Fakt ist! aus Dresden Roboter, die kellnern - der Weg aus dem Fachkräftemangel?

20. September 2022, 22:30 Uhr

Supermärkte und Bäckereien verkürzen ihre Öffnungszeiten, weil das Personal fehlt. Busse fallen aus, weil es nicht genügend Fahrer gibt. Bäder bleiben geschlossen, weil es zu wenige Schwimmmeister gibt. Deutschland gehen die Arbeitskräfte aus. Fast zwei Millionen Stellen sind unbesetzt – ein Rekord. Wie lässt sich diese Entwicklung aufhalten, wer macht künftig unsere Arbeit, fragte Fakt ist! aus Dresden.

Bäckerin Martina Faßbender aus Leipzig suchte händeringend Beschäftigte. Doch passendes Personal zu finden, war schwierig, erzählt sie bei "Fakt ist!" in Dresden. Obwohl sie gute Arbeitsbedingungen geboten hat: 17 Euro Stundenlohn und Arbeitsbeginn erst um sieben Uhr - für eine Bäckerei liege das deutlich über dem Durchschnitt. Von dem ganzen Bewerbungspool seien nicht viele übrig geblieben, so Faßbender. Die Work-Life-Balance sei vielen wichtiger als Arbeit: "Nicht zu arbeiten bringt mehr, als zu arbeiten." Die Bäckerin hat zwar schließlich Arbeitskräfte gefunden. Doch sollte sie jetzt neues Personal benötigen, müsse sie Bewerbern noch mehr bieten, sagte Faßbender.

Nicht zu arbeiten bringt mehr, als zu arbeiten.

Martina Faßbender Bäckerin in Leipzig

Handwerkskammer: Großer Fachkräftemangel in Sachsen

Wie der Bäckerin aus Leipzig geht es vielen Unternehmerinnen und Unternehmern in Sachsen. Der Präsident der Handwerkskammer Dresden, Jörg Dittrich, selbst Dachdeckermeister, erklärte, Problem sei, dass lohnintensive Arbeit in Deutschland so stark benachteiligt werde, dass es zu unbezahlten Leitungen führe. "Das verletzt viele Handwerksmeister, dass sie das Gefühl haben, du müsstest mehr geben".

Das verletzt viele Handwerksmeister, dass sie das Gefühl haben, du müsstest mehr geben.

Jörg Dittrich Präsident der Handwerkskammmer Dresden

Die Publizistin Steffi Burkhart beschäftigt sich mit der Zukunft der Arbeit. Sie spricht von einem "Kampf um Fachkräfte". Bis 2030 würden in Deutschland sechs bis acht Millionen Fachkräfte fehlen. Und junge Menschen würden sich immer weniger über Arbeit definieren. "Zeit ist zu einem extrem wichtigen Gut geworden." Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, seien mehrere Ansätze nötig: von der Änderung der Organisationskultur, über neue Formen der Rekrutierung bis hin zu der Frage: Wie kriegt man mehr Frauen wieder in Vollzeit?

Teilzeitarbeit nimmt zu - meist auf eigenen Wunsch

Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt geht aber gerade in eine andere Richtung, wie MDR-Moderator Andreas F. Rook deutlich machte. Immer mehr Menschen in Sachsen arbeiten in Teilzeit, im Jahr 2021 war es mit 32,3 Prozent jeder Dritte. Bei Frauen liegt der Anteil sogar bei fast 52 Prozent. Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig erklärte, etwa 80 Prozent der Frauen wollten in Teilzeit arbeiten. "Den 20 Prozent, die Vollzeit arbeiten möchten, muss man die Brücken bauen, dass dies möglich ist."

Mann im Büro hält Sporttasche und Matte
Von den sächsischen Männern haben nach Angaben des Wirtschaftsministers 2021 gut 14 Prozent in Teilzeit gearbeitet. Bildrechte: IMAGO / agefotostock

Dass viele Frauen in Teilzeit arbeiten wollen, hänge auch mit den Rahmenbedingungen zusammen, sagte die Jenaer Professorin für Volkswirtschaftslehre, Silke Übelmesser. Dazu gehörten etwa die Steuerklassen, das Ehegattensplitting oder geschlechtsspezifische Lohnunterschiede. Dies führe bei vielen Frauen in Vollzeit dazu, dass am Ende des Monats nur wenig mehr auf dem Gehaltszettel stehe, als wenn sie Teilzeit arbeiteten.

Wirtschaftsminister Martin Dulig plädierte dafür, verschiedene Modelle in Unternehmen anzubieten, sowohl für Teilzeit, als auch für Vollzeit . "Wir müssen Brücken bauen. Aber jetzt zu sagen, wir lösen unser Problem, indem wir alle noch mehr arbeiten, weil es gibt ja auch Debatten, die Arbeitszeit generell zu verlängern, das geht an der Sache vorbei."

Wir müssen Brücken bauen. Aber jetzt zu sagen, wir lösen unser Problem, indem wir alle noch mehr arbeiten, weil es gibt ja auch Debatten, die Arbeitszeit generell zu verlängern, das geht an der Sache vorbei.

Martin Dulig Wirtschaftsminister in Sachsen

Friseur bietet verschiedene Arbeitszeitmodelle

Wie das gelingen kann, zeigte in der Sendung Heiko Schneider, Friseurinhaber aus Hoyerswerda auf. Er bietet in seinem Unternehmen 18 verschiedene Schichtmodelle für seine Beschäftigten an, sowohl in Vollzeit, als auch in Teilzeit. In der Organisation sei das viel aufwändiger. "Aber was ist denn die Alternative? Die Alternative ist, dass ich nicht genügend Menschen habe, die die Arbeit machen", sagte Schneider. Dachdeckermeister Jörg Dittrich hält diese flexiblen Modelle in seinem Handwerk für nicht so leicht umsetzbar. Zudem funktioniere das bei dem Hoyerswerdaer Friseur-Betrieb nur, weil dies nicht alle Wettbewerber so machen würden. Denn dann gäbe es nicht genügend Fachkräfte.

Aber was ist denn die Alternative? Die Alternative ist, dass ich nicht genügend Menschen habe, die die Arbeit machen.

Heiko Schneider Friseurinhaber aus Hoyerswerda

Digitalisierung als Chance für Unternehmen

Eine andere Möglichkeit, dem Fachkräftemangel zu begegnen, hat der Gastronom Silvio Kuhnert aus Taltitz im Vogtland für sich entdeckt. In seinem Unternehmen gibt es außer ihm und seiner Frau keine Beschäftigten, die Service-Arbeit in der Gaststätte übernehmen zwei Roboter. Auch sonst seien alle Arbeitsprozesse digitalisiert. "Jeder Gast kann mit seinem eigenen Handy einem QR-Code einscannen, und hat die Speisekarte komplett drauf." Die Bestellung werde in die Küche gesendet. "Meine Frau ist am Tresen, ich bin in der Küche. Wir stellen das dann auf den Roboter und der fährt das selbstständig raus." Die Kunden würden da gerne mitarbeiten und nähmen sich die Bestellung von dem Roboter.

Meine Frau ist am Tresen, ich bin in der Küche. Wir stellen das dann auf den Roboter und der fährt das selbstständig raus.

Silvio Kuhnert Gastronom aus Taltitz

Wieviel Potential steckt in der Zuwanderung?

Um den Fachkräftemangel auszugleichen, bräuchten wir jährlich 400.000 Zuwanderer, die hier bleiben, sagte die Jenaer Volkswirtschaftslehre-Professorin Silke Übelmesser in der Fakt ist!-Sendung. Im vergangenen Jahr seien zwar 1,3 Millionen nach Deutschland gekommen, eine Million sei aber wieder weggezogen. "Da sind 300.000 Personen übrig geblieben." Deutschland müsse deshalb für Zuwanderer attraktiver werden, so Übelmesser.

Wirtschaftsminister Martin Dulig machte deutlich, dass dazu auch in Sachsen die kulturellen Voraussetzungen geschaffen werden müssten. "Es kommen keine Fach-und Arbeitskräfte, sondern Menschen mit Bedürfnissen." Das sei eine Frage, die sich nicht nur an den Arbeitsmarkt richte, sondern auch an Gesellschaft und Kommunen, so Dulig.

Syrische Lehrerin in Leipzig im Bürokratie-Dschungel

Wie schwierig es mitunter ist, für eine Migrantin in Sachsen in Arbeit zu kommen, machte das Beispiel einer Lehrerin aus Syrien deutlich, die seit sieben Jahren in Deutschland und jetzt in Leipzig lebt. Vor ihrer Flucht aus ihrem Heimatland hat Rasha Alkadiri viele Jahre als Mathematiklehrerin gearbeitet und würde dies auch hier gerne tun, anstatt Geld vom Jobcenter zu erhalten. Aber ihre Berufsqualifikation aus Syrien wird hier nicht anerkannt. Ein Sprachkurs für Mathematik-Lehrer wurde ihr deshalb vom Amt nicht genehmigt, trotz 20 Jahre Berufserfahrung.

Es ist sehr traurig, wenn man sieht, wie mit dem Potential umgegangen wird.

Anett Repp Private Arbeitsvermittlerin in Leipzig

Für die private Leipziger Arbeitsvermittlerin Anett Repp ist Alkadiri kein Einzelfall. "Es ist sehr traurig, wenn man sieht, wie mit dem Potential umgegangen wird." Arbeitsvermittler sollten individueller mit Migranten arbeiten, damit eine Vermittlung nicht so lange dauere. Dass es zu lange dauert, machte auch Moderator Andreas F. Rook deutlich. Von knapp 18.000 erwerbsfähigen Syrern in Sachsen sind derzeit nur 31 Prozent vermittelt.

MDR (kbe)

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Fakt ist! aus Dresden | 19. September 2022 | 21:45 Uhr

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