Fachkräfte-Anwerbung Fachkräfte von den Philippinen: Mit Herz und Uni-Abschluss in Sachsens Pflege

14. Oktober 2022, 11:02 Uhr

Nach diesem Gruppenbild vor dem Meißner Dom haben sich Touristen neugierig umgedreht: 70 junge Frauen und Männer in hellblauen Arbeitssachen stehen im Kreis, lachen, reden und winken in Kameras. Es sind alles studierte Pflegerinnen und Pfleger aus der Republik der Philippinen. Sie wurden von einer deutschen Firma angeworben, haben Sprachkurse belegt und arbeiten in der Altenpflege in Meißen, Großenhain und Mitteldeutschland.

Seit einem Monat ist Clifford Galvan in Meißen und freut sich übers Herbstwetter: "Ich bin überrascht, wie warm es ist." Der 36 Jahre alte Pfleger aus einer Kleinstadt von der Insel Mindenao im Südosten der Philippinen ist seiner Frau gefolgt. Sie arbeitet seit 2019 im Alten- und Pflegeheim Pro Civitate in Meißen-Triebischtal. Nach sechs Jahren als examinierter Pfleger im Krankenhaus hat Galvan nun auch seine Koffer gepackt und in Meißen wieder ausgeräumt. Neun Monate lang lernt er weiter Deutsch, hat Ausbildungsstunden in der Pflege und arbeitet als Praktikant. Anpassungslehrgang nennen deutsche Bürokraten das. Danach darf er auch hierzulande voll in der Pflege arbeiten.

Galvans Arbeitsalltag wird sich in Meißen von seinem früheren unterscheiden. "Auf den Philippinen kümmern sich die Verwandten um die Alten. Sie sind fürs Waschen und alles zuständig, was der alte Mensch braucht. Oder staatlich bezahlte Assistenzkräfte kommen und machen die Grundpflege", erzählt er. Als Pfleger in seinem Heimatland sei er für die medizinischen Aspekte und das Gesundheitsmanagement zuständig. In Meißen kümmern sich Altenpfleger komplett um die Bewohner und um die Dokumentation - ohne Assistenz. Dafür müssen sie bei medizinischen Sachen einen Arzt rufen.

Nu, nu: Sprache lernen, Dialekt verstehen

Am schwersten jedoch findet der 36-Jährige die deutsche Sprache, die er parallel zur Pflegeausbildung weiter lernt. "Ich habe immer Kopfschmerzen wegen der Sprache", sagt Clifford Galvan auf Deutsch und fügt lachend hinzu: "Es ist aber auch interessant mit diesen Artikeln vor jedem Wort."

Ich habe immer Kopfschmerzen wegen der Sprache.

Clifford Galvan Pfleger und angehender Altenpfleger

Wenn er sich gelegentlich beklagt, motiviere ihn seine Frau Sharro Jay: "Du musst die Sprache lernen. Die Bewohner reden nur Deutsch." Das stimmt nicht ganz, schränkt Sharro Jay Simbajon Galvan ein. Einzelne Senioren sprechen wieder Englisch mit den Pflegekräften, einer lerne von den Kolleginnen gerade Philippinisch. Und manchmal müssen sie alle gemeinsam wegen des sächsischen Dialekts lachen. "In Meißen sagt man immer 'nu' und Puschen zu Hausschuhen. Da kommt man nie drauf. Es klingt doch Englisch", meint die 31-Jährige, die seit diesem Jahr als Praxisanleiterin ihre Kollegen einarbeitet.

In Meißen sagt man immer 'nu' und Puschen zu Hausschuhen. Da kommt man nie drauf. Es klingt doch Englisch.

Sharro Jay Simbajon Galvan examinierte Pflegerin und Praxisanleiterin

Langer Weg einer "Kultur der Ermöglichung"

Miteinander lachen, Verständnis zeigen und aufeinander zugehen - darüber freut sich Heimleiter Steffen Kummerlöw. Ähnliches verlangte im September auch Sachsens Ausländerbeauftragter Geert Mackenroth, als er bei der Vorstellung des Jahresberichts 2021 von einer "Kultur der Ermöglichung" sprach: "Wir müssen unsere Perspektiven auf Ausländer ändern: In den Ministerien, in den Ämtern, Betrieben und Familien."

Daran führt aus Sicht des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln kein Weg vorbei, denn: in Deutschland werden nach deren Berechnung in der stationären Versorgung bis zum Jahr 2035 rund 307.000 Pflegekräfte fehlen. Die Versorgungslücke im Pflegebereich insgesamt könnte sich bis dahin auf knapp 500.000 Fachkräfte vergrößern.

Daher war Heimleiter Kummerlöw auch 2018 sofort dabei, als die Unternehmensgruppe von Pro Civitate mit einem Bochumer Personaldienstleister festlegte, studierte Pflegekräfte auf den Philippinen anzuwerben und nach Sprachkursen an deutsche Heime zu vermitteln. "Das war die Lösung." 2018 kamen die ersten sechs Südostasiaten zu ihm. Er versucht, allen neuen Mitarbeitern Steine aus dem Weg zu räumen, organisiert Wohnungen, kümmert sich um Möbel, Behördenpost, hilft beim Familiennachzug, um die Fachkräfte zu halten. Als Kummerlöw einmal weghört, erzählt Altenpflegerin Galvan: "Er ist so etwas wie ein zweiter Papa für uns."

Mit Herz und auf Augenhöhe

Mittlerweile arbeiten 25 philippinische Fachkräfte im Heim in Meißen. Im 80-köpfigen Team sind acht Nationen vertreten. Leiter Kummeröw bilanziert: "Mit unseren Philippinern ist die Kultur der Altenpflege im Haus gestiegen. Sie arbeiten mit echter, und ich meine richtig von Herzen kommender, Empathie für die Menschen. Das kann ich gar nicht beschreiben." Und: "Einen Philippiner, der zankt und streitet, den gibt es einfach nicht. Sie sind mit allen Menschen auf Augenhöhe."

Sie arbeiten mit echter, und ich meine richtig von Herzen kommender, Empathie für die Menschen.

Steffen Kummerlöw Heimleiter

Wären nur nicht die bürokratischen Hürden, die einer "Kultur des Ermöglichen" im Wege stünden. Bis eine angeworbene Pflegefachkraft vom Intensivkurs Deutsch auf den Philippinen in Sachsen einreisen kann, vergehen laut Kummerlöw Monate. "Die Ausländerbehörden wollen ja. Aber auch bei denen scheint es Fachkräftemangel zu geben", kritisiert er lange Bearbeitungszeiten. Von der Politik wünscht er sich mehr Taten und mehr Personal in den Ämtern.

Hintergrund zur Anwerbung von Pflegefachkräften

  • Laut Bundesgesundheitsministerium orientiert sich Deutschland bei der Anwerbung von Pflegekräften im Ausland am Verhaltenskodex der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur internationalen Rekrutierung von Gesundheitsfachpersonal.
  • Heißt: Angeworben werden nur Pflegekräfte aus Ländern, die selbst einen Überschuss an Fachkräften haben und für den Austausch offen sind. Damit soll ein Fachkräftemangel in den Partnerländern vermieden werden, aus denen Pflegekräfte gen Deutschland abwandern.
  • Die Republik der Philippinen bildet pro Jahr 35.000 bis 45.000 Pflegefachkräfte aus, die vier Jahre lang ein Universitätsstudium absolvieren. Seit 2014 rekrutieren deutsche Arbeitgeber ausgebildete Philippiner. Sie haben einen Pflege-Bachelor und bereits im Heimatland einen Deutschkurs belegt.


Quellen: Bundesgesundheitsministerium/Fachmagazin Health&Care Management

Ängste und Beschimpfungen auf deutscher Seite

Anfangs habe es in der Belegschaft Ängste und viele Vorbehalte gegen die "Ausländer" gegeben. Manche drohten dem Heimleiter mit Kündigung. Ihm sei das aber egal gewesen. "Es geht nicht anders. Wir brauchen gute Leute. Wer hier nicht arbeiten will, muss ja nicht", meint Kummerlöw rückblickend. Ablehnung von Heimbewohnern erfuhr 2019 auch Sharro Jay Simbajon Galvan. "Ich wurde auch beschimpft. Ein Mann wollte sich von mir nicht pflegen lassen", erinnert sie sich an ihren Start in Meißen, der sei schwer gewesen. "Die Bewohner waren es nicht gewohnt, dass hier Ausländer arbeiten." Doch das habe sich geändert, längst seien sie akzeptiert.

"Dass mal Menschen von so weit herkommen, um sich um uns zu kümmern, das hätte ich nie gedacht", meint Käthe Altenkrüger. Die 92 Jahre alte Meißnerin findet die Asiaten "alle liebevoll". Man rede auch persönlich miteinander. "Wissen Sie, wir sind doch alle Menschen. Und so, wie ich bin, sind auch die Menschen zu mir", erzählt die Heimbewohnerin.

Dass mal Menschen von so weit herkommen, um sich um uns zu kümmern, das hätte ich nie gedacht.

Käthe Altenkrüger 92 Jahre alte Heimbewohnerin

Unverständnis über Familien, die sich gar nicht kümmern

Ein ähnliches Motto wie die 92-Jährige hat sich auch der angehende Altenpfleger Clifford Galvan vorgenommen. "Ich will die Bewohner begleiten, viel mit ihnen spazieren gehen und mich kümmern." Dass Bewohner wochenlang oder nie Besuch kriegen, Kinder und Enkel weder zu Festen noch zu Geburtstagen kommen, "kann ich nicht verstehen. Wir werden doch auch mal alt und wollen nicht einsam sein." Seine Frau ergänzt: "Manchmal weinen die Bewohner. Das macht mich traurig, wenn die Leute alleine sind."

Die Galvans und ihre Arbeitskollegen würden jeden Tag in Videocalls mit ihren mehr als 9.900 Kilometer Luftlinie entfernten Familien telefonieren. Doch wer sich mal um ihre Eltern kümmern wird, wenn sie pflegebedürftig werden, weiß das Ehepaar noch nicht. Weil Eltern und Schwiegereltern Anfang 60 seien, hätten sie das Thema erst einmal vertagt. "Wir sind froh, dass wir in Meißen wieder zusammenleben können und Arbeit haben", sagt Clifford Galvan. Und die Familie zu Hause freue sich über finanzielle Hilfe und Pakete aus Meißen - mit Schokolade, Kaffee.

MDR

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Nachrichten | 12. Oktober 2022 | 22:57 Uhr

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