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Zu ihrem Jubiläum lassen sich die Dresdner Sinfoniker von Robotern dirigieren. Bildrechte: Dresdner Sinfoniker

KI und KunstWenn die Maschine dirigiert: Premiere für "Robotersinfonie" in Dresden

13. Oktober 2024, 11:00 Uhr

Zu ihrem 25. Jubiläum boten die Dresdner Sinfoniker am Samstag eine sehr ungewöhnliche Uraufführung. Bei der "Robotersinfonie" dirigierte ein dafür programmierter Roboter einen Teil des Programms. Die Musik wurde eigens für den Anlass komponiert. Bei der Premiere im Dresdner Festspielhaus Hellerau gab es begeisterten Beifall. Auch der Roboterhund Spot des Unternehmens Boston Dynamics hatte seinen Auftritt. In einer Choreographie hatten Dresdner Gymnasiasten gemeinsam mit Spot interagiert. Das Ergebnis war als Kurzfilm in einem Einspiel zu sehen. Am Ende erschien der vierbeinige Roboter leibhaftig im Saal und bekam von Intendant Rindt einen Knochen aus Kunststoff spendiert. Lesen Sie hier einen Blick hinter die Kulissen der "Robotersinfonie".

Markus Rindt, Intendant der Dresdner Sinfoniker, braucht Geduld, wenn er dem Roboterarm das Dirigieren beibringt. Beide stehen vor einem großen Bildschirm, der die Partitur zeigt, in einem eher kargen Raum des Centre for Tactile Internet with Humans-in-the-Loop (CeTI), einem Exzellenzcluster der Technischen Universität Dresden. Dort wird die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine erforscht und verbessert. Mit den Roboterexperten arbeitet Markus Rindt hier Hand in Hand.

Dirigent Markus Rindt zeigt einem Roboter, wie man dirigiert. Bildrechte: Dresdner Sinfoniker

Roboter lernt vom Dirigenten

Der Arm des Roboters, erklärt Rindt, habe sieben Gelenke: "Man kann ihn drehen, man kann ihn strecken und in alle Richtungen bewegen. Diese sieben Gelenke wirken schon fast so wie ein normaler Arm." Eng schmiegt sich sein eigener Arm an den der Maschine, die jeder seiner Bewegungen folgen und sie sich merken soll. Allerdings funktioniert der Roboter nach eigenen Gesetzen.

Wenn er mit voller Wucht nach unten schlage, erklärt Rindt, um das Orchester mal so richtig zu inspirieren: "Wumm! Dann stoppt er." Der Roboter habe einen Sicherheitsmechanismus eingebaut, damit er niemanden verletzt und nichts kaputtgeht. Diese Limitation sei für Rindt eine große Herausforderung gewesen: "Ich musste mich an den Roboter anpassen und lernen, was möglich ist", so der Dresdner Dirigent. Rindt musste eine Phrase bis zu 40 Mal dirigieren, bis sie den hohen Ansprüchen aller Beteiligten entsprach und abgespeichert werden konnte.

Wie die Idee in Dresden entstand

Die Idee, ein Orchester von einem Roboter dirigieren zu lassen, beschäftigt Markus Rindt schon seit mehr als 20 Jahren. Auslöser war 2001 ein Konzert der Dresdner Sinfoniker mit Kompositionen von Conlon Nancarrow für Player Piano – einem Musikautomaten, bei dem ein Klavier mit Lochkarten anstatt mit Händen bespielt wird. Diese Kompositionen sind hochkomplex, beispielsweise müsste die linke Hand etwas komplett anderes spielen als die rechte.

Rindt erinnert sich noch deutlich an die damaligen Proben: "Da sagte der Fagottist zum Dirigenten Michael Helmrath: 'Herr Helmrath, Sie dirigieren die Klarinette im Dreiviertel-Takt. Ich habe einen Fünfachtel, auch noch ein ganz anderes Tempo. Was soll ich denn jetzt machen, mich dirigiert ja keiner?'" Damals habe Helmrath geantwortet: "Ich bin ja kein Roboter", erinnert sich Rindt.

Die Bewegungen eines Roboterarms sind eingeschränkt. Die Dresdner Sinfoniker haben gelernt, damit zu arbeiten. Bildrechte: Dresdner Sinfoniker

Dresdner Sinfoniker spielen komponiertes Chaos

Um die sich durch den Roboter eröffnenden Möglichkeiten musikalisch auszuloten, wurden für das Konzert zum 25. Jubiläum Komponisten eingeladen, Stücke zu schreiben. Andreas Gundlach ist einer davon. Für seine Komposition "Semiconductor’s Masterpiece" – ein Wortspiel, das sowohl auf den Halbleiter, als auch auf den musikalischen Leiter verweist – lässt er die Dresdner Sinfoniker in einer kleinen Besetzung mit 16 Bläsern und vier Percussionisten von drei Roboterarmen dirigieren, die jeweils einen andersfarbig leuchtenden Taktstock führen.

Ich kann das Orchester jetzt Chaos spielen lassen.

Andreas Gundlach, Komponist

Der Komponist Andreas Gundlach findet es besonders spannend, das Orchester mit Hilfe des Maschinen-Dirigenten Chaos spielen zu lassen und mit unterschiedlichen Taktarten, zum Teil unterschiedlichen Tonarten, dafür zu sorgen, "dass das zusammen trotzdem wie aus einem Guss klingt." Diese Herausforderung habe ihn jedoch durchaus schlaflose Nächte gekostet, berichtet er.

Andreas Gundlach schrieb das Stück "Semiconductor’s Masterpiece". Es wird in Dresden uraufgeführt. Bildrechte: Dresdner Sinfoniker

Spektakuläre Konzerte an der Elbe

In den 25 Jahren, die es die Dresdner Sinfoniker inzwischen gibt, sind ausgefallene Konzerte mit zeitgenössischer Musik zum Markenzeichen des Orchesters geworden. Die Musikerinnen und Musiker spielen weltweit in renommierten Ensembles, drei- bis vielmal im Jahr kommen sie für die ambitionierten Projekte der Sinfoniker zusammen.

Im Jahr 2006 spielte die britische Popband Pet Shop Boys gemeinsam mit den Dresdner Sinfonikern auf den Balkonen eines Plattenbaus. Bildrechte: MDR/adhoc Film/Jürgen Männel

2006 spielten sie beispielsweise die "Hochhaussinfonie": ein neu vertonter Soundtrack zu Sergej Eisenstejns Stummfilmklassiker "Panzerkreuzer Potemkin", bei dem das Orchester zusammen mit den Pet Shop Boys von den Balkonen eines Plattenbaus in der Dresdner Innenstadt zur Filmprojektion spielte. Spektakulär und technisch ambitioniert war auch das erste Ferndirigat weltweit, bei dem Michael Helmrath in der Fußgängerzone in London stand, die "Star Wars"-Ouvertüre dirigierte und via Satellit als Hologramm in den Konzertsaal übertragen wurde, wo das Orchester saß.

2020 spielten dann erneut Hochhäuser eine Rolle bei "Himmel über Prohlis". Damals verteilten sich die Musikerinnen und Musiker auf den Dächern von zehn- und 17-geschossigen Wohnblocks und spielten von dort aus ihr Konzert zusammen mit vier Alphornquartetts.

Industrie profitiert von dem Kunstprjekt

Nun also die "Robotersinfonie". Es hat mehrere Anläufe gebraucht, bis Intendant Markus Rindt für seine Idee in den Wissenschaftlern von CeTI aus Dresden die idealen Partner gefunden hatte. Ohne sie wäre das Projekt – technisch wie auch finanziell – nicht zu stemmen gewesen. Letztlich ist es auch für ihre Robotik-Forschung ein Gewinn.

Die Bewegungen von Markus Rindt werden dem Roboter an der Technischen Universität Dresden fest einprogrammiert. Bildrechte: Dresdner Sinfoniker

Lerning by demonstration – Lernen durch Vorführung, so nennt sich das Prinzip. Es geht um ein Programm zum Skilltransfer, erläutert Gruppenleiter Frank Peters, "mit der zentralen Frage, wie denn ein Skill transferiert wird, also die Fähigkeit zu dirigieren." Peters will herausfinden: "Wie kriegen wir das vom Menschen in die Maschine. Aber auch anders herum." Ihn erstaune, was Rindt für "wirklich exzellent aussehende Roboterbewegungen" hinbekomme.

Die Bewegungen, die so durch das Dirigieren in die Roboter hineinprogrammiert wurden, könnten künftig in der industriellen Fertigung für filigranere Handgriffe eingesetzt werden.

Roboter werden keine Konzerte geben

Die Dresdner Sinfoniker zeigen mit der "Robotersinfonie" einmal mehr ihre Affinität und Begeisterung für technische Spielereien. Jedoch: "Was mir am meisten ins Auge springt", meint der Komponist Andreas Grundlach, "was so ein unglaublicher Mechanismus so ein Mensch ist – dass das Dirigieren geräuschlos geht, mit einem enormen Tempo." Das schaffe ein Roboter noch nicht. Dabei fasziniert den Komponisten auch das musikalische Experiment.

Der Mensch als Dirigent – mit all seiner nicht zu unterschätzenden Mimik und Gestik – wird also keinesfalls in Zukunft abgeschafft werden. Aber das war auch nicht der Ansatz von Markus Rindt. Er vergleicht die Weltpremiere der "Robotersinfonie" vielmehr mit dem Aufkommen der Synthesizer in den 1960er-Jahren: "Man hat ja doch einen unglaublichen Klangkosmos eröffnet", erinnert sich der Musiker. "Hier ist es eben nicht das klangliche Neuland, sondern das rhythmische Neuland, das man betritt."

Markus Rindt kann sich jedenfalls weitere "Robotersinfonien" vorstellen. Und so kann man die beiden Konzerte zum 25. Jubiläum der Dresdner Sinfoniker durchaus als einen ersten Impuls verstehen, in dieser Richtung weiter zu experimentieren.

Auch in Zukunft wollen die Dresdner Sinfoniker mit KI und Robotik experimentieren. Bildrechte: Dresdner Sinfoniker

Weitere Informationen

Jubiläumskonzert
zum 25. Geburtstag der Dresdner Sinfoniker
mit Werken von Wieland Reissmann, Andreas Gundlach und anderen
unter Leitung von Magnus Loddgard

Adresse:
Hellerau – Europäisches Zentrum der Künste Dresden
Karl-Liebknecht-Straße 56
01109 Dresden

Termine:
12. Oktober 2024, 20 Uhr
13. Oktober 2024, 15 Uhr

Stream:
Der zweite Termin des Konzerts aus Dresden wird unter diesem Link auch online live übertragen.

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 11. Oktober 2024 | 07:40 Uhr