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Wegen zunehmender Starkregenereignisse müssen Städte Flutungszonen in Parks oder auf Sportanlagen schaffen, sagt Hochwasserexperte Birkmann. Bildrechte: imago images / A. Friedrichs

InterviewBei Starkregen und Hochwasser: "Überflutungsflächen auf dem Land genügen nicht"

10. August 2022, 18:00 Uhr

Überflutungen durch Hochwasser in Flüssen oder Starkregen kommen schnell und heftig. Wie wir mit solchen Naturgefahren besser leben können, damit beschäftigt sich Prof. Jörn Birkmann vom Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung (IREUS) der Uni Stuttgart. MDR SACHSEN hat mit ihm gesprochen.

Herr Birkmann, nach dem Elbehochwasser 2002 wurden Häuser in Hochwassergebieten aufgegeben, bei Riesa sogar ein ganzer Ortsteil umgesiedelt. Ist Umsiedlung die perfekte Hochwasserschutzmaßnahme?

Birkmann: Nach dem Elbe-Hochwasser und nun dem Sommer-Hochwasser vor einem Jahr in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen fragt man sich auch, was man an der Raumnutzung ändern muss. Es ist schon sinnvoll, einzelne Gebäude und auch kritische oder sensible Infrastrukturen wie Schulen und Krankenhäuser aus Gefahrenzonen herauszubringen, wenn es Alternativstandorte gibt. Aber für einen ganzen Ort oder eine ganzes Tal - wie das Ahrtal - ist eine Umsiedlung schwierig und vielfach nicht sinnvoll.

Warum ist das so?

Wenn der Staat oder die Kommune sagte, wir ziehen eine ganze Stadt oder eine Gemeinde um, braucht man ein Gebiet, in dem ein geringeres Risiko für Leib und Leben sowie Schäden durch Hochwasser besteht. Außerdem muss es die nötigen Funktionalitäten umfassen: Kinder müssen zur Schule, Menschen zu ihrem Arbeitsplatz.

Es braucht also geeignete Flächen, um eine Umsiedlung vollziehen zu können. Die sind aber oft nicht gegeben: Etwas weiter weg vom Fluss besteht vielleicht die Gefahr von Hangrutschungen oder ein Starkregenereignis - welches im Sommer 2021 zu den Überschwemmungen geführt hat, kann das neue Gebiet genauso treffen.

Wann lohnt es sich über Umsiedlungen nachzudenken anstelle von etwa dem Bau von Deichen?

Gerade wenn man die Themen Klimawandel und Küstenschutz betrachtet, gibt es einige, auch historisch gewachsene Gebiete, wo es sinnvoll sein kann, dass man hier nach einem Schadensereignis nicht mehr aufbaut. Auch nach dem Ahr-Hochwasser gibt es Bereiche, die nicht wieder aufgesiedelt werden sollen. Aber hier geht es um einzelne Häuser.

Umsiedlung ist auch zu prüfen, wenn bestimmte technische Maßnahmen des Hochwasserschutzes nicht mehr so zu realisieren sind, dass sie die öffentlich beschlossenen Schutzstandards gewährleisten. Zum Beispiel wenn in einem Bereich bei einem Bemessungshochwasser HQ100 massive Schäden für Leib und Leben drohen und keine hinreichenden, technischen Schutzmaßnahmen möglich sind, denkt man über Umsiedlung nach. Gerade im ländlichen Raum können Kosten für die Umsiedlung in einigen Fällen geringer sein als der technische Hochwasserschutz. Aber bei großen Städten ist es unwahrscheinlich.

HQ100* Als Bemessungsgrundlage für den Hochwasserschutz dient ein HQ100 - also ein Hochwasser, das in seiner Stärke alle hundert Jahre auftritt.
* Das es sich um einen rein statistischen Wert handelt, kann ein HQ100-Ereignis innerhalb eines Jahrhunderts auch mehr als einmal auftreten.

Welche Umsiedlungsmaßnahmen zur Prävention von Hochwasserschäden sind Ihnen in Deutschland bekannt?

Röderau-Süd bei Riesa ist ein Beispiel, wo man in einer sichtbaren Größenordnung einen Wohn- und Gewerbestandort umgesiedelt hat. Ansonsten hat man in Deutschland vielfach Umsiedlungen wegen Naturgefahren angedacht, aber nicht vollzogen. Auf der anderen Seite hat man schon in gefährdeten Bereichen Baurechte zurückgenommen oder Infrastrukturen verlegt. Aktuell wird in der Region Köln die Rücknahme von Bauflächen in Flächennutzungsplänen diskutiert, die noch nicht realisiert oder in verbindliche Bauleitpläne umgesetzt sind. Hier ist aber immer eine Betrachtung der Gefahr durch Hochwasser und der Verwundbarkeit der Infrastrukturen sinnvoll.

Welche internationalen Beispiele für Umsiedlung gibt es?

In bestimmten Küstenzonen nach dem Tsunami in Indonesien und Sri Lanka wurden Umsiedlungen durchgeführt. Es wird aktuell auch diskutiert, ob man die Hauptstadt Jakarta als Megacity umsiedelt. Nach dem Tsunami und der Reaktorkatastrophe in der Region Fukushima in Japan fanden teilweise Umsiedlungen statt. Auch in New Orleans gab es nach dem Hurrikan Katrina in Teilen einen Siedlungsrückzug.

Oft werden hochwassergeschädigte Gebäude nach der Flut schnell wieder so aufgebaut, wie sie waren. Das ist ein Problem?

Es wäre sinnvoll, im Rahmen des Wiederaufbaus die Standards zu erhöhen, dass man bei der nächsten Flut weniger Schäden hätte. Zum Beispiel gibt es im Ahrtal eine Schule für körperlich behinderte Menschen, die nur ein Erdgeschoss hat. Das ist zwar für die Barrierefreiheit sinnvoll, aber gerade direkt an der Ahr, ist das ein massives Risiko, wenn man nicht die Möglichkeit hat, in höhere Stockwerke zu evakuieren. Ein weiteres Stockwerk kann bei extrem schnellen Starkregenereignissen überlebenswichtig sein.

Wie soll man beim Wiederaufbau am besten vorgehen?

Es geht um beides: Man muss die baulichen Strukturen stärken und auch die Standortfrage stellen. Es reicht auf der einen Seite nicht aus, nur baulichen Hochwasserschutz zu betreiben. Der ist natürlich wichtig, gerade für bestimmte kritische und sensible Infrastrukturen oder Heizungssysteme in Wohnhäusern. Auch weil diese kritischen Infrastrukturen zentrale Funktionen haben wie Stromversorgung, Krankenversorgung und teuer sind. Auf der anderen Seite ist es natürlich wichtig, dass man im Katastrophenfall eine gute Erreichbarkeit bestimmter Infrastrukturen hat und diese funktionieren. Hier spielt der sichere Standort eine zentrale Rolle.

Woran denken Sie da?

Also Krankenhäuser müssen auch im Ereignisfall ihre Funktion erfüllen und wenn ich diese bei einem Hochwasser in Dresden dann nur mit dem Hubschrauber erreiche, ist das nicht hinreichend. Da muss man prüfen: Hat man genügend alternative Krankenhäuser? Was passiert, wenn so ein Krankenhaus in hoher Exposition ausfällt? In diesem Fall kann es sinnvoll sein, wenn es Möglichkeiten gibt, den Standort zu wechseln.

Hier macht einem oft das Baurecht einen Strich durch die Rechnung, oder?

Nehmen wir ein Vereinsheim oder eine Trainingshalle an einem Sportplatz. Diese liegen ja teils direkt an Flüssen. Wenn hier etwas zerstört wurde und man ein hochwassersicheres neues Gebäude bauen oder den etwas Standort verändern will, benötigt man neues Baurecht. Das bekommt man aber nicht, da beispielsweise das Gebiet heute in den neuen Karten als Vorranggebiet für den Hochwasserschutz ausgewiesen ist. Der Eigentümer greift daher oft auf das alte bestehende Baurecht zurück und verändert das Haus oder Vereinsheim eben nicht - da Bestandschutz.

Hier müsste man Änderungen vornehmen, damit es mehr Anreize gibt, das alte Baurecht durch ein neues zu tauschen - beispielsweise durch räumliche Verlegung - oder bestimmte Ausnahmeregelungen zulassen, die die die hochwasserangepasste Bauweise fördern. Aber bisher ist es in vielen Fällen so, dass man die gleiche Struktur wieder aufbaut, weil das genehmigungsrechtlich gesichert ist. Damit baut man das auf, was sich schon beim letzten Mal als besonders verwundbar erwiesen hat.

Welche Strategien befürworten Sie außerdem?

Beim Thema Sportflächen in der Nähe von Flüssen sollte man diese so aufbauen, dass sie einerseits Hochwasser schadlos überstehen und andererseits dem Fluss mehr Raum geben. Das heißt, dass man Sportplätze hochwasserangepasst baut und im Notfall fluten kann und so die Chance hat, die Spitze eines Hochwassers mit mehreren Maßnahmen zu reduzieren. So etwas fehlt bisher in Deutschland beim Wiederaufbau.

Es genügt also nicht auf dem Land Überschwemmungsflächen vorzuhalten?

Überflutungsflächen im ländlichen Raum sind wichtig, aber reichen nicht aus. Gerade Starkregen ist sehr lokal. Und auch bei kleineren Flüssen sind die Hochwasserereignisse kleinräumig. Und hier macht es Sinn, dass wir auch unsere Städte, also den urbanen Raum wo Leute leben, bauen, wohnen, Sport treiben, hochwasserangepasster ausgestalten. Man könnte Bereiche in der Stadt, egal, ob größere Parks oder Sportflächen für die Ableitung von Starkregenwasser vorsehen, aber auch teilweise für die Flutung bei Hochwasser nutzen. An diesem Thema arbeiten wir gerade.

Wird das im Ausland schon praktiziert?

Wir wissen aus den Niederlanden, dass man bei Starkregen bestimmte Spielplätze, die dann 30, 40 Zentimeter tiefer liegen, als Flutungsbereiche nutzt. Das geschieht zur Zwischenspeicherung und nicht dauerhaft. Solche Maßnahmen helfen, Schäden an Häusern und sensiblen und kritischen Infrastrukturen zu vermeiden. Damit wird auch der Beitrag der Städte zum vorbeugenden Hochwasserschutz und Starkregenrisiskomanagement verdeutlicht.

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