Interview "Alltagsrassismus statt Dialog": Experte kritisiert Ausstellungs-Absage in Pirna
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19. September 2024, 15:04 Uhr
Die Absage einer Ausstellung über Geflüchtete in Pirna hat für eine Welle der Empörung gesorgt. Das Landratsamt des Kreises sächsische Schweiz-Osterzgebirge hatte die Schau bereits vor der Eröffnung wieder abgebaut, weil sie polarisiert habe. Für den Magdeburger Politikpsychologen Thomas Kliche ist dieses Vorgehen Zensur und von Rassismus motiviert. Im Interview bei MDR KULTUR erläuterte er außerdem, warum die Absage aus seiner Sicht den Kern von Demokratie und Kunstfreiheit angreift.
- Die im Landratsamt Pirna geplante Ausstellung über Geflüchtete war vergangene Woche kurz nach dem Aufbau wieder abgebaut worden.
- Der Magdeburger Politikpsychologe Thomas Kliche kritisiert das Vorgehen des Landratsamts in Pirna und wirft der Behörde Zensur und Alltagsrassismus vor.
- Er sieht durch mangelnde Empathie die Demokratie bedroht – und in der Absage einen Angriff auf die Kunstfreiheit.
Zum Hintergrund: Die Ausstellung mit dem Titel "Es ist nicht leise in meinem Kopf" sollte im Rahmen der Interkulturellen Woche am 25. September im Landratsamt in Pirna eröffnet werden. Sie tourt bereits seit rund einem Jahr durch Sachsen und war unter anderem im sächsischen Landtag zu sehen. Die Schau dokumentiert das Schicksal von 35 geflüchteten Menschen, die in Schwarzenberg und Umgebung Zuflucht gefunden hatten. Dabei wird auch Kritik an der Situation der Geflüchteten in Deutschland thematisiert. Am Tag nach dem Aufbau der Ausstellung ließ das Landratsamt sie am 12. September wieder abbauen. Zur Begründung hieß es fünf Tage später, die Ausstellung habe "bereits in den ersten Stunden nach ihrem Aufhängen" polarisiert. Sie sei "nicht geeignet, Vorurteile abzubauen, (...) sondern vielmehr diese noch zu verstärken".
MDR KULTUR: Kann man eine Ausstellung, in der kritische Äußerungen vorkommen, einfach so wieder abbauen und im Hinterzimmer verschwinden lassen? Was sagt dieser Vorgang aus?
Thomas Kliche: Da sind zwei schlimme Dinge und ein ganz schlimmes passiert. Das erste ist ja: Statt Dialog passiert platter Alltagsrassismus. Das zweite ist: Das wird durch Zensur in einer verfassungsgebundenen Instanz exekutiert, also da wird nicht geredet oder verständigt. Dieser Verein hat ja einen Vertrag, er hat einen öffentlichen Auftrag gehabt und jetzt wird er zum Schweigen gebracht. Das dritte Ding und das ganz schlimme dahinter aber betrifft ja einen Kern von Kunst und einen Kern von Demokratie. Zur Kunst gehört die Provokation zum Neu-Denken. Also wozu gucken wir uns Kunst an? Doch nicht, weil sie so erbaulich ist und danach verdauen wir besser, sondern weil sie unseren Kopf in eine andere Richtung bringt. Das wird hier abgelehnt, also genau diese Provokation durch einen öffentlichen Raum, durch ein kulturelles Angebot. Und dann soll halt Ruhe im Karton sein.
Statt Dialog passiert platter Alltagsrassismus.
Das Perfide daran ist die Begründung für die Zensur. Wer stört, wird zum Schweigen gebracht. Wenn man da eine historische Parallele ziehen will: Das war natürlich genau die perfide Begründung der Nazis für Schutzhaft – diese Leute verursachen Ärger, also werden sie vorsorglich zum Schweigen gebracht. Das Gemeine an diesem Grundmodell ist natürlich, dass man verallgemeinern kann. In dem Moment, wo irgendwo ein kulturelles Angebot Ärger auslösen könnte, muss man es zensieren. Und das ist natürlich etwas, was für die nächsten Jahre mit bösem Bauchgrimmen erfüllt.
Können Sie sich eigentlich vorstellen, was dort für Ärger gesorgt hat? Können Sie diese Position irgendwie nachvollziehen?
Ich kann nachvollziehen, dass das Landratsamt keine Lust auf Diskussionen hat, denn diese Diskussionen sind oft unersprießlich und wir haben es ja mit sehr starken Minderheiten zu tun, die mit großer Militanz ihre Vorurteile und ihre Ressentiments vertreten. Also dass man da einfach versucht, die Mitarbeiter irgendwie aus unangenehmen Dingen rauszuhalten, wäre noch nachvollziehbar.
Die Botschaft ist ja: Da sind Gruppen, die Ansprüche formulieren, und die wollen wir nicht hören.
Aber die Botschaft ist ja: Da sind Gruppen, die Ansprüche formulieren, und die wollen wir nicht hören. Das ist zumindest sehr mehrdeutig. Man kann dem Landratsamt noch im günstigsten Sinne unterstellen, dass es keinen Dialog, sondern Ruhe wollte. Aber im ungünstigsten Sinne wird da eine Minderheit zum Schweigen gebracht und damit auch eine Wir-Gruppe konstruiert – wir sind diejenigen, die reden dürfen, die dürfen nichts sagen.
Wäre es denn möglich gewesen, hier zwei offenbar völlig unterschiedliche Seiten zusammenzubringen? Auf der einen Seite die Ausstellungsmacher, dazu gehören ja auch Geflüchtete, und auf der anderen Seite vielleicht ein emotional verletztes Landratsamt.
Das halte ich inzwischen für utopisch. Wir haben inzwischen einen Organisationsgrad einer faschistisch beeinflussten rechtsextremen Partei, die nicht mehr zulässt, dass man da viel erwartet von Aufklärung, von Kritik, von Verständigung. Das heißt, es geht darum, wenn wir einen öffentlichen Dialog überhaupt aufrechterhalten wollen, dass man möglichst allen Positionen eine Stimme gibt. Und das heißt, man hätte mindestens den organisierenden Verein oder die organisierende Initiative aus der Zivilgesellschaft irgendwie zu Wort kommen lassen müssen. Wenn man sagt, diese Gruppe darf aber nichts sagen, ist das in meinen Augen wie gesagt ziemlich platter Alltagsrassismus.
Denken Sie, dass in dem jetzigen politischen Klima auch eine gedeihliche Diskussion entstehen kann?
Das ist alles ziemlich verkorkst, weil hier drei Probleme ineinander greifen – ein moralisches, ein psychologisches und ein politisches. Moralisch ist es so, dass Geflüchtete überhaupt nicht dankbar sein müssen. Asyl ist ein Grundrecht. Das Problem setzt aber sofort ein, denn dieses Recht bedeutet nicht das Grundrecht auf einen bestimmten Lebensort und Lebensstandard. Darüber wird ja im Moment sehr bösartig und sehr wütend verhandelt. Da sind wir dann sofort auf einer psychologischen Ebene, die mehrdeutig ist. Auf der einen Seite kann man sagen, da werden Leute gegeneinander ausgespielt, da geht es um Neid. Auf der anderen Seite geht es aber auch um Gerechtigkeitsempfinden. Es geht aber auch um das Wissen, dass man über eine Minderheit mit sehr, sehr schweren biographischen Hintergründen redet.
Es geht auch um den Aufwand für Empathie, den man für eine Diskussion eigentlich erwarten kann. Das ist eigentlich das Bedrohliche für die Demokratie: Die Menschen treiben keinen Aufwand mehr für Einfühlungsvermögen, sondern es geht nur noch um das Austragen von Konflikten durch Macht – und damit sind wir dann auch auf der politischen Ebene. Da wird eben deutlich: Das ist keine redefähige Gruppe, die darf man ungestraft zum Schweigen bringen. Wir sind die, die miteinander reden können, und zwar die Mehrheit derer, die da Einfluss hat. Das heißt, es wird eine schlicht autoritäre Antwort auf sehr schwierige und offene Probleme bis in ihre moralischen Verzweigungen vorgeschlagen. Das ist als Modell im Moment ziemlich fatal, gerade auch für den Kulturbereich.
Quelle: MDR KULTUR (Julia Hemmerling), redaktionelle Bearbeitung: lig, hki
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 19. September 2024 | 07:10 Uhr