Zug bleibt stehen Chaos-Evakuierung kurz vor Leipzig: ICE drei Stunden verspätet

21. Juli 2023, 08:30 Uhr

Wenn sich der Zug verspätet oder ganz ausfällt, sind Bahn-Kunden frustriert. Doch wie groß muss der Ärger sein, wenn nach langer Fahrt der Zug zehn Minuten vor dem Ziel steckenbleibt? Die Fahrgäste des ICE 70 von Chur in der Schweiz nach Berlin konnten am Mittwochabend nach mehr als zwei Stunden Warterei erst nach einer Evakuierung weiterreisen. Weit kamen sie nicht. Das Chaos war perfekt, als das DB-Personal in Leipzig vom Zugausfall nichts wusste und Anschlusszüge bereits weg waren.

Für den ICE 70 von Chur in der Schweiz nach Berlin geht es am Mittwochabend auf einmal bei Bad Lauchstädt in Sachsen-Anhalt nicht weiter. Es ist circa 21 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt ahnen die Fahrgäste im Zug noch nicht, dass eine stundenlange Odyssee vor ihnen liegt. Ein MDR-Reporter hat die miterlebt und ärgert sich: "Es gab kaum Informationen im Zug." Die Durchsagen im gestrandeten ICE seien sehr kryptisch gewesen.

Erst habe eine Stimme per Durchsage von einer "Zuguntersuchung" gesprochen, zwischendurch habe eine Zugbegleiterin einen "Gummi auf dem Stromabnehmer" als Ursache benannt. Was wirklich los ist, erfahren die Passagiere nicht. "Nach einer knappen Stunde hieß es, der ICE würde eventuell evakuiert", berichtet der MDR-Reporter.

Evakuierung von Zug nach mehr als zwei Stunden

Als die Fahrgäste in einen anderen ICE gebracht werden, sei es schon kurz nach 23:30 Uhr gewesen. Drei Stunden nach der Zug-Strandung seien die Fahrgäste schließlich am Hauptbahnhof Leipzig angekommen. Da seien die meisten Anschlusszüge jedoch schon abgefahren. Aber in Leipzig geht die Odyssee für den MDR-Reporter und zahlreiche Passagiere weiter.

Sie hatten keinen blassen Schimmer, dass da ein Zug drei Stunden lang vor Leipzig stand und dutzende Passagiere jetzt eine Lösung brauchen würden.

MDR-Reporter saß im ICE 70 nach Leipzig

Ihm zufolge hätten Mitarbeitende in einem DB-Infostand gerade Feierabend machen wollen, als mehrere Fahrgäste aus dem verspäteten ICE Hilfe suchten. "Sie hatten keinen blassen Schimmer, dass da ein Zug drei Stunden lang vor Leipzig stand und dutzende Passagiere jetzt eine Lösung brauchen."

DB-Mitarbeitende mit Fahrgästen komplett überfordert

Die DB-Servicekräfte hätten grantig und entnervt auf die abermals gestrandeten Reisenden reagiert. Hektisch seien per Telefon Taxis bestellt und ein Ersatzbus nach Dresden organisiert worden. Der Bus sollte 1:30 Uhr nachts kommen.

"Es waren um die 30 Leute, die nach Dresden und Riesa mussten. Somit war mit einer Ankunft in Dresden vor 4 Uhr morgens kaum zu rechnen", so der MDR-Mitarbeiter. Er habe schließlich auf einer Hotelreservierung auf Kosten der DB bestanden. Am Donnerstagmorgen sei er mit dem ICE nach Dresden gefahren.

Ursache für Zug-Stopp ist Fremdkörper

Der Grund für den Zugstopp sei ein Fremdkörper gewesen, teilte die DB auf Nachfrage von MDR SACHSEN mit. Dieser habe sich am Stromabnehmer zwischen Zug und Stromleitung verfangen. "Die technische Überprüfung hat ergeben, dass der Zug seine Fahrt nicht fortsetzen konnte", sagt ein Sprecher der DB-Pressestelle. Die regionale Verkehrsleitung kümmere sich dabei um die Weiterreise.

Dass Zugreisende auch mit dem Taxi nach Hause geschickt wurden, gehört laut DB zur gängigen Praxis: "Ist das mangels verfügbarer Taxis nicht möglich, werden Hotelübernachtungen organisiert." Die DB bedaure den Zwischenfall und Unannehmlichkeiten für die Fahrgäste. Weitere Angaben, etwa warum die Passagiere sowie das DB-Personal in Leipzig nicht ausreichend informiert worden sind, machte die DB nicht.

Planlosigkeit im Ernstfall

Ein Zug mit knapp drei Stunden Verspätung in Leipzig? Für den Sprecher des Fahrgastverbandes Pro Bahn, Lukas Iffländer, ist die Evakuierung mit Blick auf die DB-Statistik noch vergleichsweise gut verlaufen. "Es klingt zynisch, aber die DB hat schon größere Abschüsse geliefert", sagte Iffländer MDR SACHSEN. Er nennt einen Vorfall eines stehen gebliebenen Fernzugs bei Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern. Dort habe die Klimaanlage bei starker Hitze nicht funktioniert. Aus Verzweiflung hätten die Fahrgäste im Zug Fenster und Türen eingeschlagen.

Es fehlt ein klarer Plan. Die Zugbegleiter werden oft alleine gelassen.

Lukas Iffländer Sprecher des Fahrgastverbandes Pro Bahn

Aus Sicht von Pro-Bahn-Sprecher Iffländer müssten solche Zwischenfälle schneller gelöst werden. "Es dauert relativ lange, bis jemand die unbequeme Entscheidung trifft, dass ein Zug evakuiert wird oder nicht." Die Bahn würde wenig präventiv arbeiten und Ersatzzüge rechtzeitig bereitstellen. "Es fehlt ein klarer Plan. Die Zugbegleiter werden oft alleine gelassen. Da braucht man sich nicht wundern, wenn sie im großen Stil kündigen", sagte er.

Für Zwischenfälle unzureichend vorbereitet

Die DB versichere Pro Bahn regelmäßig, dass sie ihr Zugpersonal für solche Vorfälle schulen würde. "In der Regel funktioniert das im Ernstfall mittelprächtig bis ganz katastrophal", urteilte Iffländer. Für Bahnreisende bedeute das nicht nur, dass sie teils extrem verspätet am Ziel ankämen. Weil immer mehr Bahn-Personal aus Frust kündige, gebe es im Ernstfall auch weniger Ansprechpartner an den Orten mit Problemen.

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MDR (phb/noj)

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