Interview Notfallseelsorger: "Menschen in belastenden Situationen nicht allein lassen"

14. Dezember 2022, 12:57 Uhr

Bei der Krisenintervention geht es darum, Menschen bei oder nach extremen Ereignissen seelisch aufzufangen. So kümmerte sich am Sonnabend ein Team um die von der Geiselnahme in der Altmarktgalerie betroffenen Menschen. Notfallseelsorge und Krisenintervention leisten dabei vor allem Ehrenamtliche. Einer von ihnen ist der DRK-Mitarbeiter Innocent Töpper. Im Interview mit MDR SACHSEN spricht er über die Bedeutung seines Ehrenamtes.

Herr Töpper, wann ist für Sie der Moment gekommen, sich für die Krisenintervention zu entscheiden?

Innocent Töpper: Während meiner Ausbildung zum Rettungsassistenten hat uns ein Pfarrer das Thema vorgestellt. Mich hat von Anfang an sehr begeistert, dass es diese Hilfeleistungssysteme und engagierte Menschen gibt. In Sachsen hatten sich da nach der Elbeflut 2002 einige Teams gegründet.

Was treibt Sie an?

Ich möchte auf keinen Fall, dass Menschen in Akutsituationen, also in belastenden Situation, allein gelassen werden. Im Rettungsdienst erlebt man Situationen, wo sich alles um den Verletzten dreht und unter Umständen Angehörige daneben stehen, aber niemand sich um sie kümmert. Doch einer Situation hilflos ausgesetzt zu sein, bedeutet ebenfalls Leid. Mich motiviert, diese Menschen aufzufangen, ihnen Perspektiven aufzuzeigen, wie es weitergehen kann. Das ist einfach ganz nah am Leben dran und an ganz existenziellen Fragen.

Gab es Fälle, die Sie vielleicht an Ihre Grenzen gebracht haben?

Jeder Einsatz ist für sich genommen ein existenzielles Ereignis. Wo ich tatsächlich sehr betroffen war, das waren die Überschwemmungen im Ahrtal letztes Jahr. Ich hatte mir diesen Grad an Zerstörung in Deutschland niemals vorstellen können. Das war ein Ereignis, das mir noch mal klargemacht hat, dass Notfallseelsorge auch im Katastrophenschutz eine wichtige Rolle spielt.

Wie ernst wird die Arbeit von Ehrenamtlichen genommen?

Ich glaube, die Sensibilität dafür ist gestiegen in den letzten Jahren. Das kann man für die Polizei sagen, die jetzt eher geneigt ist, bei der Überbringung einer Todesnachricht uns sofort zu alarmieren und dazu zu nehmen. Auch die Feuerwehren haben das mehr auf dem Schirm und haben Nachsorgeteams, die ihre eigenen Einsatzkräfte betreuen. Auch die Rettungsdienste sind da deutlich sensibler geworden in den letzten Jahren.

Für die Notfallseelsorge gibt es eine richtige Ausbildung. Wie läuft die ab?

Die Landschaft der Krisenintervention und Notfallseelsorgeteams ist in Sachsen sehr heterogen. Da engagieren sich Kirchen, Hilfsorganisationen und freie Vereine. Alle arbeiten ein Stück weit unterschiedlich, aber es gibt auch gemeinsame Standards. Erst einmal werden Gespräche zum Kennenlernen geführt. Darin geht es auch viel um die eigene Motivation. Die theoretische Ausbildung umfasst in der Regel um die 80 Stunden. Dann geht es in die praktische Ausbildung, bei der Menschen bei Einsätzen mit erfahrenen Kräften mitlaufen.

Psychosoziale Notfallversorgung in Sachsen * Sachsenweit engagieren sich ehrenamtlich etwa 500 Menschen in der Krisenintervention und Notfallseelsorge. Sie sind organisiert beim Deutschen Roten Kreuz (DRK), bei der Diakonie, bei der Caritas, bei der Kirche, der Polizei, der Feuerwehr oder in eigenständigen Vereinen.
* Fast alle Teams arbeiten mit einem Bereitschaftsdienstsystem und werden über die Leitstelle alarmiert.
* Nach Angaben des sächsischen Landesverbandes Psychosoziale Notfallversorgung werden bei etwa der Hälfte der Einsätze die Ehrenamtlichen wegen plötzlicher Todesfälle gerufen.

Welche Voraussetzungen brauchen die Ehrenamtlichen?

Wer in der Krisenintervention mitarbeiten möchte, sollte mindestens 23 Jahre alt sein, sozial in einem gefestigten Umfeld leben und möglichst keine eigenen traumatischen Erfahrungen mitbringen.

Über allem steht, dass die Menschen immer eine gewisse Empathie mitbringen müssen. Es ist ganz wichtig, zuhören zu können, sich auf Menschen und Situationen einlassen zu können. Und es ist wichtig, eine gewisse Ruhe auszustrahlen, um der Situation ein Stück weit ihren Schrecken zu nehmen und Struktur in das Ganze zu bringen.

Wer engagiert sich besonders in der Krisenintervention?

Wir haben viele Menschen, die im Gesundheits- und Sozialwesen tätig sind, etwa aus der Pflege und dem Rettungsdienst. Aber wir haben auch beispielsweise Sparkassenangestellte, Busfahrer oder Bäckermeister, die sich hier engagieren.

Das Gespräch führte Katrin Funke.

Zur Person Innocent Töpper ist Jahrgang 1991. Der Vater zweier Töchter ist ausgebildeter Rettungsassistent und hat Management im Gesundheits- und Sozialwesen sowie Sozialmanagement studiert. Seit 2006 ist er Mitglied der Grünen und seit 2019 für die Partei auch Stadtrat in seiner Heimatstadt Radebeul. Töpper machte es sich nach eigenen Angaben zur Aufgabe, im Landkreis Meißen ein DRK- Kriseninterventionsteam aufzubauen. (lam) www.innocent-toepper.de

MDR

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 15. Dezember 2022 | 19:00 Uhr

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