Gehirnerschütterungen Kopfbälle mit Folgen: Wie groß sind die Risiken im Fußball?

22. Juni 2022, 15:10 Uhr

Verletzungen an Beinen, Gelenken und Muskeln gehören im Fußball dazu wie Abseits, Anstoß und Torjubel. Doch während Zerrungen, Prellungen und Brüche meist wieder verheilen, gibt es andere Verletzungen, die möglicherweise langfristige Schäden hinterlassen können. Das legen einige Studien nahe. Die Rede ist von Zusammenstößen und Erschütterungen am Kopf.

Andi Luthe, Fabian Klos, Peter Czech: Die Liste der Fußballer, die sich im Laufe ihrer Karriere durch einen oder mehrere Zusammenstöße eine Kopfverletzung zugezogen haben, könnte noch lange fortgeführt werden. Manche betroffene Spieler erleiden "nur" eine Gehirnerschütterung ersten oder zweiten Grades und setzen für ein paar Tage das Training aus. Andere Spieler kommen nicht so glimpflich davon. Sie müssen oft über Monate hinweg einen Kopfschutz tragen. Was neben der akuten Behandlung solcher Verletzungen oft vergessen wird, sind mögliche Langzeitschäden.

Erhöhtes Demenzrisiko

2020 verursachte eine Studie aus Schottland Aufsehen, die ehemaligen Fußballspielern ein dreieinhalb Mal höheres Risiko bescheinigt, an Demenz oder Parkinson zu erkranken. Auch hierfür gibt es prominente Beispiele wie zum Beispiel Bobby Charlton und Gerd Müller. Ob die Anzahl der Kopfbälle von Fußballspielern dabei einer der Hauptgründe für eine solche Erkrankung ist, darüber streiten sich Wissenschaftler. Womöglich gibt es eine Menge anderer Faktoren, die das Demenzrisiko steigern. Kopfbälle begünstigen dabei laut vieler Studien den Ausbruch einer solchen Erkrankung.

Erschwerte Forschung

Generell ist die Forschung zu Gehirnerschütterungen im Sport und deren Folge, insbesondere bei Kindern, sehr kompliziert, weiß der Mediziner Karsten Hollander von der Hamburg Medical School. Zusammen mit Andreas Gonschorek wollte er eine Studie zu den Auswirkungen wiederholter Kopfbälle bei Kindern durchführen. Seitens des Bundesinstituts für Sportwissenschaften gab es dann aber die Rückmeldung, dass das nicht untersucht werden dürfe, sagt Hollander.

(…) wenn wir die Vermutung haben, dass Kopfbälle gefährlich sein könnten, dann dürfen wir das eigentlich nicht bei Kindern untersuchen. Und deswegen sollten wir das erstmal bei Erwachsenen machen.

Karsten Hollander Mediziner und Forscher

Dennoch schätzen die Mediziner das Risiko von Folgeschäden durch Kopfbälle bei Kindern und Jugendlichen als besonders hoch ein. Nicht zuletzt deshalb begrüßen die beiden die Beschlüsse des Deutschen Fußballbundes (DFB), die ungewollterweise die Anzahl an Kopfbällen im Kinder- und Jugendfußball minimieren.

Mehr Spielspaß, weniger hohe Bälle

Im Frühjahr 2022 hatte der DFB beschlossen, dass die Spieltage in der G, F und E-Jugend in Turnierform ausgetragen werden soll. Das heißt, dass im Mittelpunkt der Spielspaß und das Lernen im Ungang mit dem Ball stehen sollen. Ecken, Abstöße und Einwürfe fallen weg. Dass durch weniger Hohe Bälle auch das Risiko von Kopfverletzungen oder zu harten Kopfbällen deutlich sinkt, war laut DFB eher ein Nebeneffekt, der aber durchaus wünschenswert ist.

Im Profibereich ist man noch nicht soweit, etwas an der Spielpraxis zu ändern. Nicht zuletzt, weil für viele Spieler, Fans und Vereine das Kopfballspiel als essenzieller Bestandteil des Fußballspiels nicht wegzudenken ist.

Mehr Aufmerksamkeit fürs Thema

In den letzten Jahren hat das Thema der Gehirnerschütterungen im Fußball immer mehr Bedeutung gewonnen. Das International Football Association Board, also die Regelhüter des Fußballs, haben im Dezember 2020 ein Testprojekt beschlossen, was zusätzliche dauerhafte Auswechslungen bei Gehirnerschütterungen ermöglichen soll. Onays Al-Sadi, einer der Mannschaftsärzte von Dynamo Dresden, begrüßt dieses Modell, spricht sich aber auch gegen ein grundsätzliches Kopfballverbot ist.

Misslich wäre es, das Kopfballspiel als integralen Bestandteil weiter im Fußball zu haben - und der Kopfball ist kaum trennbar in unserer aktuellen Vorstellung, nach unserem Verständnis, wie wir heutzutage Fußball spielen - aber eben Nachwuchs, Spielerinnen und Spieler zu haben, die das nicht trainiert haben.

Onays Al-Sad Mannschaftsarzt Dynamo Dresden

MDR-Reporter Benjamin Jakob im Gespräch mit Dynamo Dresdens Mannschaftsarzt Onays Al-Sadi (v.r.)
MDR-Reporter Benjamin Jakob schaut sich an, wie mit der Thematik Kopfball im Amateur- und Profifußball umgegangen wird. Dazu hat er mit Fußballern, Wissenschaftlern, Mannschaftsärzten, dem DFB und dem IFAB gesprochen. In allen Gesprächen wird deutlich, dass im Fußball ein Wandel stattfindet, der das Spiel grundlegend verändern könnte. Bildrechte: MDR

MDR (kh/bj)

Dieses Thema im Programm: MDR+ | MDR exactly | 13. Juni 2022 | 17:00 Uhr

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