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Wer wenig verdient, kann steigende Nebenkosten für Wohnung oder Haus nur schwer kompensieren. Bildrechte: imago/Steinach

Hohe NebenkostenWohnungsgenossenschaften erwarten Abrechnungsschock

05. Juli 2022, 21:16 Uhr

Wegen hoher Energiekosten hat eine Wohnungsgenossenschaft in Dippoldiswalde die Warmwasserproduktion für die Wohnungen gedrosselt. Zu bestimmten Tages- und Nachtzeiten läuft es nicht mehr heiß, sondern nur noch lau aus dem Hahn. Solche Einsparungen dürften nicht Schule machen, warnt die Verbraucherzentrale Sachsen.

Eine Wohnungsgenossenschaft in Dippoldiswalde hat wegen der hohen Energiekosten die Warmwasserzufuhr gedrosselt. Richtig heiß läuft es seit diesem Monat nur zu bestimmten Uhrzeiten aus dem Hahn. Diese Entscheidung sorgt für Unverständnis beim Mieterbund und auch der Verbraucherzentrale. Falk Kühn-Meisegeier von der Dippoldiswalder Wohnungsgenossenschaft sagte MDR SACHSEN, die Genossenschaft müsse beim örtlichen Energieversorger in Vorkasse gehen. Statt mit rund 100.000 Euro Vorauszahlungen - wie im Jahr 2021 - rechne die Genossenschaft für das Jahr 2022 nun mit 400.000 Euro.

Verbraucherzentrale kritisiert Vorgehen

Mieter hätten Anspruch auf heißes Wasser, betont unter anderem die Verbraucherzentrale Sachsen. "Wir sehen das extrem kritisch, dass eine Wohnungsgenossenschaft so vorgeht und den Mieter einseitig zum Energiesparen verpflichtet, sagt Stefanie Siegert von der Verbraucherzentrale auf Nachfrage von MDR SACHSEN. So ein Fall, wie der in Dippoldiswalde, sei ein Novum und dürfe sich nicht fortsetzen, betonte sie. Aus Sicht der Verbraucherzentrale können die Betroffenen rechtlich auf eine Mietminderung pochen.

Mieterbund rät zu Mietminderung von rund zehn Prozent

Der Deutsche Mieterbund kritisiert die Einschränkung der Warmwasserversorgung scharf: "Das Vorgehen der Wohnungsgenossenschaft Dippoldiswalde geht gar nicht. Die vertragliche Situation ist eindeutig: Der Vermieter muss rund um die Uhr warmes Wasser zur Verfügung stellen", sagte Verbandspräsident Lukas Siebenkotten der Funke-Mediengruppe am Dienstag.

Lukas Siebenkotten vom Deutschen Mieterbund hat das Vorgehen der Dippoldiswalder Wohnungsgenossenschaft scharf kritisiert und hält Mietminderungen um rund zehn Prozent in diesem Fall für gerechtfertigt. Bildrechte: imago images / photothek

Der Mangel an Warmwasser sei ein Grund zur Mietminderung. Siebenkotten hält eine Verringerung der Miete um rund zehn Prozent für zulässig. "Es ist nicht die Aufgabe des Vermieters, den Mieter zum Energiesparen zu zwingen." Eine solche Maßnahme sei nur zulässig, wenn alle Mieter einverstanden seien. "Dafür müsste der Vermieter aber in jedem Mieterhaushalt individuell nachfragen. Einseitig einen Aushang aufzuhängen, reicht nicht aus", sagte Siebenkotten.

Sächsischer Verband der Wohnungsgenossenschaften sieht Zeit für drastische Schritte

Bisher scheint die Rationierung der Heißwasseraufbereitung in Sachsen ein Einzelfall zu sein. "Von unseren 208 Wohnungsgenossenschaften in Sachsen ist uns keine weitere bekannt, die ähnliche Schritte unternommen hat", erklärte Mirjam Philipp vom Vorstand des Verbandes Sächsischer Wohnungsgenossenschaften (VSWG) aus Dresden. Es sei sicherlich eine drastische Maßnahme, aber die Zeiten, in denen die Maßnahmen rigider werden müssen, seien angebrochen, so Philipp. "Wir befinden uns hoch offiziell in der Alarmstufe Gasmangellage. Daran müssen wir uns als Gesellschaft erst gewöhnen. Aber wichtig ist, dass wir - gleich wie die Maßnahmen aussehen werden - immer die Menschen überzeugen müssen, dass diese sinnvoll und richtig sind." Gelinge das nicht, gehörten die Maßnahmen auf den Prüfstand. 

Gleich wie die Maßnahmen aussehen werden - immer müssen wir die Menschen überzeugen, dass diese sinnvoll und richtig sind.

Mirjam Philipp | Vorstand des Verbandes Sächsischer Wohnungsgenossenschaften

Energiekosten steigen extrem an

Bereits vor dem Ukrainekrieg sind laut Philipp die Betriebskosten aufgrund der Marktentwicklungen in die Höhe geschnellt, der rasante Aufwärtstrend der Energiepreise habe danach nochmals zugelegt. Gerade für Menschen mit bescheidenem Einkommen sei das bitter, da man die explodierenden Preise nicht mit dem Verzicht auf den zweiten und dritten Urlaub wegkompensieren könne. 

Rat zu höherer Betriebskostenvorauszahlung gegen Abrechnungsschock

"Sollten die Energiepreise sich nochmals verdrei- oder gar vervierfachen und das alles an die Mitglieder beziehungsweise Mieter weitergegeben werden, dann ist das eine Schieflage, die nicht mehr aufzufangen ist", warnt VSWG-Chefin Philipp. Hier müsse nicht nur über einen Hilfsfonds, sondern auch über eine staatliche Begrenzung der Energiepreise nachgedacht werden.

Mietrechtlich bleiben den Genossenschaften nur die Erhöhung der Vorauszahlungen auf die Betriebskosten. "Das haben viele unserer Mitgliedsgenossenschaften bereits gemacht, um den Abrechnungsschock aufzufangen", so Philipp.

Unterschiedliche Reaktionen sächsischer Wohnungsgenossenschaften auf Energiekrise

Sachsens Wohnungsgenossenschaften sind aufgrund der Gaskrise alarmiert und spielen mögliche Szenarien durch, wie die Energieversorgung in den Häusern im Ernstfall weiter funktionieren kann. So wird in der Wohnungsbaugesellschaft in der Heizperiode eine zeitweise geringe Absenkung der Temperaturen erwogen. Die Wohnungsbaugenossenschaft Torgau hat die Heizungen bis Anfang September komplett abgedreht.

Thomas Buckreus von der Wohnungsgenossenschaft Freiberg bringt angesichts der Preissteigerungen Verständnis für das Vorgehen der Dippoldiswalder WG auf. Wohnen wird in den kommenden Monaten durch große Einmalzahlungen und den nächsten Jahren durch höhere Abschläge spürbar teurer. "Sprunghaft verringert sich unser Wohlstand, die soziale Not wird insbesondere für die Haushalte mit geringen Einkommen nochmals prekärer", so Buckreus.

Die Gemeinnützige Wohnungsgenossenschaft Meißen e.G. (GWG) mit fast 2.300 Wohnungen will den Zugang zu Warmwasser nicht beschränken und hat mit der letzten Betriebskostenabrechnung Mieterinnen und Mieter gebeten, ihre Vorauszahlungen freiwillig zu erhöhen, um Nachzahlungen zu minimieren. An Gasanlagen solle überprüft werden, ob sich dort mehr optimieren lässt. Auch die Wohnungsgenossenschaft in Pirna lehnt eine Beschränkung der Warmwasser-Bereitstellung ab.

Antje Neelmeijer vom Vorstand der Eisenbahner-Wohnungsbaugenossenschaft (EWG) Dresden sagte MDR SACHSEN vor dem Hintergrund der Entscheidungen der Dippoldiswalder Wohnungsgenossenschaft: "Wir finden das sehr fraglich. Man kann den Mietern nicht vorschreiben, zu welchen Zeiten die Mieter duschen dürfen und wieviel sie duschen dürfen." Jeder müsse das selbst enscheiden können. Vorauszahlungen der Mieterinnen und Mieter seien angepasst worden, so Neelmeijer. Jeder solle seinen Energieverbrauch selbst steuern, dazu hat die EWG laut Neelmeijer in ihrer Mitgliederzeitschrift das Thema Energiekosten mehrfach thematisiert.

Kostenlose Spartipps in Online-Seminaren

Laut Siegert wenden sich zunehmend Ratsuchende mit der Angst, Energiekosten nicht mehr tragen zu können, an die Verbraucherzentrale. Diese bietet angesichts der aktuellen Lage im Juli drei zusätzliche Online-Seminare zum Thema Energiesparen an. So geht es in einem Vortrag um den Nutzen von Solarthermie und Photovoltaik. Ein weiterer befasst sich mit der Heizkostenabrechnung und wie sich hier sparen lässt. Im dritten Vortrag werden allgemeine Energiespartipps gegeben. Die Veranstaltungen sind kostenfrei, aber in ihren Plätzen begrenzt, teilte die Verbraucherzentrale mit.

Linke will Übergewinnsteuer, AfD wieder Gas aus Russland beziehen

Die sächsische Linke-Vorsitzende Susanne Schaper hält die Rationierung von Warmwasser in der Energiekrise für ungerecht. Schaper zufolge geht das an der Lebensrealität der Menschen vorbei. "Für Menschen, die kleine Kinder haben oder in Schichten arbeiten, ist diese aufgezwungene Sparmaßnahme eine echte Zumutung. In jedem Fall stellt sie eine Bevormundung, einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht und somit einen groben Mietmangel dar", sagte sie. Laut Schaper sei entscheidend, die extrem gestiegenen Energiepreise abzufedern und sie langfristig stabil zu halten – finanziert durch die Übergewinnsteuer für Mineralölkonzerne.

Die AfD sprach von einem "Kollateralschaden" und machte die Regierung verantwortlich. Sie forderte Nord Stream 2 mit russischem Gas in Betrieb zu nehmen. "Wir müssen nicht frieren. Der Gas-Notstand ist selbst verursacht und kann sofort beendet werden", erklärte Partei- und Fraktionschef Jörg Urban. Das geplante Gas- und Ölembargo macht aus seiner Sicht keinen Sinn: "Es schädigt unsere Bürger und unsere Wirtschaft viel stärker als Russland. Auf dem globalen Markt findet Russland genug Abnehmer für seine preiswerte Energie."

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MDR (ma, sw)/dpa

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Nachrichten | 05. Juli 2022 | 08:30 Uhr