Mehr als Senf und NostalgieWie eine Influencerin den Blick auf den Osten verändern will
Wer denkt, dass Ost- oder Westdeutschland für junge Leute keine Rolle mehr spielt, irrt. Auf Instagram beschäftigt sich OIivia Schneider intensiv mit ihrer ostdeutschen Herkunft. Mit lustigen Koch-Videos und Alltagsaufnahmen aus Sachsen zeigt sie, was den Osten ausmacht. Warum das 21.000 Abonnenten gefällt und wieso es ihr wichtig ist, wie der Osten wahrgenommen wird, hat Eleonore Grahovac die selbsternannte Ostfluencerin gefragt.
- Neu interpretierte Rezepte aus einem DDR-Klassiker-Kochbuch sollen zum Schmunzeln und Nachkochen anregen.
- Die Influencerin Olivia Schneider will mit negativen Ostdeutschland-Klischees aufräumen.
- Wie das Senfeis zum Selbermachen schmeckt, hat MDR-Reporterin Eleonore Grahovac mit der selbsternannten Ostfluencerin ausprobiert.
Was in Kochvideos auf Instagram erscheint, als habe sich da jemand mal eben nebenbei beim Kochen gefilmt, erfordert in echt viel Vorbereitung. Das sieht man heute in der Küche von Olivia Schneider. Die Influencerin will auf ihrem Instagram-Account @tumvlt für ihre Internet-Fans ein Video von einem Eis-Rezept drehen. Das muss sie aber erstmal testen. Ob Bautzner-Senf-Eis wirklich schmeckt?
Senf sells
Ein Bautzner-Senfstollen, Bautzner-Senf-Räucherkerzen oder eine Bautzner-Senf-Torte: Auf dem Instagram-Account von Olivia Schneider wimmelt es nur so von absurden Kochvideos. Sie weiß, wie gut sowas im Internet ankommt. In ihrem Studium an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden hat sie sich viel mit sozialen Medien beschäftigt. Sie möchte auf Instagram die Aufmerksamkeit auf den Osten lenken und bezeichnet sich deshalb als Ostfluencerin.
Sächsische Schlemmergrüße in die Welt
Auf ihrem Account sieht man viele Videos, in denen sie Rezepte der kalten Küche der 80er-Jahre aus dem DDR-Kochbuch "Wir kochen gut" nachmacht. Da sieht man zum Beispiel den "Würstchenmax", ein Gesicht aus Eierscheiben, Würstchen, Möhren und saurerer Gurke in Aspik oder den "Birnen-Igel", eine Birne, bespickt mit Mandelsplittern, auf einem See aus Schokosoße. Olivia kommt aus Sachsen. Obwohl sie ein Kind der 90er ist, identifiziert sie sich als Ostdeutsche. Das hat nicht nur mit der Küche zu tun, mit der sie aufgewachsen ist, erzählt Olivia.
"Man hat viel mitbekommen, wie die eigene Familie in den 90er-Jahren diesen Umbruch verarbeitet hat. Schon als Kind waren mir Worte wie "Wende" oder "Wessi" ein Begriff."
Tour de Sachsen: "Like", wer's kennt und fühlt
Prägend für Olivias Ost-Identität seien auch bestimmte Orte. In ihren Videos besucht sie zum Beispiel das Eiscafé "Eis Grafe Eula" in Nossen, das für sie ein typisch ostdeutscher Ort ist, genauso wie der Urzeitpark Sebnitz. Warum solche Videos vielen Leuten gefallen?
"Viele können sich damit identifizieren, weil sie ihre Kindheit oder Jugend hier verbracht haben und sich dann so'n bisschen erinnert fühlen. In den Videos erkennen sich einfach viele wieder“, erklärt Olivia.
Bitte keine (N)ostalgie!
Zwar verleiten die Videos zu nostalgischen Gefühlen, aber darum gehe es ihr nicht, sagt Olivia. Ebenso wenig um eine Romantisierung der DDR. Sie wolle mit ihren Videos die Stimmung im Osten einfangen und ein bestimmtes Lebensgefühl beschreiben.
"Viele schreiben mir, dass das für sie den Osten positiver besetzt und dass sie ihre eigene ostdeutsche Herkunft durch die Videos positiver begreifen können." Dass das vielen wichtig ist, die nach der Wende im Osten aufgewachsen sind, könne sie gut verstehen.
Ostdeutschland: Rückständig und Rechts?
"Weil viele eben diese Erfahrung machen, dass man von außen zugeschrieben bekommt, dass ostdeutsch sein bedeutet, irgendwie anders zu sein." Auch Olivia hat diese Erfahrung gemacht. Mit ihrer ostdeutschen Identität setze sie sich erst auseinander, seit sie erstmals mehr Kontakt mit Westdeutschen hatte, von denen sie gespiegelt bekommen habe, dass der Osten "rückständig" oder "total rechts" sei.
Olivia will mit Instagram diesen Vorurteilen ein positiveres Bild entgegensetzen. Das ging los, als sie vor einem Jahr ein Video von ihrem Sommer in Sachsen postete mit dem Titel "Living la ostdeutsche Vita". Unter diesem Video sei eine riesige Ostdeutschland-Debatte aufgemacht worden, an der man erkennen könne, wie generell über Ostdeutschland gesprochen werde, erzählt Olivia. "Es wird kritisiert, wenn man über den Osten nur etwas Positives zeigt. Also super viele Leute haben dann geschrieben, aber wo ist denn die AfD-Demo, wo sind die Deutschlandfahnen?"
Gegen das Schubladendenken
Olivia wolle die Probleme zwar nicht kleinreden, aber ein differenziertes Bild verbreiten. Sie hofft, dass sich junge Leute, egal, woher sie kommen, durch ihre Videos mehr mit dem Osten auseinandersetzen. Zwar sei ihr wichtig, dass die Leute erkennen, dass im Osten seit der Wende politisch viel schiefgelaufen sei, aber: "Ich wünsche mir, dass die Leute erkennen, dass der Osten total vielfältig ist und dass es hier viele Initiativen gibt, die es sich zu unterstützen lohnt und dass die Leute trotz der Wahlergebnisse hierbleiben und sich weiter für eine weltoffene Gesellschaft einsetzen."
Ich wünsche mir, dass die Leute erkennen, dass der Osten total vielfältig ist und dass es hier viele Initiativen gibt, die es sich zu unterstützen lohnt und dass die Leute trotz der Wahlergebnisse hierbleiben und sich weiter für eine weltoffene Gesellschaft einsetzen.
Olivia Schneider | Selbsternannte Ostfluencerin
Wie Senf-Eis schmeckt
Und was ist jetzt mit dem Senf-Eis? In Olivias Küche ist so langsam Zeit für eine Kostprobe. Wir probieren beide einen Teelöffel… und was soll man sagen… es schmeckt echt gut! Und lässt sich außerdem hübsch anrichten, wie Olivia ein paar Wochen später auf ihrem Instagram mit diesem hübschen Video zeigt.
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MDR (kav)
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Der Tag | 26. August 2024 | 10:20 Uhr
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