Rechte Parolen"L'Amour toujours" auf Abschlussfeier gespielt: Wie geht Schule in Nossen damit um?
Mitte Juni meldete sich eine junge Frau beim MDR und berichtete darüber, dass auf der Abschlussfeier der 10. Klasse ihres Bruders Fünfzehn- und Sechszehnjährige nonchalant in festlicher Abendkleidung "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!" sangen, ohne dass sich irgendjemand von den Verantwortlichen ernsthaft dafür zu interessieren schien. Was hat der Fall ausgelöst?
Der Vorfall habe sich im Rahmen einer Zeugnisausgabe und der anschließenden Abschlussfeier von drei zehnten Klassen und einer neunten Klasse der Dr.-Eberle-Gesamtschule in Nossen ereignet. Das berichten Beteiligte. Die Veranstaltung hat demnach am Abend des 14. Juni im Nossener Veranstaltungshaus "Sachsenhof" stattgefunden. Die Zeugin schilderte MDR INVESTIGATIV das Geschehen.
Die Zeugin schildert Folgendes: Sie habe mit ihrer Familie am Tisch gesessen, sich unterhalten und dabei die Feier beobachtet. "Dann stimmte der DJ die Melodie von Gigi D’Agostinos 'L’amour toujours' an. In diesem Moment waren sowohl ich als auch meine Mutter sehr aufmerksam. Wir schauten uns beide an. Ich sagte zu ihr so etwas wie 'nee, das kann jetzt nicht sein'." Dann habe der DJ in sein Mikrofon gerufen: "Aber jetzt bitte nicht mitsingen!" und den Song lauter gedreht. "Ich empfand diese Aussage als provozierend, da ich mich entweder dazu entscheiden würde, nichts anzukündigen, oder aber den Song einfach nicht spielen", so die junge Frau.
Szene auf der Tanzfläche gefilmt
Ihre Mutter habe zu ihrem Handy gegriffen, um das Geschehen zu filmen, berichtete die junge Frau weiter. Mehrere feiernde Schüler und Schülerinnen hätten im Halbkreis auf der Tanzfläche gestanden und beim Refrain des Liedes "L'amour toujours" die Parole "Deutschland den Deutschen! Ausländer raus!" gesungen, berichtet die Zeugin dem MDR. Sie selbst sei nach vorne an den Rand der Tanzfläche gegangen, um die Situation zu beobachten und ein Video zu machen. Nachdem das Lied vorbei war, sei der nächste Song abgespielt worden und die Veranstaltung kommentarlos weitergegangen. Weil sich offenbar niemand der Veranstalter für den Vorfall interessierte, habe die Familie danach die Veranstaltung verlassen. Im Nachgang habe sich die Zeugin bei der Schule gemeldet und bei der Polizei eine Anzeige erstattet.
Auch die Mutter der jungen Frau bestätigte dem MDR-Reporter den Vorfall auf der Tanzfläche und ergänzte, dass ihr beim Verlassen des Gebäudes noch drei jüngere Mädchen auf einer Treppe entgegengekommen seien, die dasselbe Lied samt dem Text gesungen hätten. Um ihre Schilderungen zu bekräftigen, übergaben beide Zeuginnen dem MDR ein Video von der Szene auf der Tanzfläche. Aufgrund dessen nahm der MDR zunächst Kontakt zu der Dr.-Eberle-Oberschule in Nossen auf, um sich bestätigen zu lassen, dass das Video tatsächlich auf dieser Abschlussfeier entstanden ist.
Schulleiter verurteilt Vorfall in Brief an Zeugin
Mehrere Versuche, telefonisch oder per E-Mail in Kontakt zur Schulleitung zu treten, blieben erfolglos. Dabei ist der Schulleitung der Vorfall bekannt. In einer Antwort des Schulleiters an eine der Zeuginnen schreibt er bereits am 18. Juni, dass er entsetzt sei, "dass der Abschlussball eine Bühne für derartige Parolen darstellte". Dies sei aus Sicht des Schulkollegiums "weder hinnehmbar noch tolerierbar" und man distanziere sich "entschieden von diesem Vorfall".
Aus Sicht des Schulkollegiums ist das weder hinnehmbar noch tolerierbar.
Schulleitung | Dr.-Eberle-Oberschule Nossen
Der Schulleiter wies in derselben Antwort jedoch jegliche Verantwortung von sich und seinem Kollegium. Er erklärte, dass der Abschlussball eine privat durch die Elternschaft organisierte Feier war, über die weder die Schule noch ein Lehrer eine Aufsicht hatten. "Die anwesenden Lehrkräfte waren lediglich Gäste auf Einladung ihrer Klassen", hieß es in dem Schreiben.
Nossens Bürgermeister antwortet MDR
Da der MDR keine eigene Antwort von der Schulleitung erhielt, geht die Anfrage weiter an die Stadt Nossen als Schulträger. Wie deren Bürgermeister Christian Bartusch (SPD) dem MDR bestätigte, hat die Abschlussfeier der Dr.-Eberle-Schule am 14. Juni im Veranstaltungshaus "Sachsenhof" stattgefunden. Ebenso bestätigte er, dass diese Veranstaltung "durch die Schülerinnen und Schüler bzw. deren Eltern organisiert" wurde und es sich "um keine schulische Veranstaltung" handelte.
Bartusch zufolge hatte er keine Erkenntnisse darüber, ob Lehrkräfte bei der Veranstaltung anwesend waren. "Die Schulleitung war für uns aufgrund der Ferienzeit leider nicht kurzfristig erreichbar." Aus diesem Grund könne er ebenso keine Aussage dazu treffen, wie die anwesenden Lehrkräfte die beschriebene Situation wahrgenommen haben und ob es von ihnen Reaktionen an die singenden Schüler oder den DJ gab, der die Situation durch eine entsprechende Ansage provoziert haben soll.
Bartusch erklärte aber, dass die Stadtverwaltung Nossen als Schulträgerin und Eigentümerin des Sachsenhofs ebenfalls sehr um eine Aufklärung der Vorfälle bemüht sei: "Vorbehaltlich der Authentizität der Aufnahmen möchte ich betonen, dass ich von den Vorwürfen zutiefst schockiert bin. Dieses Verhalten ist durch nichts zu rechtfertigen und zeigt nicht die Situationen an unseren Schulen."
Vorbehaltlich der Authentizität der Aufnahmen möchte ich betonen, dass ich von den Vorwürfen zutiefst schockiert bin.
Christian Bartusch (SPD) | Bürgermeister von Nossen
Verzögerte Aufklärung
Eine weitere Woche später antwortete Bartusch auf weitere Nachfragen des MDR: "Zur Anwesenheit und Verhalten der Lehrkräfte liegen mir keine belastbaren Informationen vor. Ich habe mich mittlerweile mit dem Schulleiter diesbezüglich ausgetauscht. Er ist seinerseits mit der Aufklärung der beiden Punkte befasst, was aber aufgrund Ferien einige Zeit in Anspruch nimmt."
Der Bitte, die offenen Fragen direkt mit dem Schulleiter zu klären, versuchte der MDR noch vor dem Beginn des neuen Schuljahrs nachzukommen. Letztmalig bat der MDR sowohl die Schule als auch den Nossener Bürgermeister Anfang September um eine Beantwortung der noch offenen Fragen. Diese Anfragen blieben bislang unbeantwortet.
DJ verstrickt sich in Widersprüche
Währenddessen kontaktierte der MDR auch den DJ der Veranstaltung, einen Mann aus der Region, der Musik mit seiner "mobilen Discothek" macht. Er bestritt zunächst, überhaupt der DJ des Abends gewesen zu sein, antwortete dann jedoch auf die Frage, ob ihm auf der Veranstaltung etwas Besonderes aufgefallen sei, zunächst mit einem "Nein".
Schließlich erklärte der Diskotheker dann von selbst, dass das Lied gespielt worden sei. "Aber ich habe oben mit Monitorboxen nichts gehört." Erst am nächsten Tag sei er von Besuchern der Veranstaltung darauf hingewiesen worden, dass sich einige Leute beschwert hätten, weil "dort unten mitgesungen" wurde. Der Mann erklärte auf MDR-Nachfrage mehrfach, weder er noch irgendjemand anderes hätten an dem Abend etwas "hochgeheizt".
Staatsschutz der Kripo eingeschalten
Der gesamte Vorgang wird aufgrund der Anzeige der Zeugin mittlerweile vom Staatsschutz der Kriminalpolizeiinspektion Dresden ermittelt, wie dem MDR auf Nachfrage bestätigt wurde. Befragungen von Zeugen stehen aktuell noch aus, erklärte ein Sprecher der Dresdner Polizei.
MDR (wim)