Schulden Vier ganz persönliche Pleite-Schicksale aus Dresden

Fast jeder hat in seinem Leben schon einmal Schulden gemacht. Sei es die Ratenzahlung auf das Auto, das Bafög für die Ausbildung, für einen Baukredit, die Finanzierung der Wohnzimmercouch oder nur die zehn Euro beim Kumpel während einer Kneipentour. Wenn aber die monatlichen Ausgaben das Einkommen auffressen, können zusätzliche Schulden zu einem nicht mehr zu bewältigenden Berg anwachsen. Vier Schicksale von Betroffenen aus Dresden.

Illustration - Eine Frau schaut sich auf einer Website für Technik-Produkte die Werbung für eine Null-Prozent-Finanzierung an (gestellte Szene).
Mit Käufen auf Raten kann man sich schnell Begehrtes anschaffen. Solche Finanzierungen führen oft auch direkt in die Schuldenfalle. Bildrechte: dpa

Pleite nach Ratenkäufen der Eltern

Lisas* Leben auf Pump hat mit 18 Jahren begonnen. Damals bestellten ihre Eltern auf Lisas Namen viele Dinge: "Waschmaschine, Technik, mein Vater hat das Auto auf mich angemeldet, die Kfz-Versicherung lief über mich", zählt die heute 30 Jahre alte, alleinerziehende Mutter auf. Natürlich sei sie immer vorher gefragt worden, ob es okay sei und die Eltern versicherten ihr, dass sie die Rechnungen bezahlen. Sie bezahlten aber nicht. Die Ratenzahlungen blieben an Lisa hängen.

Wenn man weiß, man hat es nicht, sollte man gar nicht mit Ratenkäufen anfangen.

Lisa alleinerziehende Mutter

"Mit 19 habe ich gemerkt, dass ich es nicht zahlen kann." Die Dresdnerin borgt sich Geld bei Freunden, erwirkt einen Lohnvorschuss, aber es reicht einfach nicht. "Durch die Mahnkosten wurden die Forderungen drei Mal so hoch und mehr." Die 150-Euro-Rechnung eines Telefonanbieters beispielsweise erhöhte sich auf 300 Euro, dann auf mehr als 1.000 Euro. Letztlich ging Lisa zu einem Schuldenberater. "Er hat dann meine Privatinsolvenz angemeldet." Noch drei Jahre ist sie im Insolvenzverfahren, darf nur über ein Grundeinkommen verfügen und keine Verträge abschließen. Von Käufen auf Finanzierung kann sie nur abraten: "Wenn man weiß, man hat es nicht, sollte man gar nicht damit anfangen."

Wohnungslos nach der Corona-Krise

Katrin* hat seit drei Wochen keine eigene Wohnung mehr. Die hochschwangere Frau lebt mit ihren Mann und den drei Kindern im Moment bei den Großeltern auf dem Dorf. Wochentags fährt sie ihre beiden elf und acht Jahre alten Söhne und die sieben Jahre alte Tochter nach Dresden in Kita und Schule. "Das klingt hart, aber man kriegt es irgendwie gebacken", sagt die 35-Jährige.

Durch die Corona-Krise war der Familie plötzlich die Lebensgrundlage weggebrochen. Der Mann, Bühnenbauer in der Veranstaltungsbranche, verlor von heute auf morgen seinen Arbeit. Auch Katrin musste in Kurzarbeit gehen. "Wir konnten die Miete nicht mehr zahlen." Der Vermieter, ein großer Immobilienkonzern, sei auf die Notlage der Familien nicht eingegangen, das Beantragen von Geldern bei den Ämtern dauerte seine Zeit und so entstanden die Schulden.

Man kämpft mit allen Mitteln, aber es ist auf Dauer kein Zustand.

Katrin Mutter

Katrin kämpfte gemeinsam mit ihrem Mann bis vor Gericht um ihre Wohnung. Doch die Familie verlor den Streit und es kam zur Räumungsankündigung. Jetzt sucht die Familie, die bald Zuwachs bekommt, händeringend eine Wohnung. Und dann sind da noch die Gerichtskosten von rund 2.000 Euro zu zahlen und die Mietschulden, um die gestritten wurde - 900 Euro. Wenn der Wohnungskonzern nicht auf eine Ratenzahlung eingehe, werde sie gemeinsam mit ihren Mann als letzten Weg die Privatinsolvenz wählen, sagt Katrin. "Man kämpft mit allen Mitteln, aber es ist auf Dauer kein Zustand."

Insolvent nach dem Ausbildungskredit

Sechs Jahre Privatinsolvenz hat Jessy* im Jahr 2020 beenden können. Die heute 37-Jährige hatte damals für ihre Erzieherausbildung an einer Privatschule mit einem Bildungskredit mehr als 6.000 Euro Schulden aufgenommen. Doch aus gesundheitlichen Gründen habe sie dann nicht in den Beruf einsteigen können, berichtet sie. Eine Ratenzahlung in dem ihr damals möglichen Rahmen als Arbeitslose genügte dem Kreditgeber nicht.

Das erste Jahr in der Privatinsolvenz war das Schlimmste.

Jessy in Privatinsolvenz

In einer Schuldnerberatungsstelle wurde Jessy dann nahegelegt, in die Privatinsolvenz zu gehen. "Das erste Jahr war das Schlimmste", erinnert sich die Dresdnerin. Sie habe sich wie eine Verbrecherin gefühlt, als ihr von heute auf morgen Telefonanbieter und Zahlungsdienstleister kündigten. Auch plagten sie anfangs Ängste, vielleicht ihre Wohnung zu verlieren. Es sei gefühlsmäßig eine Berg- und Talfahrt gewesen.

Heute hat Jessy, die inzwischen im Einzelhandel arbeitet, ihre Ausgaben und Einnahmen voll unter Kontrolle. Käufe auf Raten kommen für sie überhaupt nicht in Frage. "Ich habe viel mehr Überblick über meine Finanzen", sagt sie.

Immer auf Risiko in der Selbstständigkeit

Fast zwei Jahrzehnte lang hat Wolfgang* in seiner eigenen Tischlerei gearbeitet. Das war es, was er immer wollte: "Kreativ sein und freiberuflich tätig", erzählt der 64-Jährige. Finanziell war es immer etwas knapp. Um über die Runden zu kommen, hing er mal mit der Werkstattmiete hinterher, verzichtete auf eine Krankenversicherung und überreizte das Konto soweit, dass die Bank es schließlich kündigte.

Ursache war meine Selbstständigkeit. Ich habe mich überschätzt.

Wolfgang, 64 Jahre

Schulden haben sich immer durch sein Leben gezogen, wie der Dresdner resümiert. Der höchste Schuldenberg maß rund 20.000 Euro. Und auch diesen Betrag hat er mittlerweile bis auf 5.000 Euro abgetragen. Wolfgang erlebte diese Zeit als emotional belastend und zeitraubend. "Zu der vielen Arbeit, die man leistet, um die Schulden abzustottern, musste man sich auch noch hinsetzen und Bürokratie erledigen." Es mussten Briefe an die Gläubiger geschrieben, Raten ausgehandelt werden, damit nicht der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht.

Anfang des Jahres hat der Tischler seine Werkstatt aufgelöst. Von der Selbstständigkeit ist er jetzt ins Angestelltenverhältnis gewechselt und arbeitet als Zeitungszusteller für den Mindestlohn. Wolfgang ist zuversichtlich, dass er seine restlichen Schulden in den nächsten Jahren tilgen wird. "Das kann ich schaffen."

Mehr Verbraucherinsolvenzen in Sachsen

In Sachsen habe sich in den vergangenen Monaten deutlich mehr Überschuldete für den Gang in die Privatinsolvenz entschieden. So wurden nach Angaben des Statistischen Landesamtes im Jahr 2021 in Sachsen 3.698 Insolvenzverfahren für verschuldete Verbraucher gemeldet. Das sind 1.687 Verfahren mehr als im Jahr davor - eine Zunahme von rund 84 Prozent. Die voraussichtlichen Forderungen beliefen sich auf knapp 150 Millionen Euro.

Wie das Statistikamt in Kamenz ausführt, sind diese Zahlen vor dem Hintergrund des Gesetzes zur Verbraucherinsolvenz zu sehen, das im Oktober 2020 in Kraft getreten ist. Seitdem können Verschuldete im Rahmen des Insolvenzverfahrens durch die sogenannte Restschuldbefreiung nach drei statt bisher sechs Jahren schuldenfrei sein.

Lange Wartezeiten bei Schuldnerberatung

Aber auch die Wartezeiten für Schuldnerberatungen sind in Sachsen länger geworden. So berichten die sächsischen Wohlfahrtsverbände, dass Folgetermine in Extremfällen erst nach neun Monaten erhältlich sind. Eine Kurzberatung am Telefon sei immer möglich, aber das reiche meistens für die Betroffenen nicht aus, erklärt Thomas Neumann vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband.

Mittlerweile führten Menschen in Arbeit die Statistik der Ratsuchenden in den sächsischen Schuldnerberatungsstellen an, sagte Neumann. Beratungsfälle würden außerdem komplexer und damit zeitintensiver. Mehr Beratungen seien aber mit den gegenwärtigen Mitteln einfach nicht möglich, erklärte der Vorsitzende der Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen, Rüdiger Unger. Schon vor der Corona-Pandemie habe das Angebot an Schuldnerberatungen nicht ausgereicht.

Mehr Beratungen sind mit den gegenwärtigen Mitteln einfach nicht möglich.

Rüdiger Unger Vorsitzender der Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen

Aktuell seien die Schuldnerberatungsstellen mit Fällen konfrontiert, die viel früher Unterstützung gebraucht hätten, sagte Unger. Pandemiebedingt waren Arbeitsagenturen, Wohngeldstellen oder Sozialämter, die für die soziale Grundsicherung zuständig sind, nur eingeschränkt erreichbar.

Hilfe zur Selbsthilfe

Viele Beratungsstellen bieten auf ihren Internetseiten Hilfe zur Selbsthilfe an. So gibt es auf der Homepage der Caritas ein Online-Tool, mit dem Verschuldete prüfen können, ob der Gang in die Privatinsolvenz eine Lösung für sie wäre. Auch kann man sich durch einen kurzen Selbsttest zum Umgang mit Geld klicken. Zudem gibt die Caritas Hinweise zum Umgang mit Mahnungen, Inkasso-Schreiben, Gerichtsvollziehern und Kontopfändungen.

Ähnliche Hilfen findet man auch bei anderen Wohlfahrtsverbänden online. So kann man sich bei der Diakonie ausführlich über eine gute Haushaltsplanung informieren. Fachbegriffe, die im Zusammenhang mit Schulden immer wieder zur Sprache kommen, werden zudem einfach erklärt.

Ein erster wichtiger Schritt ist laut Rotraud Kießling von der Schuldnerberatung der Diakonie, alle Briefe und Unterlagen mit Geldforderungen zusammenzutragen und sich einen Überblick über die Gläubiger zu verschaffen. "Eine Zwischeninfo an die Gläubiger, dass man sich kümmert, ist auch nicht schlecht", so Kießling.

Auch helfe es den Betroffen sehr, wenn sich jemand ihre Probleme anhört, das Ganze sachlich betrachtet, ohne Vorwürfe zu machen. Leider sei das Thema Geldnot mit Scham besetzt und werde selbst in der Familie oft nicht angesprochen, so die Diakonie-Mitarbeiterin.

*Anm. d. Red.: Die Namen der Verschuldeten wurden zu ihrem Schutz geändert.

MDR (ma)/epd

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Nachrichten | 30. Mai 2022 | 11:00 Uhr

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