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Tanz- und TheaterfestivalNach Antisemitismus-Vorwürfen: Euro-Scene in Leipzig startet

05. November 2024, 03:00 Uhr

Überschattet vom Streit um die Ausladung des palästinensischen Freedom Theatres Jenin startet am Dienstag das Tanz- und Theaterfestival Euro-Scene in Leipzig. Direktor Watty sieht darin einen "bitteren Vorgang", der aufgearbeitet werden müsse. Bis zum 10. November sind Stücke aus 14 Ländern beim Festival zu sehen. Los geht es bereits am Mittag mit einer Demokratie-Marathonlesung in der Nikolaikirche aus Anlass der US-Wahl – und mit einer Kundgebung gegen die Stück-Absage.

Am Dienstagabend startet die Euro-Scene mit dem Tanzwettbewerb "Ubuntu Connection". Zuvor gibt es eine Marathonlesung "Was auf dem Spiel steht" zur Präsidentschaftswahl in den USA. Zu der "Meditation über Demokratie, Freiheit und Menschenrechte" in der Nikolaikirche sagte Festivalchef Christian Watty im Gespräch mit MDR KULTUR, zu hören seien Texte wie die "Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin" von Olympe de Gouges, wofür die leidenschaftliche Verfechterin von Frauenrechten 1793 hingerichtet worden sei. Am Nachmittag werde außerdem eine Spende an den Verein "Land in Sicht" überreicht, der Demokratie-Projekte in ganz Sachsen unterstütze.

Mit "Ubuntu Connection", einem Tanzwettbewerb, wird die Euro-Scene 2024 am Dienstag eröffnet. Bildrechte: Anna Ihle

Fokus Nahost: Watty nennt Stück-Absage "bitteren Vorgang"

Das Leipziger Festival steht dafür, experimentelles Theater und innovativen Tanz "in seiner Vielfalt, Schönheit und Zeitgenossenschaft" zu zeigen, wie Watty bei der Vorstellung des Programms betonte. Ein Schwerpunkt sollte auf dem Nahen und Mittleren Osten liegen, mit Produktionen aus Iran, Libanon und dem Westjordanland.

In dem Ort Shiraz im südlichen Iran fand in den 1970er-Jahren ein Tanzfestival zur Musik u.a. von Karl-Heinz Stockhausen oder John Cage statt. Daran erinnert die gleichnamige Performance von Armin Hokmi mit internationalen Tänzerinnen und Tänzern. Bildrechte: Armin-Hokmi-Kiasaraei

Für Kritik sorgte bereits im Vorfeld, dass kein Künstler aus Israel eingeladen worden sei. Schließlich sagte das Festival die Performance "And Here I Am" des palästinensischen Freedom Theatres aus Dschenin im Westjordanland nach Vorwürfen des Antisemitismus und der Terror-Verherrlichung ab.

Festivalleiter Christian Watty sieht darin im Gespräch mit MDR KULTUR "einen bitteren Vorgang": "Mir ist so eine Hetzkampagne gegen das Freedom Theatre noch nirgendwo in der Welt bekannt geworden. Sonst wäre ich sicher aufmerksamer geworden und mit Sicherheit habe ich auch die aufgeladene Stimmung in Deutschland unterschätzt".

In dem Stück geht es um die Lebensgeschichte des künstlerischen Leiters der Theatergruppe, Ahmed Tobasi, der in seiner Jugend für die Terrororganisation Islamischer Dschihad aktiv war. Unter anderen kritisierten die Leipziger Initiative Artists against Antisemitism und der Beauftragte für jüdisches Leben in Sachsen, Thomas Feist, den geplanten Auftritt. Der Theatergruppe wurde vorgeworfen, zum kulturellen Boykott Israels aufzurufen und den Terror des sogenannten Palästinensischen Islamischen Dschihad zu verharmlosen. Watty betonte, er halte Ahmed Tobasi weiterhin für einen "absolut integren Künstler". Er finde es schockierend, dass die "Erregungskampagne" via Social Media von anonym bleibenden Leuten der Kunstszene in Leipzig losgetreten worden sei. Zugleich stehe er öffentlich am Pranger.

Ich halte Ahmed Tobasi weiterhin für einen absolut integren Künstler.

Christian Watty, Festivaldirektor der Euro-Scene

Die Euro-Scene verwies bei ihrer Absage unter anderem auf einen Beschluss der Ratsversammlung der Stadt Leipzig, wonach städtische Kultureinrichtungen verpflichtet seien, sich von jeglichen Boykott-Aufrufen gegenüber Israel zu distanzieren. Dazu erklärte Festival-Direktor Watty, er sei gegen jeden Boykott. Man müsse "hier aber auch fragen, wie frei die Kunst denn überhaupt noch sein will, wenn sie Selbstzensur und Boykott fordert." Er sprach sich für eine Aufarbeitung des Vorgangs rund um die Ausladung nach dem Festival auf.

Man muss fragen, wie frei die Kunst denn überhaupt noch sein will, wenn sie Selbstzensur und Boykott fordert.

Christian Watty, Festivaldirektor der Euro-Scene

Demonstration gegen Ausladung palästinenischer Theatermacher

Für den Eröffnungstag kündigte eine Gruppe "Intersektionaler Künstler:innen und Theaterbegeisterter aus Leipzig" eine Kundgebung als Protest gegen die Absage des Stückes "And Here I Am" an. Die Teilnehmenden wollen damit ihre Solidarität mit der Euro-Scene Leipzig und dem Freedom Theatre Jenin ausdrücken. "Insbesondere im Kontext der aktuell von Israel an Palästinenser:innen begangenen Kriegsverbrechen, hat Kunst die Aufgabe Perspektiven zu ermöglichen, die im jetzigen Diskurs fehlen", teilte die Gruppe mit. Die Demonstration findet demnach parallel zur Marathonlesung "Was auf dem Spiel steht" an der Nikolaikirche statt.

Preis für Afghanistan-Projekt der Kula Compagnie

Bis 10. November werden bei der Euro-Scene in Leipzig insgesamt 14 Produktionen zu sehen sein, darunter eine Uraufführung und drei Deutschlandpremieren. Eingeladen sind Künstlerinnen und Künstler aus 14 Ländern, darunter Deutschland, Frankreich oder Griechenland, Belarus, Polen oder der Ukraine.

Am Samstag wird die internationale Kula Compagnie mit dem Preis des deutschen ITI-Zentrums (Internationales Theaterinstitut) ausgezeichnet. In der Begründung der Jury heißt es: "Die Kula Compagnie steht exemplarisch für ein transnationales, mehrsprachiges Theater, das künstlerische Praxis verschiedenster Ästhetiken und humanitäres Engagement zusammenführt." Eigentlich sollte auch die ITI-Jahrestagung während der Euro-Scene stattfinden, das Treffen wurde jedoch abgesagt.

Im Anschluss an die Preisverleihung wird der Film "Das fünfte Rad" der Kula Compagnie gezeigt, der aus dem afghanischen Untergrund heraus mit Mobiltelefonen gedreht wurde.

Höhepunkte der Euro-Scene 2024 (Zum Ausklappen)

5. November 19:30 bis 22:30 Uhr | Schauspiel Leipzig
Festivaleröffnung mit Grußworten und Stück "Ubuntu Connection" des Somogo Kollektivs

5. November 12:00 bis 18:00 Uhr | Nikolaikirche
Marathonlesung "Was auf dem Spiel steht", Meditation über Demokratie, Freiheit und Menschenrechte

6. November 19:30 bis 20:45 Uhr, 7. November 17:30 bis 18:45 Uhr | Lofft Theater
"Basis for Being" - traditioneller und moderner iranischer Tanz mit Sina Saberi (Hamburg, Teheran)

7. November 17:30 bis 20:30 Uhr | Schauspiel Leipzig
"Mothers a Song for Wartime" Chortheater von Marta Górnicka (Warschau) zum russischen Angriffskrieg, mit 21 ukrainischen, belarusischen und polnischen Frauen

9. November 16:00 bis 18:00 Uhr | Schaubühne Lindenfels
Preis des deutschen ITI Zentrums 2024 an die KULA Compagnie mit anschließendem Filmscreening

Quelle: Quelle: MDR KULTUR (Thomas Bille), Euro-Scene Leipzig
Redaktionelle Bearbeitung: op, bh, ks

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 05. November 2024 | 08:40 Uhr