Familiengeschichte als TanztheaterKhuê Phams Erfolgsroman in Dresden erstmals auf der Bühne
Der Erfolgsroman "Wo auch immer ihr seid" von Khuê Pham wird im Dresdner Festspielhaus Hellerau als Tanztheaterstück aufgeführt. Die Autorin hat als Tochter vietnamesischer Einwanderer ihre eigene Familiengeschichte verarbeitet. Sie erzählt von den Auswirkungen des Vietnamkrieges, aber auch von der Schwierigkeit das Schweigen über das Erlebte zu brechen.
- Die Autorin und Journalistin Khuê Pham erzählt in ihrem Roman von Familien, die aus Vietnam geflohen sind.
- Gemeinsam mit der Choreografin Fang Yun Lo wurde in Dresden daraus das Stück "Kim" entwickelt.
- Für die Produktion hat sich das ganze Ensemble mit der eigenen Familien- und Migrationsgeschichte beschäftigt.
Das Bühnenstück in Dresden beginnt wie die Romanvorlage von Khuê Pham: "Ich muss diese Geschichte mit einem Geständnis beginnen: Ich kann meinen eigenen Namen nicht aussprechen." Die Hauptheldin in "Wo auch immer ihr seid" nennt sich daher in Kim um, weil das einfacher für ihre deutschen Freundinnen ist. So heißt nun auch das Tanztheaterstück am Festspielhaus Hellerau ganz einfach: "Kim".
Für die Autorin selbst war und ist eine solche Umbennenung keine Option. Dennoch gibt es zwischen Khuê Pham und ihrer Romanfigur zahlreiche Parallelen. Beide sind Töchter vietnamesischer Einwanderer, in Berlin aufgewachsen und haben sich bis ins Erwachsenenalter hinein nicht mit den eigenen Wurzeln beschäftigt.
Roman über Vergangenheit und Migration
Nach der Anfrage eines Literaturagenten hat sich Khuê Pham dem Thema dann schließlich doch gewidment – wenn auch mit großem Widerwillen, wie sie sagt: "Ich hatte irgendwie Scheu, so sehr ans Eingemachte meiner eigenen Familiengeschichte zu gehen." Mit ihren Verwandten in Kalifornien und Vietnam hat sie dafür stundenlange Interviews geführt, hat recherchiert und Dinge zutage befördert, die selbst ihre Eltern nicht von den eigenen Geschwistern wussten.
Das hat Khuê Pham, mehrfach ausgezeichnete Journalistin, in ihrem Erfolgsroman "Wo auch immer ihr seid" verarbeitet. Nach der Veröffentlichung des Buches hätten sich viele andere Vietnamesen ihres Alters gemeldet, berichtet die Autorin.
Viele Vietnamesen der zweiten Generation kamen auf mich zu und meinten: In meiner Familie gibt es das gleiche Schweigen.
Khuê Pham, Journalistin und Schriftstellerin
Tanz-Stück in Dresden versammelt Erinnerungen
Nun hat Khuê Pham mit "Kim" den Stoff ihres Romans für eine Tanztheater-Inszenierung aufbereitet. Die Idee dazu hatte die Choreografin und Regisseurin Fang Yun Lo. Die gebürtige Taiwanesin interessierte daran nicht allein die postmigrantische Perspektive auf die Geschichte und den Krieg in Vietnam. Es ging ihr nach eigener Aussage auch darum, wie es gewesen ist, in einem fremden Land mit einer komplett anderen Kultur anzukommen und sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Durch ihre eigenen Erfahrungen als Migrantin in Deutschland habe sie sich gut in die Situation des vietnamesischen Vaters hineinversetzen können, sagt Fang Yun Lo.
Daher war es ihr für die Inszenierung auch wichtig, mit Darstellerinnen und Darstellern zusammenzuarbeiten, die einen ähnlichen Background haben. Bei "Kim" wechseln sich einerseits von Khuê Pham gelesene Textpassagen mit szenischen Choreografien ab. Andererseits lassen die fünf Performerinnen und Performer, die zum Teil selbst vietnamesische Wurzeln haben, ihre eigenen Biografien einfließen – in kurzen Videosequenzen und Fotos aus dem Familiealbum.
Dafür wurden die Performerinnen und Performer selbst interviewt. Aber sie filmten auch, wie sie mit ihren Eltern über deren Erlebnisse sprechen. Damit wurde für sie die Arbeit am Stück ebenfalls zu einer persönlichen Identitätssuche.
Geschichte und Geschichten wiederholen sich
Auf der Bühne geht diese Suche nach der eigenen Identität einher mit zum Teil dramatischen Szenen, die vom Krieg in Vietnam erzählen. Beklemmend ist etwa der Moment, in dem die Tänzerinnen und Tänzer sich aneinander drängen, drücken und gegenseitig schieben – und damit die dokumentarische Filmprojektion im Hintergrund kommentieren. Gezeigt wird dort der Fall von Saigon 1975: Damals versammelten sich tausende Südvietnamesen vor der US-amerikansichen Botschaft, um in eines der Evakuierungsflugzeuge zu kommen. Unweigerlich werden Erinnerungen an die Bilder vom Flughafen in Kabul 2021 wach.
Aber auch innerhalb des Ensembles ist man schmerzlich in der Gegenwart angekommen: Eine der Tänzerinnen ist vor dem Krieg aus der Ukraine geflohen, wohin sich ihre Mutter wiederum vor Jahren vor dem Vietnamkrieg gerettet hatte. Durch Bezüge wie diesen vervielfältigt sich Khuê Phams fiktionalisierte Familiengeschichte auf der Bühne.
Die großen Themen, die in ihrem Buch eine Rolle spielen, findet die Autorin Khuê Pham auch auf der Bühne wieder. Es gehe um die Schwierigkeit über Traumata in der Familie zu sprechen, um den Schmerz, den eine Biografie mit zwei Kulturen manchmal mit sich bringt und um die verschiedenen Wege, wie man damit umgeht.
Für Khuê Pham ist auch mit dieser Inszenierung ihre persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema längst nicht abgeschlossen. Nächstes Jahr soll ihr Roman auf Englisch erscheinen. Sie ist gespannt auf die Reaktionen ihrer Familie in den USA und Vietnam.
Weitere Informationen"Kim"
von und mit: Polymer DMT/ Fang Yun Lo und Khuê Pham
nach dem Roman "Wo auch immer ihr seid"
Adresse:
Europäisches Zentrum der Künste Hellerau
Karl-Liebknecht-Straße 56
01109 Dresden
Termine:
Freitag, 29. September um 20 Uhr (Premiere)
Sonnabend, 30. September um 20 Uhr
Sonntag, 1. Oktober um 18 Uhr
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Morgen | 29. September 2023 | 07:40 Uhr