
Bilanz 2024 Mehr Hunde-Beißattacken in Sachsen - Tierheimleiter: Problem sind die Halter
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10. Mai 2025, 11:09 Uhr
Seit Jahren steigen die Fälle von Beißattacken, die in der Polizeistatistik erfasst werden. Wird ein Hund durch Bisse und Aggression auffällig, gilt er als gefährlich und landet meist im Tierheim. Dort haben die Tierschützer Probleme, die Tiere wieder zu vermitteln, während immer mehr Hunde abgegeben werden. Die Gründe für ein Fehlverhalten eines Hundes liegen nach Ansicht des Leipziger Tierheimchefs meistens am Verhalten der Halterinnen und Halter. Er nennt es deutlicher: "an deren Dummheit".
- Von den 475 erfassten Beißattacken auf Menschen waren die meisten Hunde Mischlinge, keine sogenannten gefährlichen Hunde.
- Wie viele gefährliche Hunde es gibt, ist unklar.
- Tierheime und Tierschützer haben seit Jahren immer mehr gefährliche Hunde in ihrer Obhut und nennen Gründe.
In Sachsen sind im vorigen Jahr 475 Menschen durch Beißattacken von Hunden aller Art verletzt worden. Fast alle Angriffe kamen von Mischlingshunden. Das geht aus der Beißstatistik des sächsischen Innenministeriums hervor, die MDR SACHSEN vorliegt. Im Jahr 2023 waren es 424 Bissattacken von Hunden (rund 12 Prozent Anstieg). Zum Vergleich: Im Jahr 2016 waren es nur knapp halb so viele wie zuletzt: Damals wurden 255 Hundebisse erfasst, bei denen Menschen in Sachsen verletzt wurden. 2022 starb ein Mensch nach einem Hundeangriff. Hunderte andere Hunde, Wild- und Nutztiere in Sachsen werden jährlich durch Hundebisse verletzt, Dutzende sterben.
Tierschutzbund: Statistik nur kleiner Ausschnitt
Für Kerstin van Kan vom Deutschen Tierschutzbund sind die Beißstatistiken der Polizei "oft nicht aussagekräftig", weil keine Bezüge zur Anzahl der gehaltenen Rassen hergestellt werden. Auch würden Hintergründe, Ursachen und Grad der Bissunfälle nicht vergleichbar und eindeutig erfasst. "Die Wahrscheinlichkeit ist statistisch gesehen deutlich höher, von einem Hund einer häufig gehaltenen Rasse gebissen zu werden, als von einem Hund einer eher selten gehaltenen Rasse."
Auch würden nicht alle Beißunfälle angezeigt. Daher lautet das Fazit des Deutschen Tierschutzbundes: "Die Statistiken zeigen nur einen kleinen Ausschnitt."
Blick aufs Nachbarbundesland mit Hunderegister
In Sachsen-Anhalt veröffentlicht das Landesverwaltungsamt jedes Jahr die Vorfälle mit Hunden je nach Rasse und listet Biss und sonstige Vorfälle einzeln auf im einsehbaren Hunderegister. Sachsen hat kein derartiges Register. "Der sächsische Gesetzgeber hat mit dem von ihm erlassenen Gesetz zum Schutze der Bevölkerung vor gefährlichen Hunden die Möglichkeit für ein zentrales Hunderegister nicht vorgesehen", heißt es dazu vom Innenministerium.
Keine Zahlen über gefährliche Hunde in Sachsen
Wie viele sogenannte gefährliche Hunde es bundesweit und in Sachsen gibt, weiß keiner. "Zahlen dazu haben wir nicht. 'Gefährliche Hunde' sind so definiert, dass diese Tiere bereits auffällig geworden sind, zum Beispiel, da sie durch Beißen einen Menschen oder ein anderes Tier verletzt haben. Davon unterscheiden muss man die sogenannten 'Listenhunde', die aufgrund ihrer Rassezugehörigkeit durch die Gefahrhundeverordnungen und -gesetze mancher Bundesländer pauschal als gefährlich vorverurteilt werden", sagt die Sprecherin des Deutschen Tierschutzbundes van Kan.
In Sachsen gehören zu diesen "Listenhunden": American Staffordshire Terrier, Bullterrier und Pitbull Terrier sowie deren Kreuzungen. So steht es im Gesetz zum Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Hunden, wo auch die Regeln zur Haltung nachzulesen sind. Als "gefährliche Hunde" gelten zudem Tiere, die bereits auffällig geworden sind.
Gefährlichkeit nicht an Rasse festzumachen
"Genaue Zahlen darüber hat keiner", sagt auch der Geschäftsführer von Sachsens größtem Tierheim, Michael Sperlich, in Leipzig. Jedes Bundesland stufe "Gefährlichkeit" anders ein und benenne verschiedene Rassen als "Listenhunde". Sperlich hat festgestellt, dass letztlich jeder Hund gefährlich sein könne, wenn der Halter Fehler macht. "Wir haben hier im Tierheim Hunde aus der Fruchtzwergeliga mit 3,5 Kilo, die gebissen haben und nun als gefährlich gelten."
Endstation Tierheim
Aktuell habe das Tierheim den höchsten Bestand von gefährlichen Hunden. Es seien ständig 30, 40 Tiere neben genauso vielen anderen Hunden. "Die Fälle, in denen die Ordnungsämter eingreifen müssen, sind deutlich gestiegen. Die Kurve steigt seit 2018 deutlich an", weiß Sperlich.
Das bestätigt auch der Deutsche Tierschutzbund. "Wir hören durchaus aus vielen Tierheimen, dass die schwerer vermittelbaren Hunde derzeit Sorge bereiten und die Tierheime vor Herausforderungen stellen – Hunde, die bereits auf die ein oder andere Art 'auffällig' geworden sind." Die Vermittlung gestalte sich schwierig.
Seit etwa 15 Jahren ist ein ansteigender Trend zu beobachten, dass 'schwierige' Hunde zunehmend in den Tierheimen landen.
Fehlendes Wissen bei der Anschaffung
Gefragt nach der Ursache, antwortet Tierheimchef Sperlich deutlich und frustriert: "Weil die Gründe für eine Anschaffung von Hunden immer schwachsinniger werden und der Mensch nichts lernt, sondern einen Hund nach Optik und Moderasse wählt." Er ärgert sich über Leute, die sich Hütehunde zulegen, obwohl sie in einer Mini-Mietwohungen leben oder die einen Modehund der Rasse Alaska Malamute haben wollen. Das sind sehr ausdauernde, sportliche Schlittenhunde - laut Sperlich gerne genommen von "Jüngeren für Instagramfotos oder weil sie vom Sitzen am Lagerfeuer träumen".
Die Leute wissen zu wenig über Hunde und deren urspüngliche Zuchtziele. Das Verhältnis zum Tier ist insgesamt gestörter und dann knallt's eben.
Hunden die passenden Lebensbedingungen bieten
Sauer ist Sperlich auch auf Menschen, die bewegungsfreudige Arbeitshunde kaufen, ohne ihnen passende Lebensbedingungen zu bieten. Die Herdenhunde wurden einst gezüchtet, um Rinderherden zusammenzuhalten, wie der Harzer Fuchs oder der Cattle Dog. "Das sind extrem durchsetzungsstarke, laute Hunde, die Raubtiere wie Bären und Wölfe abwehren sollen. Wenn denen zu Hause langweilig wird, fällt der Putz von der Wand." Wer einen Hund anschaffen wolle, solle sich zuvor informieren und realistisch sein.
Das Einzige, was hilft ist: Gehirn einschalten.
Wäre Haustierführerschein eine Lösung?
Nützlich könnte nach Michael Sperlichs Ansicht ein Haustierführerschein sein, bei dem die Halter lernen, mit dem Hund richtig umzugehen und ihn zu führen. Auch mehr als die Hälfte der Befragten der MDRfragt-Community in Mitteldeutschland kann sich so ein Zertifikat gut vorstellen.
Doch Tierheimleiter Sperlich ist skeptisch: "Mit unseren Gesetzen wird das nichts. Es gibt ja nicht mal einheitliche Standards zur Ausbildung von Hundeführern. Wer soll denn die Halter prüfen. 16 Bundesländer müssten erst einmal sich auf einheitliche Prüfungsstandards einigen." Und außerdem: "Die Leute wollen nicht belehrt werden."
Hundesteuer für gefährliche Hunde
Eine Übersicht, wieviel Hundesteuer in Sachsen Halterinnen und Halter gefährlicher Hunde bezahlen, haben die Kollegen von MDR Data in einer Grafik erfasst. Die Spanne reicht von 24 Euro pro Jahr in Bad Brambach im Vogtland bis 750 Euro jährlich in Chemnitz.
Der Höchstsatz in Chemnitz
Die 750 Euro Hundesteuer pro Jahr für einen gefährlichen Hund, statt regulär 100 Euro pro Jahr und Tier, hat Chemnitz nach eigenen Angaben "unabhängig von der Anzahl der gemeldeten gefährlichen Hunde festgelegt". Dennoch stellt "der erhöhte Hundesteuersatz eine Art Lenkungsfunktion dar, mit der auch ordnungspolitische Ziele verfolgt werden sollen", sagte Sprecherin Kathrin Neumann MDR SACHSEN.
Demnach waren 2024 in Chemnitz acht gefährliche Hunde registriert. Im Jahr davor waren es zehn. Vor der Corona-Pandemie 2019 waren es nur zwei.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Nachrichten | 11. Mai 2025 | 11:07 Uhr