Geophysikalisches Observatorium Collm Erdbeben messen östlich von Leipzig: Ein Gebiet in Sachsen oft im Blick

10. August 2023, 06:00 Uhr

Seit mehr als 100 Jahren werten Wissenschaftler in Collm bei Oschatz im Landkreis Nordsachsen Erdbeben und Wetterdaten aus. Bis heute gehört das Geophysikalische Observatorium der Universität Leipzig zu den weltweit bedeutenden Messstationen für Erdbeben und Erderschütterungen.

An einer Wand hängt eine große Weltkarte. Davor flimmert auf einem Schreibtisch ein Computerbildschirm. Der Geophysiker Siegfried Wendt fährt mit seinem Finger auf dem Bildschirm über einen Bereich, der die östliche Türkei an der Grenze zu Syrien zeigt. Dieses Gebiet ist mit roten Punkten übersät. "Das sind die seismischen Wellen des Erdbebens in der Türkei am 6. Februar dieses Jahres. Als wir die Daten sahen, hatten wir schon befürchtet, dass etwas Schlimmes passiert sein muss", erinnert sich Wendt. Beim Erdbeben mit einer Stärke von 7,8 hatte es mehr als 52.000 Tote gegeben.

Das Geophysikalische Observatorium Collm ist eine von wenigen Erdbeben-Messstationen in Deutschland, die auch Fernbeben misst. Wendt und seine Kollegin Petra Buchholz können dabei erste Anzeichen von Erdbeben auch aus Tausenden Kilometern Entfernung bereits nach wenigen Minuten von den Seismografen ablesen. Die ersten Wirkungen eines Erdbebens im etwa 9.000 Kilometer entfernten Japan habe Buchholz bereits nach zwölf Minuten messen können, bei einem Beben auf Fidschi - eine Entfernung von circa 16.000 Kilometern - seien es 18 Minuten gewesen.

25.000 Erdbeben in 20 Jahren ausgewertet

Im Jahr werten er und Kollegin Buchholz in Collm etwa 5.000 Fernbeben aus, erklärt Siegfried Wendt. "Wir gehören weltweit zu den zehn besten Institutionen, was die Zulieferung und Qualität der Daten angeht", sagt der 75-Jährige. Doch nicht nur Fernbeben messen die Seismologen, sondern auch Nahbeben in Mitteldeutschland und den benachbarten Regionen. Durchschnittlich würden in diesem Bereich jährlich 1.200 Beben festgestellt, sagt Wendt: "In den letzten 20 Jahren haben wir mehr als 25.000 Beben ausgewertet."

In den letzten 20 Jahren haben wir mehr als 25.000 Beben ausgewertet.

Siegfried Wendt Geophysiker

Erdbeben in Sachsen häufen sich zwischen Vogtland und Leipzig

Siegfried Wendt zeigt auf einer Karte auf dem Bildschirm auf einen langen Gürtel aus unzähligen, kleinen Punkten, die sich von der tschechischen Grenze über das Vogtland bis nach Nordsachsen ziehen. "Der Streifen vom Oberen Vogtland über Plauen bis in den Raum Leipzig ist durchaus immer mal wieder aktiv", erklärt Wendt.

Im Vogtland bebe häufiger die Erde. "Von diesen Schwarmbeben sind die wenigsten spürbar", sagt der Wissenschaftler. Zwischen Plauen und Leipzig seien Erdbeben zwar seltener. Mit einer Stärke von bis zu 3,5 seien sie aber deutlich von den Bewohnern zu spüren. In Sachsen sei im Dezember vergangenen Jahres ein größeres Beben von 3,1 auf der Richterskala gemessen worden.

Auch stärkere Beben statistisch möglich

Dass es auch Erdbeben in Sachsen geben kann, die Schäden anrichten, schließt der Experte nicht aus. "Wir müssen damit rechnen, dass es Erdbeben bis zu einer Intensität von bis zu 7,5 geben kann. Da kann es auch Gebäudeschäden geben", so Wendt. Solche Erdbeben ließen sich nicht vorhersagen. "Aber wir müssen damit rechnen. Die Gefährdung ist da." Aller 100 Jahre müssten wir Menschen statistisch gesehen mit einem Beben bis zu einer Stärke von 7,5 rechnen. 1872 hatte es in Mitteldeutschland das letzte Erdbeben dieser Größenordnung gegeben.

Wir müssen damit rechnen, das es Erdbeben bis zu einer Intensität von bis zu 7,5 geben kann. Da kann es auch Gebäudeschäden geben.

Siegfried Wendt arbeitet seit den 1970er-Jahren im Geophysikalischen Observatorium Collm

Über 100 Jahre alter Seismometer liefert weiter Daten

Siegfried Wendt und Petra Buchholz laufen zu einem Flachbau mitten im Wald, der etwa 100 Meter vom Hauptgebäude des Observatoriums entfernt steht. "Die Messstation steht außerhalb, damit es keine Störungen beim Seismometer gibt", erklärt Petra Buchholz. Die 63-Jährige muss täglich Störungen, wie Sprengungen in Bergwerken oder bei Abrissarbeiten, aus den Messungen herausrechnen. "Eine Bombenentschärfung in Leipzig 2016 haben wir hier auch registriert", erinnert sie sich.

Im Flachbau angekommen, erklärt Petra Buchholz die Funktionsweise eines Seismometers aus dem Jahr 1902. Der liefere noch zuverlässig Daten. Die Seismologin zeigt auf hauchdünne Nadeln, die sich über rußgeschwärzte Rollen bewegen. Die Nadeln hinterlassen eine dünne, fast gerade Linie. Bei Erdbeben oder einer Störung würden sie ausschlagen und ein Zickzackmuster ergeben.

"Wir arbeiten hier noch mit diesen Uraltgeräten, damit wir alte Messmethoden mit modernen vergleichen können", erklärt Siegfried Wendt. Auch wenn er längst im Rentenalter ist, will er in den kommenden Jahren weitermachen und sein Wissen weitergeben. "Wir erklären Besuchern gerne nach einer Anmeldung hier unsere Arbeit."

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