Preisverleihung auf der 24. Filmkunstmesse LeipzigMit welchen Problemen die Programmkinos in Mitteldeutschland kämpfen
In Leipzig gibt die 24. Filmkunstmesse gerade einen Ausblick auf die neue Kinosaison. Bis Freitag versammelt der jährliche Branchentreff der AG Kino-Gilde Programm-Macher aus ganz Deutschland. Gewürdigt wurden am Dienstag die besten Kino-Programme des vergangenen Jahres in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. So räumte das Lichthaus in Weimar den Hauptpreis ab. Die Herausforderungen, feine Filmkost in der Region zu bieten, bleiben. Und sie können sehr unterschiedlich sein.
- Bei der Leipziger Filmkunstmesse kommen Programmkino-Macher aus ganz Deutschland zusammen, auch aus ländlichen Kinos.
- Das Puschkino in Halle sieht sich aktuell gut aufgestellt, in Chemnitz kämpft das Kino Metropol für Filmkunst und fordert Subventionen.
- Das Lichthaus-Kino in Weimar hat zuletzt einen Besucherrückgang verzeichnet, wurde auf der Messe aber mit dem Hauptpreis fürs beste Programm ausgezeichnet.
- Insgesamt 22 Spielstätten wurden von der Mitteldeutschen Medienförderung gewürdigt.
Das Jahr 2023 war ein gutes Kinojahr, zumindest laut Bilanz der Filmförderungsanstalt FFA. 96,7 Millionen verkaufte Kinotickets bundesweit sind zwar immer noch 20 Prozent weniger als im Vor-Corona-Jahr 2019. Doch das Publikum kommt wieder. Und die Zahl der Kinos ist auch stabil geblieben. Ist die Krise damit überstanden? Und wie wäre das Ergebnis ausgefallen ohne "Barbenheimer"? Der enorme Erfolg von "Oppenheimer" und "Barbie" half den Kinos letztes Jahr durch den Sommer.
Die kulturelle Bedeutung von Kinos auf dem Land
Man muss sagen: Die Statistik fasst alle Kinos bundesweit zusammen, Multiplexe ebenso wie kommunale Kinos und gewerbliche Programmkinos, gerne auch Arthouse-Kinos genannt. Letztere sind in der AG Kino – Gilde deutsche Filmkunsttheater e.V. vereint.
Bei der Leipziger Filmkunstmesse geht es nun konkret um die Zahlen und Herausforderungen für die Programmkinos. In Workshops und Seminaren werden relevante Themen angegangen. Das ist vor allem die anstehende Reform des Filmfördergesetzes, die Kulturstaatsministerin Claudia Roth im nächsten Jahr umsetzen will. Die Kinos fühlen sich hier nicht richtig mitgenommen. Es geht aber auch um Qualitätsmanagement, ökologische Mindeststandards oder um die große Herausforderung, Kino auf dem Land zu machen. Gerade in ländlichen Regionen kommt den Kinos eine besondere kulturelle Bedeutung zu.
Puschkino in Halle fühlt sich gut aufgestellt
Torsten Raab etwa betreibt das Puschkino in Halle. Zur Zeit stehen unter anderem "Zwei zu eins" und "Die Unbeugsamen 2" auf dem Programm, die aktuell die sogenannten "Arthouse-Charts" anführen. Beide könnten auch bei ihm zu "Langläufern" werden, sagt Raab. Aber auch ohne die gab es in diesem Jahr immer genug "tragende Filme", die auch unterschiedliches Publikum zogen, Stammpublikum wie auch "Brotpublikum" am Wochenende. Keine Delle im Sommer, wie so oft.
Es sei sogar überdurchschnittlich gut gelaufen, zumindest auf einem bescheidenen Niveau: "Da haben wir das Glück, dass wir durch flache Strukturen auch mit weniger Zuschauern gut zurecht kommen – ich muss aber sagen, dass es sich vielleicht ein Jahr nach Corona schon wieder stabilisiert hatte, dass für unsere Ansprüche oder unseren Publikums-Bedarf schon wieder die Vor-Corona-Zahlen erreicht waren." Das sei wahrscheinlich in der Branche ein relativ niedriges Niveau, aber "für uns genügt es, um zurecht zu kommen", so Raab.
Flache Strukturen heißt: ein Angestellter, sieben Mitarbeiter (meist studentische Minijobs). Zwei mittelgroße Säle mit 107 und 65 Plätzen ermöglichen flexible Filmeinsätze. Nicht unwichtig sind auch die Lage in einem beliebten Viertel und der Charme des Hauses. Während der Corona-Zeit konnten die Fördertöpfe der FFA genutzt werden, um die inzwischen veraltete digitale Technik zu erneuern. Jetzt erst mal stehen keine weiteren Investitionen an. Das sei ein gutes Gefühl, sagt Raab.
Ich glaube, der richtige Weg ist, auch das Bild in die Öffentlichkeit zu senden, dass das hier nicht nur ein Abspielort ist für die neuen Filme, sondern dass es im wahrsten Sinne ein Kommunikationsort ist.
Torsten Raab | Betreiber des Puschkinos in Halle
Die Herausforderung, Publikum zu gewinnen
Ganz von allein läuft es aber auch nicht. Programmarbeit mit Filmreihen und Gästen und vor allem Kooperationen sowie angepasste Preise seien wichtig, um neues Publikum zu gewinnen. Pro Monat gibt es fünf bis zehn ganz unterschiedliche Kooperationen, mit Privatpersonen, städtischen Museen oder auch der Burg Giebichenstein beim Sommerkino auf der Burg. Es sei ihm wichtig, sagt Raab, "auch das Bild in die Öffentlichkeit zu senden, dass das hier nicht nur ein Abspielort ist für die neuen Filme, sondern dass es im wahrsten Sinne ein Kommunikationsort wird".
Beim Thema Energiekosten müsse er sich allerdings noch mehr Gedanken machen, gibt Torsten Raab zu bedenken. Die Filmkunstmesse könnte dazu einige Anregungen bringen.
Chemnitzer Metropol spürte das Sommerloch
Anders als das Puschkino bekam das Kino Metropol in Chemnitz das Sommerloch deutlich zu spüren, mit Besucherzahlen bei manchen Vorstellungen im einstelligen Bereich. Insgesamt sei das Kino zwar gut durch die Corona-Krise gekommen, erzählt Betreiberin Maret Wolff, dank Förderprogrammen und einer durchaus erfolgreichen Crowdfunding-Aktion. Die Zahlen seien aber immer noch nicht auf dem Vor-Corona-Niveau, auch aufgrund des veränderten Freizeitverhaltens, vermutet Wolff.
2016 übernahm sie das schmucke Traditionskino mit einem Saal und 370 Plätzen und Loge und führt es seither als Familienbetrieb. Ihr Ziel: Programmkino machen. Das ist an diesem Standort und als unflexibles Ein-Saal-Kino allerdings schwierig. Das Programm verlangt Kompromisse und Offenheit auch für Mainstream-Filme. Auf dem Spielplan stehen zur Zeit etwa "Horizon" und "Borderlands", aber auch der im Iran spielende Animationsfilm "Die Sirene".
"Es braucht theoretisch einen stark erhöhten Marketingaufwand, um gute Filme sichtbar zu machen", erklärt Wolff das Hauptproblem: "Zumindest hier bei uns, wenn ich es mal als Provinz bezeichne im Vor-Erzgebirge, dann gibt es für ganz viele Dinge, die wirklich Thema und von Relevanz sind, kein Publikum, kein größeres." Man müsse eigentlich alle künstlerischen Filme rahmen, mit einer Themenwoche und Gästen. Das könne sich ein kleiner Betrieb aber kaum leisten, jedenfalls nicht von Ticket- und Popcorn-Einnahmen.
Zumindest bei uns finden viele Dinge, die wirklich von Relevanz sind, kein Publikum.
Maret Wolff | Kino Metropol, Chemnitz
Dabei findet sie es gerade in einer kleineren Stadt wie Chemnitz "in dieser Krisen- und Kriegszeit" wichtig, auch Diskussionsangebote zu schaffen. Und sie macht ihren Punkt: Wirtschaftsförderung für Kinos sei wichtig, aber die Kulturförderung ebenso. Von der Filmkunstmesse erhofft sie sich, dass klare Forderungen in Richtung Politik aufgestellt werden, damit das Filmfördergesetz auch der Situation von Programmkinos "in der Fläche" gerecht wird.
Auch für andere Themen auf der Messe interessiert sich Wolff, etwa für das Qualitätsmanagement-Programm "Kino-Doktoren". Gerne würde sie sich auch mal einen solchen Kino-Doktor ins Haus holen, um einen betrieblichen Gesundheits-Check zu machen.
Weimarer Lichthaus-Kino erlebte Publikums-Einbruch
Auch das Lichthauskino in Weimar liegt bei den Zahlen noch hinter 2019 zurück. Daran musste sich Dirk Heinje erst mal gewöhnen. Seit er das Kino zusammen mit Sven Opel im alten Straßenbahndepot aufgebaut hat, ging es eigentlich immer bergauf, was auch eine Bestätigung für die eigene Arbeit war: "Dann kam eben die Zäsur, dieser Einbruch", der ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeführt habe, "dass man sagt: 'Ok, was passiert eigentlich, wenn mal keine oder weniger Leute kommen?'"
Was passiert eigentlich, wenn mal keine oder weniger Leute kommen?
Dirk Heinje | Lichthaus Kino, Weimar
Den Grund für den allgemeinen Besucherrückgang sieht Heinje aber nicht nur bei den Kino-Schließungen, sondern auch darin, dass die Besucher finanziell und emotional stärker belastet seien als früher. Auch die polarisierte Stimmung während der Wahlen habe man im Kino gespürt. Außerdem hätten sich die Leute an die Streaming-Dienste gewöhnt.
Das Kino hat mit kleinen Anpassungen reagiert: "Wir setzen etwas mehr auf die sozialen Medien in der Programmverteilung", erzählt Heinje. Die gedruckten Programme würden nur noch im Haus ausgelegt – so sehr er das bedauere, weil es für ältere Stammgäste so schwieriger sei. Das Programm, das bisher für 14 Tage geplant wurde, wird nun wöchentlich gewechselt. Heinje zufolge kann man damit flexibler reagieren – es bedeute aber auch mehr Arbeit.
20 Filme in einer Woche
Mit drei mittelgroßen Sälen (47, 79 und 119 Plätze) kann das Kino ein breites Spektrum an Filmen zeigen. In einer Woche zählte Heinje mal über 20 Filme, die im Einsatz waren. Filme, die besonders gut liefen, waren unter anderem die Filme von Lanthimos – "also eher Hardcore-Arthouse-Film" – oder französische Filme, die eigentlich immer gehen. Bei "Holdovers" von Alexander Payne hingegen, an den er große Erwartungen hatte, seien die Leute nicht gekommen. Manchmal sei die Resonanz schwer vorauszusagen.
Auch Heinje bestätigt, wie wichtig solide Programmarbeit ist, gerade die zusätzliche: Stummfilmreihen oder eine Retro im Rahmen des Kunstfestes, Kooperationen etwa mit dem Nationaltheater Weimar. Nachhaltigkeit, ein Thema, das auf der Filmkunstmesse eine Rolle spielt, ist für Heinje eine Notwendigkeit. Bei den Produkten im Verkauf achte man auf den ökologischen Fußabdruck. Energiekosten versuche man zu drosseln, etwa durch den Einsatz von Strahlungswärme statt Luftheizung und Klimaanlage. Eigentlich stehe eine größere energietechnische Sanierung an, aber da müsse der Eigentümer mitziehen. Das Kino ist im Straßenbahndepot nur Pächter.
MDM-Kinoprogrammpreis: 22 Spielstätten in Mitteldeutschland ausgezeichnet
Da hilft vielleicht der mit 25.000 Euro dotierte Kinoprogrammpreis der Mitteldeutschen Medienförderung, den das Lichthaus-Kino am Dienstag auf der Leipziger Filmkunstmesse verliehen bekommen hat: für das beste Programm des Jahres 2023. Insgesamt wurden 22 gewerbliche betriebene Kinos und acht alternative Spielstätten in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt ausgezeichnet. .Die Gesamtsumme der Preisgelder wurde um 75.000 auf 300.000 Euro im Vergleich zum Vorjahr erhöht.
Kinoprogrammpreis Mitteldeutschland 2024: Gewerbliche Spielstätten*Hauptpreis für das beste Jahresfilmprogramm 2023, verbunden mit einer Prämie in Höhe von 25.000 Euro:
Lichthaus – Kino im Straßenbahndepot, Weimar
*Auszeichnungen für ein hervorragendes Jahresfilmprogramm 2023, verbunden mit einer Prämie in Höhe von je 15.000 Euro:
Kino im Schillerhof, Jena
Metropol Kino, Gera
Passage Kinos, Leipzig
Programmkino Ost, Dresden
Puschkino, Halle (Saale)
Thalia Cinema. Coffee and Cycling, Dresden
Zentralkino, Dresden
*Auszeichnungen für ein sehr gutes Jahresfilmprogramm 2023, verbunden mit einer Prämie in Höhe von je 10.000 Euro:
Burg Theater, Burg
Domstadtkino, Merseburg
Heine Kinobar, Görlitz
Kino am Markt, Jena
Kinobar Prager Frühling, Leipzig
Luchskino am Zoo, Halle (Saale)
Schaubühne Lindenfels, Leipzig
*Auszeichnungen für ein gutes Jahresfilmprogramm 2023, verbunden mit einer Prämie in Höhe von je 5.000 Euro:
Camillo Kino, Görlitz
Cineding, Leipzig
Kinopolis, Freiberg
Luru Kino in der Spinnerei, Leipzig
Metropol, Chemnitz
Ring Kino, Schwarzenberg
Schauburg, Leipzig
Kinoprogrammpreis Mitteldeutschland 2024: Alternative/nicht-gewerbliche Abspielstätten*Hauptpreis für das beste Jahresfilmprogramm 2023, verbunden mit einer Prämie in Höhe von 15.000 Euro:
Kino im Kasten, Dresden
*Auszeichnungen für ein hervorragendes Jahresfilmprogramm 2023, verbunden mit einer Prämie in Höhe von 10.000 Euro:
Cinémathèque, Leipzig
Clubkino im Lingnerschloss, Dresden
Kino mon ami, Weimar
*Auszeichnungen für ein sehr gutes Jahresfilmprogramm 2023, verbunden mit einer Prämie in Höhe von je 5.000 Euro:
Kiez-Kino, Dessau
Kulturfabrik MEDA, Mittelherwigsdorf
Kunstbauerkino, Großhennersdorf
*Sonderpreis für ökologische Nachhaltigkeit, verbunden mit einer Prämie in Höhe von 5.000 Euro
Kulturkino, Zwenkau
Redaktionelle Bearbeitung: lm, ks
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 17. September 2024 | 18:05 Uhr