Jugendclubs auf dem Land "Du musst nicht bis Leipzig oder Dresden ziehen, um eine coole Jugend zu haben"
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21. Juli 2024, 05:00 Uhr
In Jugendclubs können sich junge Leute treffen, handwerken, Musik machen und Partys organisieren. Sie beleben Orte, vor allem auch auf dem Land. Doch sie geraten unter Druck. Die finanzielle Absicherung fehlt, und auch der politische Rechtsruck macht ihnen zu schaffen. Ein Besuch in Leisnig und Grimma.
- Die Betreiber des Alternativen Jugendzentrums in Leisnig wollen ein Gegenpol zum Rechtsruck sein, indem sich Jugendliche frei entfalten können.
- Die Beatsteaks geben Konzert in Leisnig, um auf die wichtige Arbeit von Jugendzentren hinzuweisen.
- In der Alten Spitzenfabrik in Grimma haben Jugendliche die Möglichkeit, ihre eigenen Ideen umzusetzen – und organisieren zum Beispiel das "Crossover Festival".
Es ist ein sonniger Dienstagnachmittag im Alternativen Jugendzentrum, kurz AJZ, in Leisnig in Mittelsachsen. Michel Hänsel und Johann Preiß – Michi und Johann, wie sie hier von allen genannt werden – blicken von einem Hügel hinab auf das Gelände des AJZ. Vor ihnen steht eine Mini-Ramp für Skater, gleich daneben ein Basketballplatz. Den haben die Jugendlichen, die in den Jugendclub kommen, selbst angelegt.
Darauf ist Johann stolz: "Also gerade der Basketballplatz. Eine Betonfläche zu ebnen und herzustellen, das ist schon eine krass schweißtreibende, harte Arbeit. Und da haben die jungen Leute hier echt gut mit angepackt." Michi und Johann leiten das AJZ in Leisnig. Das machen sie ehrenamtlich. Johann ist 26 Jahre alt und Tischler, Michi ist 25 und Fachangestellter für Medien- und Informationsdienste im medizinischen Bereich. Beide kommen schon seit zehn Jahren hier her.
Der Landflucht entgegenwirken
Im AJZ leisten sie die Jugendarbeit, die ihrer Meinung nach sonst fehlt. Sie unterstützen die Jugendlichen dabei, eigene Ideen umzusetzen, helfen ihnen zum Beispiel, Konzerte zu organisieren, Gärten anzulegen oder kümmern sich um einen offenen Proberaum, in dem die Jugendlichen Musik machen können. So wollen die beiden Jugendlichen auch der Landflucht entgegenwirken.
Dabei geht es ihnen auch darum, das AJZ in Leisnig als Ort zu erhalten, an dem Menschen anders sein können. Denn wenn diese Menschen sich nicht mehr willkommen fühlen und in die Städte ziehen, gehe auf Dauer die Weltoffenheit und Aufgeschlossenheit verloren, befürchtet Michi.
Ein Ort zum Entfalten
Die Arbeit der beiden geht auf. Das AJZ ist bestens in die Stadtgesellschaft und das Vereinsleben in Leisnig integriert. Viele Jugendliche schätzen das Jugendzentrum als Ort, an dem sie sich ausleben und entfalten können. Eine Jugendliche erzählt: "Ich weiß, dass wenn ich hierhin komme, dass ich mich halt wohlfühlen kann. Dass ich so sein kann, wie ich möchte und keine dummen Blicke abkriege nur dafür, wie ich aussehe oder was ich anziehe."
Michi und Johann sind froh, dass sich junge Menschen im AJZ wohlfühlen und dort mit anpacken und auch eigene Projekte verwirklichen. Mehrmals betonen sie auch, wie froh sie sind, dass die Stadt ihre Arbeit unterstützt.
Rechtsruck schon bei Kindern
Doch: Der aktuelle Rechtsruck macht ihnen Sorgen. Denn das AJZ Leisnig finanziert sich vor allem aus Fördermitteln. Von anderen Jugendzentren, so berichten sie, haben sie gehört, dass der Zugang zu diesen Geldern erschwert oder ganz gestrichen würde, sobald rechte Parteien Mehrheiten in Stadträten bekämen.
Aber nicht nur in den Parlamenten, ob nun auf Kommunal- oder auf Landesebene, sehen die beiden die Folgen des Rechtsrucks – dieser komme mittlerweile schon im Kindesalter an: "Es gibt gewisse Menschen an Schulen, die betreffendes Gedankengut in sich tragen und verbreiten. Das betrifft nicht nur unsere Altersgruppe hier, 16 bis 27, das betrifft auch Kinder und Jugendliche im kleineren Alter", sagt Johann.
"Freiräume müssen staatlich gefördert werden"
Gerade da wollen Johann und Michi mit ihrer Arbeit ansetzen – und fordern auch mehr finanzielle Unterstützung: "Ich finde, solche Freiräume müssen auf jeden Fall staatlich gefördert werden. Ich finde, es ist gut, die Gestaltung der Freiräume den Jugendlichen zu überlassen, aber die finanziellen Aufwendungen, der laufende Betrieb und auch die zukünftige Absicherung, das alles muss von der Kommune und vom Land gesichert sein. Weil die Arbeit, die wir hier hinten machen, die ist so immens prägend meiner Meinung nach. Das ist genau das kritische Alter was man hat, bis 27. Da werden die jugendlichen Menschen geformt", erklärt Johann.
Im AJZ Leisnig wollen sie einen Ort für Jugendliche schaffen, an dem sie sich entfalten und ausleben können – und Höhepunkte erleben. Dementsprechend war die Freude groß, als die Beatsteaks anfragten, ob sie hier spielen könnten. Die Berliner Rockband tritt sonst vor tausenden Menschen auf – diesen Sommer touren sie durch AJZs vor allem im ländlichen Raum im Osten – auch als Zeichen gegen die politische Verschiebung nach Rechts.
Beatsteaks wollen mit Tour die AJZ unterstützen
Überall seien sie wärmstens empfangen worden, erzählen uns die Beatsteaks, von den Konzerten ist die Band begeistert. Trotz all der medialen Aufmerksamkeit und der Begeisterung vor Ort ist ihnen aber auch klar, dass sie mit ihrer Tour nur sehr begrenzten Einfluss auf die politische Lage im Osten haben: Es bringe einen kurzen Moment Aufmerksamkeit, mehr nicht. Aber beigetragen sei besser als nicht beigetragen, sagt Peter Baumann von den Beatsteaks.
Jugendzentrum Alte Spitzenfabrik Grimma: Ort zum Ausleben
30 Kilometer weiter, am Ufer der Mulde in Grimma, liegt die Alte Spitzenfabrik. Bis 1991 wurde hier Spitze gefertigt, die den Namen "Plauener Spitze" trug. Heute ist das Gebäude ein Jugendzentrum. Im Innenhof der Spitzenfabrik angekommen, treffen wir Lilly und Julia. Die beiden sind 18 Jahre alt, machen gerade eine Ausbildung zur Erzieherin und sind fast jede Woche an der Spitze.
Hier können sie und andere Jugendliche sich ausleben. Julia sagt: "Zum Beispiel, wenn wir hier irgendwas dekomäßig bauen wollen, dann sagen die: 'Macht, lasst euch Zeit, nehmt, was ihr habt, nehmt, was ihr braucht.' Und dann können wir das machen. Wir haben da echt freie Entscheidung, was das angeht." Die, das sind in diesem Fall der Förderverein für Jugendkultur und Zwischenmenschlichkeit. Der betreibt die Spitze als Jugend- und Kulturzentrum.
Jugendliche organisieren Festival selbst
Julia und Lilly organisieren mit anderen Jugendlichen zusammen das "Crossover Festival". Ende Juni findet es auf dem Gelände der Alten Spitzenfabrik statt. Circa 900 Menschen erwarten sie. Dafür muss einiges erledigt werden – die Jugendlichen planen alles selbst.
Julia und Lilly erklären im Innenhof, dass sie dort schon einiges in pink und weiß und schwarz angemalt haben und noch mehr machen wollen – das passt dann nämlich zum Design der Flyer und Plakate. Bühnen sollen noch aufgebaut werden, es gibt ein Gastrokonzept und Workshops. Die Jugendlichen haben Bands gebucht und auch das Campinggelände geplant. Julia und Lilly erzählen das, während sie vor einer großen Wiese hinter dem Fabrikgebäude stehen, mit Blick auf die Mulde. Das wird der Campingplatz werden. Noch steht das Gras hüfthoch. Aber bald wird hier gemäht.
Jugendzentrum immer professioneller geworden
Dass die Jugendlichen viel Freiraum haben, ihre eigenen Ideen umsetzen und der Förderverein und die Mitarbeitenden an der Spitzenfabrik ihnen lediglich beratend zur Seite stehen, ist der Kern der Konzepts der Alten Spitzenfabrik. Das erklärt Sarah Schröder. Sie ist 24 Jahre alt und macht die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins – damit ist sie eine von fünf hauptamtlich Angestellten, die für das Jugendzentrum arbeiten.
Sie ist schon seit zehn Jahren engagiert an der Spitzenfabrik. Als Jugendliche war sie schon maßgeblich am Aufbau des Projektes beteiligt. Und hat so auch gesehen, wie das Projekt gewachsen ist: "Wenn ich mir überlege dass wir unsere Fundamente fürs Containercafé teilweise mit Brotbüchsen ausgegraben haben, weil wir keine Schaufeln hatten, und wir heute eine Werkstatt haben, in der man sich Werkzeug ausleihen kann – das sind dann vielleicht so kleine Sachen, wo einem manchmal so im Alltagsgeschäft eine Retrospektive fehlt, wenn man nicht von Anfang an dabei war.."
Jugendzentrum will finanziell unabhängig werden
Wie Michi und Johann in Leisnig, erzählt auch Sarah, dass die Spitzenfabrik maßgeblich von Fördergeldern von Kommune und Land abhängig ist. Davon wollen sie sich an der Spitzenfabrik unabhängig machen. Das Projekt soll sich irgendwann finanziell selbst tragen, da Sarah und ihre Kolleginnen sich um die finanzielle Sicherheit der Spitzenfabrik sorgen, sollten rechte Akteure politische Mehrheiten erlangen.
Sich finanziell selbst zu tragen sei zwar ein Mehraufwand, sagt Sarah, aber "es ist natürlich immer mitgeschwungen zu sagen: Okay, wir müssen irgendwie schauen, wie wir uns auf sichere Füße stellen und wie wir das, was wir hier aufbauen, auch als Schutzräume, als sichere Orte schützen können nach außen". Durch die Wahlerfolge der AfD bei den Europa- und Kommunalwahlen sieht sie sich in diesem Bestreben nur bestätigt. Bei der Europawahl wählte mehr als jeder dritte Wahlberechtigte in Grimma die Partei, bei der Kreistags- und Stadtratswahl jeder vierte.
Die Gefahr durch Rechtsextreme ist real für die Spitzenfabrik – auch physisch. Sarah erzählt, dass es immer wieder zu Anschlägen auf die Spitze kommt. Und das zeigt sich auch am Fabrikgebäude. Viele Fenster des vierstöckigen Gebäudes sind eingeworfen. Auch wenn Sarah nur über die Angreifer mutmaßen kann, hat sie doch das Gefühl, dass die Anschläge markiert werden: "Weil wenn das im gleichen Zug stattfindet wie vermehrt SS-Runen oder Hakenkreuze an der Wand, dann braucht man sich nicht zu fragen, ob das irgendwelche Rabauken waren".
"Was willste da machen? Weiter natürlich."
Auf der Spitze nehmen sie die Anschläge ernst, aber sie lassen sich nicht einschüchtern oder einschränken. Auf die Frage, was sie nach einem Angriff machen, antwortet Sarah ganz klar: "Wir räumen’s weg. Bei sowas wie Einbrüchen erstatten wir natürlich Anzeige. Aber was willste da machen? Weiter natürlich."
Die Stimmung an der Spitzenfabrik ist gut. Das Fabrikgebäude liegt in der Sonne, ein Containercafé steht davor. Sarah ist gut gelaunt, lacht viel. Und auch Lilly und Julia fühlen sich wohl in der Spitzenfabrik. Das Besondere? "Dass man auch weiß, dass hier unterschiedliche Menschen willkommen sind. Also egal, welches Geschlecht oder welche Hautfarbe", sagt Lilly. Und Julia ergänzt: "ich glaub, das ist halt vor allem in Städten wie Grimma ziemlich wichtig, dass es auch so eine Alternative gibt".
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 30. Juni 2024 | 12:17 Uhr