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ÜberschwemmungenKaum Bevölkerungsrückgang in sächsischen Hochwassergebieten

12. August 2022, 14:07 Uhr

Vor 20 Jahren hat das Jahrhunderthochwasser in Sachsen zahlreiche Siedlungen und Gebäude entlang der Elbe und der Mulde überspült und zahlreiche Menschenleben gefordert. Und Extremwetterereignisse werden laut Klimaforschern weiter zunehmen. Trotzdem ist die Bevölkerung in Hochwassergebieten in Sachsen weniger stark zurückgegangen als im Rest des Freistaats.

Bei Heiner Böhme fließt die Mulde am Grundstück vorbei. Der pensionierte Pfarrer steigt durch seinen Garten hinab zum Fluss. Gegenüber grasen Pferde, am Horizont kann Böhme das Schloss Colditz sehen. "Einfach den Sonnenuntergang zu erleben. Da ist hier alles goldgelb. Das ist einfach schön, abends hier sitzen und die Ruhe genießen", beschreibt er.

Doch der Fluss, das weiß Böhme, kann auch Unheil bringen: 2002 und 2013 überschwemmte die Mulde Garten, Keller und Erdgeschoss. Böhme könnte es immer wieder treffen. Und doch will er nicht weg: "Was meinen Sie, was hier in den Grundstücken für Arbeit drinsteckt und für Liebe und Herzblut. Die Pflasterei habe ich selbst gemacht. Was man selber geschaffen hat, daran hängt man doch auch stärker."

Weniger Bevölkerungsrückgang in Hochwassergebieten

Tatsächlich hängen viele Menschen an ihren Grundstücken – selbst wenn sie überschwemmt worden sind. Marcel Thum, Direktor des ifo-Instituts Dresden, hat untersucht, wie sich die Bevölkerung in den Hochwassergebieten Sachsens entwickelt hat: "Man würde in der Tat erwarten, dass in einer Region, die von so einem großen Hochwasser getroffen wird, die Leute wegziehen oder zumindest nicht neue Leute hinzuziehen. Gefunden haben wir tatsächlich das Gegenteil. Die Regionen, die 2002 von der Flut betroffen waren, haben sich nach der Flut ein bisschen besser entwickelt als diejenigen, die nicht von der Flut betroffen waren."

Thum sagt, in ganz Sachsen sei die Bevölkerung in den Jahren nach der Flut geschrumpft. Doch ausgerechnet in den hochwasserbetroffenen Gebieten sei der Bevölkerungsrückgang weniger stark gewesen.

Carsten Graf überrasche das nicht. Der Bürgermeister der Muldestadt Leisnig sagt, die meisten der einst überschwemmten Häuser seien ja saniert worden: "Zu großflächigen Umsiedlungen ist es nicht gekommen. Es gab sicherlich sinnvolle Rückbaumaßnahmen. Es wurden an einigen Orten, bei uns zum Beispiel in Klosterbuch, um diese historische Klosteranlage zu erhalten, Dämme errichtet. Aber das konnte natürlich nicht überall geschafft werden. Damit ist auch eine Kosten-Nutzen-Rechnung der zu schützenden Güter einhergegangen."

Der Hochwasserschutz blieb oft hinter den Erwartungen der Anwohner zurück. Ihre Häuser haben sie trotzdem saniert. Bürgermeister Graf sagt, man müsse den Anwohnern klarmachen, dass es sie erneut treffen könnte.

Forderung einer Pflichtversicherung

Wirtschaftsforscher Thum geht weiter. Er sagt, viele Häuser seien nicht versichert. Der Wiederaufbau sei über Spenden und Steuern passiert. Doch das Risiko, am Fluss zu leben, brauche einen Preis. Thum fordert eine Pflichtversicherung für alle: "Aber eine Versicherung, die differenziert. Wo die Versicherung sagen kann: Hier, Du baust in einer gefährdeten Lage, das kannst Du gern machen, aber dann kostet die Prämie eben mehr. Die würde auf Dauer umlenken. Dann würden sich manche Leute eben doch überlegen, ob sie nicht das Grundstück nehmen, das ein paar Meter höher liegt. Und damit wäre allen geholfen." Damit wäre auch der Staat aus der Gefahr heraus, nicht ständig helfen zu müssen, wenn die nächste Katastrophe komme.

Als Heiner Böhme an die Mulde gezogen ist, hat keiner mit Katastrophen gerechnet. Es gab nur ein Hochwasser, an das sich Einheimische erinnern konnten: 1954. Nun stand Böhmes Haus schon zwei Mal im Wasser und trotzdem überwiegt bei ihm wieder die Freude, direkt am Fluss zu leben.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 12. August 2022 | 06:00 Uhr