Krankenschein gilt nicht Krank zur Uni-Prüfung – Was nun?

13. März 2023, 09:43 Uhr

Während jeder Arbeitnehmer bei Bedarf eine Krankschreibung erhält und vorlegen kann, müssen sich Studierende vom Arzt extra Prüfungsunfähigkeitsbescheinigung inklusive Krankheitssymptomen ausstellen lassen. Das führt zu weit und verstößt gegen die Privatsphäre, bemängelt die Konferenz Sächsischer Studierender und fordert eine Änderung des Hochschulgesetzes.

Uni-Prüfungen sind wichtige Bausteine, um den Abschluss an der Hochschule zu erlangen. Doch was tun, wenn man ausgerechnet zur großen Prüfung erkrankt? Die Konferenz der Sächsischen Studierendenschaften (KSS) fordert eine Neuregelung zur Krankmeldung bei Prüfungen in Sachsen. Künftig sollen ärztliche Bescheinigungen ausreichen. Die Regel soll in das neue Hochschulgesetz einfließen, heißt es von der KSS.

"Studis dürfen weder zur Angabe von Symptomen verpflichtet werden, noch dazu für die anfallenden Kosten selbst aufzukommen. Wir erwarten eine Ergänzung im Sächsischen Hochschulgesetz, welches praktischerweise momentan sowieso novelliert wird", erklärt KSS-Sprecherin Sabine Giese.

Elektronischer Krankenschein offenbart Problem

Der Hintergrund: Krankenscheine sind bislang rein rechtlich als Prüfungsunfähigkeitsbescheinigung nicht zugelassen. Eigentlich muss der Prüfungsausschuss darüber entscheiden, ob ein Studierender gesund genug ist, um das Examen zu absolvieren. Bislang akzeptierten Universitäten und Hochschulen jedoch einen Krankenschein als Grundlage für diese Entscheidung.

Mit der Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) haben die Studierenden - salopp formuliert - keinen Papierschein zum Nachweis mehr auf der Hand. Seit Januar werden die Krankenscheine elektronisch an Arbeitgeber übermittelt -nicht jedoch im Fall von Studierenden an Universitäten und Hochschulen. Die Folge: In der Praxis müssen sich Studierende von Ärzten jetzt "Prüfungsunfähigkeitsbescheinigungen" ausstellen lassen.

Prüfungsbehörde entscheidet

Das sächsische Wissenschaftsministerium (SMWK) erklärt auf Anfrage von MDR SACHSEN: "Der Krankenschein war auch vor der Einführung der elektronischen Variante kein rechtlich zulässiger Nachweis für einen Rücktritt von der Prüfung wegen Krankheit." Da die "Prüfungsunfähigkeit" ein Rechtsbegriff sei, könne nur eine Prüfungsbehörde, nicht aber der Arzt die Entscheidung treffen. Ein Nachweis für den Prüfungsrücktritt könne nur mit einem qualifizierten ärztlichen Attest mit Angabe eines konkreten Krankheitsbildes erfolgen. "Die Bezeichnung der Erkrankung ('Diagnose'), ist dafür nicht erforderlich", heißt es.

Viele Hochschulen akzeptierten Krankenscheine - bis jetzt

Die KSS erklärt dazu: "Das stimmt zumindest rein rechtlich. Die Entscheidung zur Prüfungsabmeldung trifft letzten Endes der Prüfungsausschuss. Diese kann allerdings von verschiedenen Grundlagen abhängig gemacht werden", schreibt KSS-Sprecherin Giese. "Viele Hochschulen in Sachsen akzeptieren daher laut ihrer Grundordnung auch eine AU-Bescheinigung als Grundlage für die Entscheidung des Prüfungsausschusses." Doch damit scheine es jetzt vorbei. Immer mehr Hochschulen wollen das sogenannte qualifizierte ärztliche Attest sehen.

Gilt die ärztliche Schweigepflicht nicht für Studierende?

Das Problem: In diesen Bescheinigungen müssen Studierenden ihre Beschwerden offenlegen und die Ärzte teilweise von ihrer Schweigepflicht entbinden. So heißt es beispielsweise in der Bescheinigung zur Prüfungsunfähigkeit der Theologischen Fakultät an der Uni Leipzig: "Studierende sind (…) dazu verpflichtet, zur Feststellung der Prüfungsunfähigkeit ihre Beschwerden offen zu legen und hierzu erforderlichenfalls die/den behandelnde/n Ärztin/Arzt von ihrer/seiner ärztlichen Schweigepflicht entbinden."

Ähnlich steht es auch in der der Vorlage der Fakultät Informatik der TU Dresden. Studierende müssten ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen glaubhaft machen, heißt es dort. "Zu diesem Zweck benötigt sie/er – erforderlichenfalls insoweit unter Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht – ein ärztliches Attest, das es dem Prüfungsausschuss erlaubt, (…) die Rechtsfrage zu beantworten, ob eine Prüfungsunfähigkeit vorliegt."

Ärzte müssen Symptome bestätigen

Kurzum: Studierende müssen ihre Symptome von den Ärzten bestätigen lassen. Teilweise fragen die Hochschulen auch nach der Diagnose, wie die Informatik der TU Dresden - wenn auch freiwillig. "Uns schockiert, dass den Studierenden und behandelnden Ärztinnen und Ärzte so wenig Vertrauen entgegengebracht wird, dass sogar Schweigepflichten gebrochen werden sollen. Symptome und Diagnosen gehören zu den intimsten Persönlichkeitsdaten und haben auf den Schreibtischen der Prüfungsausschüsse und Sekretariaten nichts zu suchen", erklärt Paul Steinbrecher, Referent für Hochschulpolitik der KSS. "Wir kritisieren diesen Eingriff in die Privatsphäre Studierender scharf."

Uns schockiert, dass den Studierenden und behandelnden Ärztinnen und Ärzte so wenig Vertrauen entgegengebracht wird, dass sogar Schweigepflichten gebrochen werden sollen.

Paul Steinbrecher Referent für Hochschulpolitik der KSS

Steinbrecher kann die aktuelle Rechtslage nicht verstehen: "Wenn es nicht gerade die Medizinische Fakultät ist, haben die Mitglieder des Prüfungsausschusses unseres Erachtens nahezu keine Kompetenzen, um darüber zu entscheiden, ob die vorliegende Krankheit der Studis zur Prüfungsunfähigkeit führt oder nicht. Hier sollte der ärztlichen Einschätzung Glauben geschenkt werden!"

Wieso reicht das Urteil der Ärzte nicht?

Laut SMWK legen die Hochschulen in ihren Prüfungsordnungen selbstständig die Details fest, um eine Prüfungsunfähigkeit festzustellen. Doch warum genügt nicht einfach ein Krankenschein, wie bei Arbeitnehmern auch? "Da die berufliche und persönliche Entwicklung von Studenten besonders vom Erfolg in ihren Prüfungen abhängt, müssen Prüfungsverfahren so ausgestattet werden, dass sie hohen rechtlichen Maßstäben genügen", heißt es aus dem SMWK. Das Thema Datenschutz werde sehr ernst genommen. In die qualifizierten ärztlichen Atteste " können ausschließlich die zuständigen Stellen Einblick nehmen". 

Hochschulen sollen Kosten übernehmen

Die KSS kritisiert auch die möglichen Kosten, die entstehen können. Oft verlangten Ärzte Gebühren für die Atteste. "Neben datenschutzrechtlichen Bedenken haben wir auch Angst vor zu hohen Kosten", erklärt KSS-Sprecherin Uta Lemke. "In Zeiten von akuter finanzieller Not von Studierenden müssen diese Gebühren zwingend von den Hochschulen übernommen werden!"

Formulare rechtlich prüfen

Das Wissenschaftsministerium kündigte indes an, die Verfahren zur Feststellung der Prüfungsunfähigkeit zu überprüfen. "Wir werden prüfen, wie unsere Hochschulen bei der Entscheidung über die Prüfungsunfähigkeit vorgehen und dazu mit ihnen in den Dialog treten", hieß es.

Das Sächsische Hochschulgesetz Der Landtag berät aktuell über eine Novelle des Sächsischen Hochschulgesetzes. Damit sollen laut Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow (CDU) die "Weichen für die Weiterentwicklung des Wissenschafts- und Hochschulstandortes Sachsen" gestellt werden.

MDR (uta/tom)

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