Umgangene Sanktionen Hochtechnologie für Russland: Wie Deutsche sich an der Beschaffung beteiligen

23. Juli 2022, 05:00 Uhr

Es geht um Tarnfirmen, den russischen Geheimdienst und Labortechnik, die an die Rüstungsindustrie gegangen sein soll. Die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft gegen einen Mann aus Sachsen wiegen schwer. Nun ist das Urteil gegen ihn gefallen. Doch Details zu der Rolle des Unternehmers bleiben offen.

Es ging um scheinbar unspektakuläre Utensilien aus dem Labor. Doch jene Spezialgeräte können auch zur Produktion von Waffen verwendet werden – und solche Utensilien soll ein Geschäftsmann aus der Nähe von Leipzig ohne Genehmigung nach Russland geliefert haben. Dabei soll der 57-Jährige Alexander S. wissentlich die Exportkontrollen gegen Moskau umgangen haben.  

Der Staat habe in solchen Fällen nicht immer gründlich genug nachgeschaut, meint Konstantin von Notz, der für die Grünen im Bundestag sitzt: "Es handelt sich nicht um normale Güter, die man einfach in andere Länder schickt." Deshalb gebe es dafür Regelungen. "Der Verdacht ist, der sich in Fällen wie diesen bestätigt, dass man in den letzten Jahren nicht sehr präzise hingeguckt hat, und dass man sich nicht um die Details kümmern wollte."

Diese Vermutung gibt es nun auch im Fall von Alexander S., der sich für seine Taten vor dem Oberlandesgericht Dresden verantworten musste. Denn seine Produkte sollen an einen Endverwender gegangen sein, der auch militärisch tätig ist – und der Geschäfte mit Unternehmen aus der Rüstungsindustrie machte.  

Diese produzieren unter anderem Raketensysteme, die aktuell im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zum Einsatz kommen. Es gibt Hinweise, dass diese nicht nur auf militärische Einrichtungen, sondern auch auf zivile Ziele abgefeuert worden sein sollen.

Teil eines Netzwerks des russischen Geheimdienstes FSB?

Alexander S. soll Teil eines Beschaffungsnetzwerks des russischen Geheimdienstes gewesen sein, wirft ihm die Bundesanwaltschaft vor. Ein Mann, der bis zu seiner Verhaftung im Mai 2021 in einer ruhigen Siedlung in der Nähe von Leipzig gelebt hat. In der Siedlung waren seine Geschäfte offenbar nicht aufgefallen, über Politik habe er nie gesprochen, erzählen einige der Nachbarn. 

Auch die Ehefrau möchte sich nicht zu den Motiven der Geschäfte von Alexander S. äußern, als MDR exakt nachfragt. Im Verein, in dem Alexander S. aktiv war, konnte sich bei einem Besuch von MDR exakt niemand an den Unternehmer erinnern.

Doch im Prozess in Dresden erzählt Alexander S. selbst einiges über sich und sein Vorgehen: Er ist auch persönlich eng mit Russland verbandelt, hat familiäre Beziehungen dorthin. Er stieg zunächst Mitte der Neunziger Jahre über das Unternehmen seines Vaters ins Russland-Geschäft ein, pflegte die Beziehungen über die Jahre weiter, baute sie aus. Mit seiner deutschen Handelsfirma vertrieb er jahrelang Labor- und Messtechnik nach Russland – und verkaufte sie offenbar auch an Abnehmer, in deren Hände sie nie hätten gelangen dürfen.

Annexion der Krim und die EU-Sanktionen 

Seit Sommer 2014 ist der Handel mit bestimmten Maschinen, Laborutensilien und Werkzeugen zusätzlich reglementiert – eine Reaktion auf die Annexion der Krim durch Russland im März 2014. Die von der EU beschlossenen Sanktionen betreffen auch den Handel mit sogenannten "Dual-Use"-Gütern. Das sind Güter, die sowohl zivil als auch militärisch nutzbar sind.

"Man will hier natürlich als EU-Gesetzgebung diese Hochtechnologie – in Anführungszeichen – auch kontrolliert außerhalb der Europäischen Union sehen", sagt Savas Poyraz von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Düsseldorf. Er berät Unternehmen, deren Geschäfte von den Sanktionsmaßnahmen betroffen sind und sagt, dass es diese Genehmigungspflichten in Richtung Russland oder Iran gebe, "weil man einfach nicht möchte, dass hohe Technologie in falschen Hände gerät." Inzwischen gibt es Exportverbote für solche Güter in die beiden Länder.

Angeklagter soll BAFA-Hinweise übergangen haben

Die Einhaltung dieser Exportsanktionen kontrolliert in Deutschland das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Diese Behörde soll Alexander S. getäuscht haben – und zwar mit System, wirft ihm die Bundesanwaltschaft vor.

Denn Alexander S. stand vor allem mit einer russischen Firma in Kontakt, die als Zwischenhändler fungierte. Endabnehmer der Exporte sollte vor allem eine Universität in Jekaterinburg sein – mit unmittelbaren Verbindungen zum russischen Inlandsgeheimdienst.

Mehrfach machte das BAFA Alexander S. darauf aufmerksam, dass "sensitive Hinweise" zu beiden Partnern vorliegen würden – und erteilte deswegen keine Ausfuhrgenehmigung. Doch der Geschäftsmann soll auf dem Papier an andere, vorgeschobene Abnehmer, weiter verkauft haben, wirft ihm die Bundesanwaltschaft vor. Der russische Zwischenhändler soll so ein "konspirativ agierendes Beschaffungsnetzwerks" in Deutschland betrieben haben. S. dagegen betonte vor Gericht, dass er nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt habe.

Ähnlicher Fall in Bayern lieferte Hinweise auf Geschäftsmann bei Leipzig

"Also wenn ich in einer Zollanmeldung deklariere ich liefere an die ABC OOO – was ja die GmbH in Russland ist – aber letztendlich war es die EFG OOO, wo ich tatsächlich auch wusste, dass es mein Endempfänger ist und der ist sanktioniert", sagt IHK-Experte Savas Poyraz.  "Und das ist dann natürlich nach dem Exportkontrollrecht, Außenwirtschaftsrecht eine Straftat. Die dann auch so hätte nicht stattfinden dürfen. Und da ist natürlich ganz klar der Geschäftsführer, die Geschäftsführerin dann komplett in der Verantwortung."

Doch Alexander S. ist nicht der Einzige, der in dieser Art Sanktionen gegen Russland umgangen haben soll. Schon 2020 standen zwei Männer aus Bayern in einem sehr ähnlichen Fall vor Gericht. Der eine wurde zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt, der andere bekam wegen Beihilfe zwei Jahre auf Bewährung. Im Laufe des Verfahrens gegen sie fand auch eine Durchsuchung bei Alexander S. statt.

Maschinen landeten bei russischem Rüstungskonzern

Die Ermittler fanden Gemeinsamkeiten – eine davon: sie verkauften an den gleichen russischen Zwischenhändler. Und: Auch die Männer aus Augsburg gaben vorgeschobene Abnehmer an. Im Fall der Männer aus Augsburg: Firmen aus der Gas- und Ölindustrie. Doch statt bei diesen Unternehmen landeten die Maschinen bei einem staatlich-russischen Rüstungskonzern.

Wie umfassend das Problem der russischen Beschaffungsaktivität in Deutschland wirklich ist, ist schwer einzuschätzen. "Ich bin am Ende nicht die Spionageabwehr in Deutschland, sondern kann nur auf das zählen, was Nachrichtendienste berichten", sagt Politiker Konstantin von Notz dazu. Er glaubt, dass es sich angesichts der Hinweise und aufgrund der bereits bekannten Fälle um ein relevantes Problem handele. "Es ist ureigenste Aufgabe der Dienste das Land zu schützen. Und das ist nicht ausreichend passiert. Das ist schlecht. In der Gegenwart versucht man nachzusteuern, und in der Zukunft muss das deutlich besser werden."

Alexander S. hat Anfang Juli einen Teil der Taten gestanden. Er gab zu, die Waren ohne Genehmigung verkauft zu haben – und auch, dass ihm die tatsächlichen Empfänger bekannt waren. Von deren Verbindungen zur Rüstungsindustrie will er nichts gewusst haben. Das Gericht nennt das Geständnis "äußerst dürr" – einen Deal bekommt er trotzdem. Drei Jahre und drei Monate Haft – so das Urteil. Noch ist es nicht rechtskräftig. Die Erträge aus den Geschäften - fast eine Millionen Euro – werden eingezogen. Der Vorwurf, mit einem Geheimdienst zusammen gearbeitet zu haben, wird dafür fallen gelassen – auch wenn die Richter zu seiner Rolle im Beschaffungsnetzwerk weiterhin Ungereimtheiten sehen.

Quelle: MDR exakt/ mpö

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 20. Juli 2022 | 20:15 Uhr

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