Kneipensterben in Sachsen Bürokratie macht den Gastwirten zu schaffen
Hauptinhalt
21. Juli 2024, 06:55 Uhr
Wenn in einem Dorf die letzte Kneipe schließt, ist das für die Dorfgemeinschaft oft ein herber Verlust. Doch auch in Kleinstädten in Sachsen sind Kneipen bedroht. Die Branche kämpft mit den Folgen der Krisen der vergangenen Jahre: Corona-Pandemie, Inflation und Personalmangel. Auch in Borna droht eine weitere Schließung.
- Die Gaststätte "Glück Auf" in Borna steht vor der Schließung. In Borna gibt es nur noch fünf Kneipen.
- Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) Sachsen sieht Personalmangel sowie Bürokratie als Hauptgründe für das Kneipensterben.
- Die Dehoga Sachsen fordert einen Bürokratieabbau sowie Steuererleichterungen für Gastronomen.
Die Gaststätte "Glück Auf" ist in Borna eine Institution. Erhard Lerch betreibt die Kneipe seit 1991. Im nächsten Jahr soll für ihn Schluss sein.
Aber Lerch findet keinen Nachfolger. Bereits seit fünf Jahren suche er über die Website der Gaststätte einen Nachfolger. "Wir haben in jeder Speisekarte Annoncen eingebaut. Wir haben im Fenster ständig Werbung. Wir haben in der Zeitung, wir haben in den Werbezeitungen die sonntags frei erhältlich sind, Werbung gemacht. Es kostet eigentlich alles nur Geld und bringt nichts", sagt Lerch. Bislang sei niemand gekommen, der nach einer Übernahme gefragt hätte.
Schließung des "Glück Auf" droht
Wenn Erhard Lerch keinen Nachfolger findet, muss das "Glück Auf" schließen. Dabei gibt es die Kneipe seit 1912. Außer zu Kriegszeiten sei sie immer in Betrieb gewesen, sagt Lerch. Für ihn ist sie sein Lebenswerk.
Ich bin für alles zuständig. Ich bin der Kellner, die Putzfrau, der Gärtner, der Heizer.
Weil er kein Personal findet, muss er inzwischen kürzer treten. Das "Glück auf" hat inzwischen nur noch an vier Tagen in der Woche auf. "Das ist nicht nur viel Arbeit, das ist sehr viel Arbeit. Ich bin für alles zuständig. Ich bin der Kellner, die Putzfrau, der Gärtner, der Heizer. Eigentlich bin ich alles", so der Gastronom. Trotzdem will Lerch nicht wegen der vielen Arbeit aufhören, sondern wegen seines Alters.
Branchenverband sieht Bürokratie als Hauptgrund
Wie ist das woanders? Warum machen dort Kneipen dicht? Axel Klein ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) Sachsen. Er sieht vor allem zwei Gründe: "Also wenn Sie Prioritäten setzen würden, da hätten wir vielleicht vor zwei, drei Jahren noch gesagt: Personal", sagt Klein. Inzwischen sei die übergreifende Bürokratie der Hauptgrund für die Probleme der Branche.
Kneipenbetreiber Lerch bestätigt das und spricht die hohen laufenden Kosten für Strom, Gas, Wasser, Gema, IHK und so weiter an. Es sei nicht einfach, eine Kneipe zu betreiben, selbst wenn der Laden brummt. Lerch kann sich gut vorstellen, einen möglichen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu unterstützen. Nur selbst für alles verantwortlich sein, will er nicht mehr.
Nur noch fünf Kneipen in Borna
In Borna habe es früher 50 Kneipen gegeben, jetzt seien es nur noch fünf, sagt Lerch. Daneben gebe es noch einige Imbisse und Restaurants. Aber das sei eben nicht das gleiche wie eine Kneipe. "Es würde mir sehr, sehr wehtun, wenn wir aufhören würden", so Lerch. "Kneipe ist eigentlich Kultur. Das vergessen die meisten Menschen." Man gehe nicht in die Gaststätte, um zu trinken oder zu essen – sondern um sich zu unterhalten, sich mit Freunden zu treffen, zu klönen, Fußball zu gucken, Musik zu hören. Das falle dann alles weg. Für Borna wäre die Schließung der Kneipe ein großer Schaden, meint Lerch.
Dehoga Sachsen fordert Bürokratieabbau
Was passieren müsste, damit weniger Kneipen dichtmachen? Darauf hat Axel Klein von der Dehoga Sachsen schnell eine Antwort. "Knallhart Bürokratie abbauen. Richtig geradlinig durchziehen. Auch mal verzichten auf eine doppelte Kontrolle", empfielt er. "Das sind Dinge, die würden das Arbeiten erleichtern. Und das Thema Steuern", sagt Klein. In Österreich sei die Steuer auf Speise und Gastronomie deutlich geringer.
Auf drei bis fünf Prozent pro Jahr beziffert Klein das Kneipensterben in Sachsen. In Borna könnte im kommenden Jahr eine Kneipe weniger zur Statistik dazukommen. Zumindest dann, wenn sich tatsächlich kein Nachfolger findet.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 21. Juli 2024 | 06:09 Uhr
Sergej vor 24 Wochen
In der Überschrift wird zwar Bürokratie genannt, aber im Artikel geht es dann um ganz andere Dinge - dass der Inhaber keine Lust und Kraft mehr für Verantwortung hat. Selbständige Arbeit in einem der vielen Gewerke bedeutet, sich selbst zu organisieren und neben einem "was war/was ist/ was soll werden" eben auch mit Selbstdisziplin den Job vor dem Job und die Arbeit nach der Arbeit zu erledigen. Vielleicht kann genau die Branche, um die es im Artikel geht, eben auch einen Nachdenkprozess anregen, ob es solche Institutionen wie IHK, Dehoga, etc. überhaupt noch braucht. Sie hemmen den Markt, verwalten sich selbst, verbrauchen Unmengen finanzieller und zeitlicher Ressourcen.
Sharis vor 25 Wochen
Das "Kneipensterben" läuft doch mindestens seit 10, 15 Jahren.
Die Ursachen sind vielfältig, aber das Konsumverhalten der Kundschaft spielt schon eine große Rolle. Ein Trend, sich Essen liefern zu lassen oder "to go" mitzunehmen, lässt sich nicht leugnen. Da passt die klassische Kneipe nicht ins Konzept.
Ein anderer Grund ist Personalmangel - den hat sich die Branche aber großteils selbst eingebrockt mit fragwürdigen Arbeitsmodellen, allen voran scheinselbständig beschäftigten Servicekräften, sowie mangelnde Investition in Personalnachwuchs durch Ausbildung.
(Arbeite übrigens selbst als Angestellter in der Gastronomie)
Sharis vor 25 Wochen
Danke, Sie nehmen mir die Worte aus dem Mund!
Es ist mir auch schleierhaft, inwiefern Bürokratie, die ein Gastro-Betreiber zu bewältigen hat, dafür sorgt, dass einfach zu wenig Gäste kommen, um wirtschaftlich zu arbeiten.
Berechtigt ist dagegen die Kritik an der Höhe der MwSt, weil die sich unmittelbar auf die Preisgestaltung und das Konsumverhalten der Gäste auswirkt.