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Der Aufenthaltsstatus einer Person darf nicht als Voraussetzung für die Wählbarkeit in den Integrationsrat des Landkreises dienen, urteilte das Bundesverwaltungsgericht am Dienstag. Bildrechte: imago/PicturePoint

Urteil des BundesverwaltungsgerichtsDuldungsstatus darf Mitgliedschaft im Integrationsbeirat nicht verhindern

29. November 2022, 20:21 Uhr

Im Jahr 2018 verschärfte der Landkreis Leipzig die Zugangsvoraussetzungen für den Integrationsbeirat zum Nachteil von Menschen mit ungeklärten Aufenthaltsstatus. Personen mit Migrationshintergrund, die nur geduldet werden, dürfen demnach nicht Mitglied im Beirat sein oder in diesen gewählt werden. Das sei unrechtmäßig, urteilte das Bundesverwaltungsgericht in einem ähnlich gelagerten Fall. Das Gericht nannte dafür mehrere Gründe.

Die Mitgliedschaft und die Wählbarkeit im Integrationsbeirat des Landkreises Leipzig darf nicht vom gesicherten Aufenthaltsrecht einer Person mit Migrationshintergrund abhängig sein. Das entschied am Dienstag das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Das Ziel einer längerfristigen Mitwirkung von Personen mit Migrationshintergrund im Integrationsbeirat rechtfertige nicht die Beschränkung der Wählbarkeit in den Integrationsbeirat, so das Gericht in seiner Begründung.

Was ist der Integrationsbeirat des Landkreises Leipzig?Der Integrationsbeirat berät den Kreistag zu Fragen und Problemen, die Menschen mit Migrationshintergrund im Landkreis betreffen. Er soll dabei die Integration von Personen mit Migrationshintergrund im Landkreis fördern. Der Beirat ist an den Entscheidungen, die für ausländische Einwohnerinnen und Einwohner wichtig sind, in den Fachausschüssen des Kreistages beteiligt.Ordnung des Integrationsbeirates Landkreis Leipzig

Ausschluss wegen neuer Zugangsvoraussetzungen

Hintergrund des Urteils war laut Gericht die Änderung der Beiratsordnung des Landkreises Leipzig im Jahr 2018. In der bis dahin gültigen Vorschrift gehörten zu den zu wählenden Mitgliedern zwei im Landkreis lebende Personen mit Migrationshintergrund. Im September 2018 sei die Vorschrift dahingehend geändert worden, dass zum Integrationsbeirat drei Einwohner mit Migrationshintergrund gewählt werden können, die über die deutsche Staatsangehörigkeit oder ein gesichertes Aufenthaltsrecht verfügen, und zwar eine Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis oder eine EU-weite Freizügigkeitsberechtigung. Personen nur mit Duldungsstatus könnten demnach kein Mitglied im Integrationsbeirat sein.

Was bedeutet der Status der Duldung?Eine Duldung ist die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung ausreisepflichtiger ausländischer Staatsangehöriger, da diese aus rechtlichen oder praktischen Gründen noch nicht ausgeführt werden kann. Die Duldung ist kein Aufenthaltsstatus, sondern nur eine Bescheinigung über die Registrierung der ausländischen Person durch die Ausländerbehörde und darüber, dass er oder sie vorerst nicht abgeschoben wird. Eine Duldung kann mehrfach verlängert werden.Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung

In einem konkreten Fall wurden damals Emad A. und Mehman R. aus dem Integrationsbeirat ausgeschlossen, da sie nur über eine Duldung verfügten. Die beiden Männer waren dreieinhalb Jahre lang Mitglieder des Integrationsbeirats des Landkreises Leipzig gewesen. Dort hätten sie sich neben Beruf und Studium ehrenamtlich für die Interessen ausländischer Einwohnerinnen und Einwohner eingesetzt, informiert die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF).

Grundrecht auf Gleichbehandlung verletzt

Im aktuellen Verfahren klagten Muhammad S. und Adil K., beide pakistanischer Herkunft und ebenfalls nur mit Duldungsstatus, gegen die bestehende Beiratsordnung. Mit Erfolg: Denn die Beschränkung der Wählbarkeit zum Integrationsbeirat verletze das Grundrecht auf Gleichbehandlung und sei deshalb unwirksam, begründet das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung. Die bisherige Regelung benachteilige Menschen mit Migrationshintergrund, die über kein gesichertes Aufenthaltsrecht verfügen, heißt es weiter. Diese diene zwar dem legitimen Zweck, die "kontinuierliche Mitwirkung der Gewählten im Beirat zu sichern." Doch das gesicherte Aufenthaltsrecht könne dabei kein Unterscheidungskriterium sein, da es keine Rückschlüsse auf die voraussichtliche Aufenthaltsdauer einer Person mit Migrationshintergrund im Landkreis zulasse.

Regelung sollte längere Mitgliedschaft fördern

Bijan Moini von der GFF, der den Fall von Muhammad S. und Adil K. begleitet, veranschaulicht das Problem am Beispiel eines Erasmus-Studenten. Dieser dürfte Mitglied des Integrationsbeirates werden, auch wenn er nach einem Jahr wieder Deutschland verlässt. In den Integrationsbeirat könnten somit auch EU-Bürger Mitglied werden. Eine Person, die seit über zwei Jahrzehnten nur einen geduldeten Status hat, dürfe das nach der aktuellen Beiratsordnung nicht. Auf Anfrage von MDR SACHSEN teilt der Landkreis Leipzig mit, dass die Änderung der Zugangsvoraussetzungen zum Integrationsbeirat eine kontinuierliche Arbeit des Beirates ermöglichen sollte. Eine "rechtliche Bleibeperspektive ermöglicht es, die mittel- und langfristigen Vorhaben des Integrationsbeirates zu begleiten beziehungsweise auch Migrantinnen und Migranten über längere Zeit zu beraten", heißt es seitens des Landkreises.

Es ist ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, weil es keinen triftigen Grund dafür gibt, zwischen Menschen mit Migrationshintergrund mit oder ohne gesicherten Aufenthaltsstatus zu unterscheiden.

Bijan Moini | Gesellschaft für Freiheitsrechte

Das widerspreche jedoch der Realität, sagt Bijan Moini, da viele ausländische Personen seit vielen Jahren geduldet werden: "Diese können aus verschiedensten Gründen nicht kurzfristig abgeschoben werden." Zudem gebe es viele Gegenbeispiele von Personen, die zwar ein sicheres Aufenthaltsrecht haben, die aber nicht länger im Integrationsbeirat arbeiten würden als Geduldete.

MDR

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | SACHSENSPIEGEL | 29. November 2022 | 19:00 Uhr