InterviewFluthelfer aus Grimma: Wenn pure Verzweiflung zu Galgenhumor wird
Zerstörte Häuser, kaputte Straßen, mehr als 170 Tote. Die Bilder aus Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen sind erschütternd. Doch auch Hilfsbereitschaft ist im ganzen Land zu spüren. Unzählig viele Menschen helfen freiwillig. Auch aus Grimma waren und sind Fluthelfer in den Hochwassergebieten. MDR SACHSEN hat mit dem Helfer Frank Pastille gesprochen. Er hat in Ahrweiler und Ehlingen mit angepackt. Der Grimmaer war 2002 und 2013 selbst Opfer der Hochwasser und hatte viel Solidarität erfahren.
Frage: Herr Pastille, als Sie die aktuellen Bilder aus Westdeutschland gesehen haben, was ist Ihnen als erstes durch den Kopf geschossen?
Frank Pastille: Da war sofort klar, dass ich dahin muss. Nach dem Aufstehen habe ich die Nachrichten geguckt und dann habe ich schon bei der Stadtverwaltung angerufen, ob die irgendwo gehört haben, ob sich eine Aktion zusammenfindet oder ob da irgendwas läuft. Der Bürgermeister hat dann gleich gesagt "wir arbeiten schon dran", und er würde sich noch einmal melden. Und mittags hatte er dann angerufen, dass ich mitfahren kann.
Fünf Tage waren Sie in Ahrweiler und Ehlingen im Einsatz. Mit wem waren Sie unterwegs?
Das waren Mitarbeiter des Bauhofes Grimma, die auch Mitglieder in der Freiwilligen Feuerwehr sind. Die Feuerwehr und der Landkreis Leipzig haben auch Fahrzeuge und Technik zur Verfügung gestellt.
Sie waren selbst 2002 und 2013 in Grimma Hochwasser-Opfer. Wenn man merkt, dass man gegen die Wassermassen chancenlos ist, welche Gefühle hat man da?
Hilflosigkeit und Ohnmacht. So würde ich das beschreiben. Wir hatten ja am Vortag versucht, noch mit Sandsäcken irgendwelche Häuser zu schützen, was natürlich lächerlich war, weil das dann da zwei Meter drüber ging. Das wussten wir vorher nicht. Wir haben auch den ganzen Tag vorher noch Möbel ins erste Obergeschoss getragen, die dann auch bloß weg geschwommen sind. Das war sehr, sehr frustrierend und ja, ein Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit.
2002 und 2013 hat es enorme Hilfsbereitschaft aus ganz Deutschland gegeben. Auch in Grimma waren viele Freiwillige im Einsatz. Wie ist das, wenn plötzlich Fremde vor einem stehen und sagen: 'Ich helfe Dir jetzt?'
Es war unvorstellbar und überwältigend. Wir hatten damit gar nicht gerechnet. Ich selbst hatte fünf Häuser im Wasser stehen, da waren glaube ich, elf Wohnungen nicht mehr bewohnbar. Ich war wie gelähmt und konnte gar nichts machen, außer dumm rumrennen, weil ich ja gar nicht wusste, wo ich überhaupt anfangen soll. Das war aussichtslos. Alleine hätte ich gar nichts ausrichten können. All die Möbel von den Mietern sind ja im Haus herumgeschwommen und haben sich gestapelt, sind umgekippt. Alles war nass und schwer.
Meine Mieter und ich hätten null Chancen gehabt, wenn nicht Hunderte von Helfern gekommen wären, die uns geholfen haben, die Möbel raus zu stellen und den Schlamm weg zu schippen. Der Schlamm ist eine totale Katastrophe. Der klebt an der Schippe, der läuft von der Schippe runter. Ohne freiwillige Helfer, das wäre gar nicht gegangen. Die eigentliche Arbeit blieb an den Freiwilligen hängen, die professionellen Teams hatten ganz andere Aufgaben und konnten Privatleuten gar nicht helfen.
Flutopfer aus Rheinland-Pfalz oder Nordrhein-Westfalen berichten davon, dass diese unerwartete Hilfe Zuversicht gibt. Haben Sie das damals auch so empfunden?
Natürlich! Auf jeden Fall. Es rechnet ja keiner damit, dass man 'was geschenkt' bekommt. Und das ist es letztendlich auch, ein sehr großes Geschenk. Die Helfer machen sich unglaublich dreckig und setzen sich wirklich Gefahren aus. Mit dem Schlamm muss man wirklich aufpassen, dass man den nicht in den Mund kriegt oder sich beim Essen nicht irgendwelche Krankheiten holt. Und auch das Tragen ist nicht ungefährlich. Wenn einem da was auf den Fuß fällt. Die haben sich teilweise stundenlang rein gekniet und waren am Ende genauso erschöpft wie die Mieter. Das hat uns sehr aufgebaut. Wir haben ja auch abends gesehen, was geschafft wurde. Ohne die freiwilligen Helfer hätten wir im wahrsten Sinne des Wortes kein Land gesehen.
Als Sie nun in Ahrweiler waren, haben Ihnen da die eigenen Erfahrungen geholfen?
Erst einmal hat es wieder alte Wunden aufgerissen. Die Bilder haben sich natürlich geähnelt. Da musste man sich erst mal eine Weile sammeln, um überhaupt einen klaren Kopf zu kriegen. Dann hat man irgendwie den Schalter umgelegt, hat nur noch geholfen und gearbeitet. Erst wusste man nicht, wo man anfangen sollte, musste sich erst orientieren. Dann haben wir uns Arbeit gesucht. Man legt den Hebel einfach um, fühlt auch nichts mehr. Rundum ist alles weg. Man vertieft sich da in die Aufgaben. Anders kann man das auch nicht bewältigen.
War die Arbeit in Ahrweiler nur physisch oder auch psychisch belastend?
Während der Arbeit in Ahrweiler war die Stimmung unter den Helfern nicht schlecht. Man steht da schon unter Adrenalin. Wir haben abends in Gruppen zusammengesessen und ein Bierchen getrunken. Da ging es uns relativ gut. Zurück zu Hause in Grimma war es dann gruselig. Wenn man wieder mit Alltagsproblemen konfrontiert wird, die man lächerlich findet. Das ist so absurd, dass man sich hier über ein paar Tropfen Wasser aufregt, die irgendwo rein gelaufen sind, wenn die Leute im Westen nicht wissen, wie sie die nächste Zeit überleben sollen, ohne Strom und ohne Wohnung.
Wie haben die Menschen auf Ihre Hilfe reagiert?
Sie sind alle total freundlich. Man merkt ihnen aber an, dass sie über den Punkt der totalen Verzweiflung hinweg sind. Es wird auch gelacht, eine Art Galgenhumor kommt zum Vorschein. Ich habe versucht, Adressen zu sammeln, um Geld zu spenden. Ganz viele haben dann vor ihren Trümmern stehend gesagt: 'Wir sind mit einem blauen Auge davon gekommen. Die da hinten aber, die brauchen Geld.' Das ist total absurd. Sie haben ihre Wohnungen verloren und helfen sich trotzdem gegenseitig. Und das, obwohl ihnen das Wasser bis zum Hals steht.
Spendenhotline für die Flutopfer: 0180 22822Ab 6 Uhr freigeschaltet:
6 Cent pro Anruf aus dem Festnetz, Mobilfunk max. 0,42 €/Min.
Was glauben Sie, wie lange wird es dauern, bis die Dörfer und Städte im Katastrophengebiet wieder aufgebaut sind?
In Ahrweiler haben sie extreme Probleme an der Infrastruktur. Das sind ja ganze Uferstraßen weg. Da hängen nur noch die Versorgungsleitungen in der Luft oder liegen auf dem Boden. Das wird sicherlich Jahre dauern. Bei den betroffenen Häuser denke ich, dass es da vielleicht in einem Jahr schon wieder einigermaßen lebenswert ist, dass die Menschen dann hoffentlich auch wieder Wasser und Strom haben. Wir haben zum Beispiel eine Tiefgarage ausgepumpt, die direkt an der Uferstraße war. Da überlegt man sich schon, wie sorglos oder wie sicher sich die Leute da gefühlt haben mussten.
Wie lange haben Sie damals gebraucht, ihre Häuser wieder bewohnbar zu machen?
Es hat wohl ein Jahr gedauert bis alle Wohnungen wieder so hergerichtet waren, dass sie wieder bezogen werden konnten. Da waren dann aber die Außenanlagen, die Fassaden und Treppenhäuser auch noch nicht wieder Tipp Topp. Ich habe auch ganz bewusst Abstriche gemacht, um die Sanierungskosten zu begrenzen. Mir war klar, dass nach dem Hochwasser vor dem Hochwasser ist. Und solange die Hochwasserschutzwand nicht fertig war, hab ich nur die Sachen neu gemacht, die lebensnotwendig waren.
Haben Sie dann anders gebaut, als vor den Überschwemmungen?
Nach dem ersten Hochwasser (2002; Anmerkung der Red.) hatten wir so aufgebaut, wie es gewesen war. Es war klar, das war ein Jahrtausendhochwasser. Das kommt nie wieder. Zehn Jahre danach kam das zweite Hochwasser. Da haben wir dann so gebaut, dass wir davon ausgegangen sind, dass es vielleicht in drei Wochen wieder da ist. Wir haben völlig andere Materialien verbaut, haben die Bauteile anders gestaltet und auch teilweise Estriche mit Gefälle verlegt. Jetzt kann man sagen, wenn das Wasser noch einmal kommt, wird das ausgekärchert und läuft im freien Gefälle aus dem Haus wieder raus. Wir haben auch auf Dämmungen verzichtet, die keinem Hochwasser standhalten würden. Auf jeden Fall haben wir bei der zweiten Sanierung versucht, mit dem nächsten Hochwasser klar zu kommen. Wir haben viele Fehler gemacht. Aber woher hätten wir es denn wissen sollen?
Quelle: MDR/bb
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Leipzig | 23. Juli 2021 | 15:30 Uhr