, der 1842 in Hohenstein-Ernstthal geboren wurde, verfasste unter anderem auch Erzgebirgische Heimatgeschichten. Und die sind nach über 100 Jahren im Auftrag der Karl-May-Gesellschaft in Radebeul jetzt als Buch neu erschienen.

Ortserkundung als Gauner

"Es war seine Heimat, er hat sich immer als Erzgebirger gefühlt", sagt Joachim Biermann, auch wenn der Geburtsort Hohenstein-Ernstthal eher am Rande des Mittelgebirges liege. Unterwegs in der Gebirgsregion sei der Autor aber auf jeden Fall gewesen. "Er war zu seiner Straftäterzeit vagabundierend im Erzgebirge unterwegs", sagt der Historiker und verweist damit auf eine Zeit, in der der Autor immerhin per Steckbrief gesucht wurde wegen seiner Gaunereien, darunter Betrug, Diebstahl und Hochstapelei. Aufgegriffen wurde er schließlich im böhmischen Grenzgebiet und inhaftiert in Mittweida. "Die öffentliche Wahrnehmung bezieht sich nur auf einen kleinen Teil des Werks, aber sein Leben ist genauso interessant", sagt Joachim Biermann.

Die öffentliche Wahrnehmung bezieht sich nur auf einen kleinen Teil des Werks, aber sein Leben ist genauso interessant.

Joachim Biermann

Seine Dorfgeschichten schrieb Karl May nach der Haftzeit. Sie wurden später in Zeitungen veröffentlicht – bis der Autor sie später noch einmal aufgriff und eine Sammlung erstellte, die als "Erzgebirgische Dorfgeschichten" veröffentlicht wurde. Auf dieser basiert die am Montag veröffentlichte historisch-kritische Ausgabe des Werks. Biermann, der sie selbst bearbeitet hat, nennt sie die "Ausgabe letzter Hand".

In diese letzte Sammlung schummelte Karl May übrigens zwei Geschichten, die er nachweislich erst in der Editionszeit schrieb. "Er hat 1903, als er die Geschichten zusammenstellen wollte, suggerieren wollen, dass sein Werk einem einheitlichen Konzept folgte", mutmaßt Joachim Biermann. Zu den späteren Geschichten gehöre auch die vom Geldmännlein, in der sich die Schöpfungsgeschichte des Erzgebirges befindet.

Blick auf Mauersberg im Erzgebirge
Das Erzgebirge war die frühe literarische Heimat Karl Mays. Bildrechte: imago/Hanke

 Vor Winnetou gab’s Dorfgeschichten

Bevor es ihn literarisch in die Welt hinauszog, bediente Karl May sich seiner näheren Umgebung als Schauplätze für seine Geschichten. "Er hat zu Beginn seiner Karriere alle möglichen Genres bedient", sagt Joachim Biermann. Das zeige sich auch in seinen Dorfgeschichten, in denen sich Kriminalfälle, Liebesgeschichten und das Aufdecken von Geheimnissen finden. Der aus Hohenstein-Ernstthal stammende Autor probierte sich aus und testete, was dem zahlenden Publikum gefiel.

Karl May
Auch wenn bis heute seine Geschichten aus dem wilden Westen bekannt geblieben sind, versuchte Karl May seinerzeit auch lokale Erzählungen zu veröffentlichen. Bildrechte: picture alliance / dpa | -

"Es hat sich als am lukrativsten gezeigt, exotische Geschichten zu schreiben", sagt dazu der Werkkenner Biermann. "In den Erstfassungen, sofern sie für uns greifbar sind, finden sich erkennbare Versuche, etwas Dialekt wieder reinzubringen", erklärt er. Allerdings hatten dann Redaktionen von Zeitungen, die die Geschichten abdruckten, häufig zum Rotstift gegriffen und die Anklänge des Dialektes entfernt, um auch das eigene Publikum zu begeistern.

Auch daher habe es im Laufe der Zeit immer weniger Geschichten gegeben, die in Deutschland spielen – ganz aufgehört habe Karl May mit dem Schreiben von Heimatliteratur aber nie.

Nächster Band als Liebeslied an die Heimat

Wie Joachim Biermann verrät, wird sich auch der nächste Band der historisch-kritischen Gesamtausgabe, die seine Gesellschaft herausgibt, den Geschichten aus dem Erzgebirge widmen. Dabei handele es sich, so Biermann, vor allem um diejenigen, die es nicht in Karl Mays eigene Sammlung schafften. Dazu gehört auch "Die Rose von Ernstthal", einer der ersten Texte, die Karl May überhaupt jemals schrieb. – "Es ist eine erzgebirgische Geschichte, aber keine Dorfgeschichte, sondern eher eine historische Geschichte".

Biermann zufolge handelt die Erzählung im Gegensatz zu den anderen Dorfgeschichten, die an fiktiven Orten spielen, am konkreten Ort Ernstthal - eine Liebesgeschichte an die Heimat des Autors. Das Buch soll, wie auch das aktuelle, mit einem Anhang voller Informationen über die Editionsgeschichte der Werke versehen werden und noch in diesem Jahr erscheinen.

"Wir wollten von Anfang an nicht nur die Wissenschaft, sondern auch das lesende Publikum ansprechen", sagt Joachim Biermann. Bislang wurden im Rahmen der Herausgabe der historisch-kritischen Gesamtausgabe schon über 70 Buchbände publiziert. In den kommenden Jahren sollen es mehr als 100 werden.

 

MDR (sho)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 19. September 2022 | 19:00 Uhr

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