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Alternative für Gas und ÖlKohlenpeter: Viele Menschen gehen auf die Kohle zurück

18. Juni 2022, 05:00 Uhr

Russland könnte irgendwann einfach den Gashahn zudrehen. Das ist nicht nur für die Industrie ein Horror-Szenario, sondern auch für viele private Haushalte. Während Öl und Gas fast unbezahlbar werden, ist die Kohle finanziell eine Alternative. So boomt das Geschäft bei den letzten Kohlenhändlern – wie ein Beispiel aus Leipzig zeigt.

"Immer rein mit dem Gelumpe", sagt Kohlenpeter, wuchtet einen Jutesack von seinem gebeugten Rücken und schüttet die 50 Kilogramm Briketts durch das schmale Fenster in den Keller eines Wohnhauses. Mit dem "Gelumpe" lässt sich gerade wieder richtig gut Geld verdienen, und Peter Bosse – der sich selbst Kohlenpeter nennt – ist einer der letzten Kohlenhändler in Leipzig.

Der fossile Brennstoff, eigentlich als Klimakiller geächtet, steht privat wieder hoch im Kurs. "Es ist der Rohstoff, der bezahlbar ist und den wir haben", sagt Peter Bosse. Kohlenpeter ist seit 43 Jahren im Geschäft, seit 25 Jahren selbstständig. Seine Kohlen liefert er aus der Messestadt bis nach Dresden oder Magdeburg. An diesem Samstag fährt er auch in den Burgenlandkreis und beliefert ein Einfamilienhaus. Zweieinhalb Tonnen Briketts müssen dort vom LKW geladen werden – 50 Säcke a 50 Kilo: Es ist ein Knochenjob.

Der Krieg in der Ukraine sorge für Rekordumsätze, die Kundschaft bestelle im Akkord, so Peter Bosse. "Also die Nachfrage hat sich wirklich verdoppelt." Das freue ihn. "Gas und Öl, das kann man nicht mehr bezahlen. Und die gehen einfach auf die Kohle wieder zurück." Da sei es quasi egal, was mit der Umwelt werde.

Gas und Öl sind für viele Menschen fast unbezahlbar

An diesem Tag beliefert Peter Bosse eine neue Kundin. "Wir kochen auch mit Gas. Wir brauchen warmes Wasser, wir haben die Kinder drin. Wir müssen halt heizen", sagt Melanie Scheibe. "Und dann bezahlt man, was man bezahlen muss."

Die Kohle soll finanziell entlasten. Im Wohnzimmer hat die Familie schon vor einer Weile einen Kamin nachgerüstet, der glücklicherweise neben Holz auch mit Kohle befeuert werden kann. Denn ob Holz immer verfügbar sei, wisse Melanie Scheibe nicht und "Kohle hat einfach eine längere Brenndauer und reicht länger".

Für die Lieferung der zweieinhalb Tonnen aus Leipzig bis in den Burgenlandkreis nimmt Peter Bosse 675 Euro. "Ist eigentlich fast geschenkt", sagt der 60-Jährige und grinst einmal über das rußverschmierte Gesicht. Gezahlt wird in Bar – das ist ungeschriebenes Gesetz.

2,5 Tonnen Kohle für den kommenden Winter

Mit dem Haufen Briketts hofft die Familie über den nächsten Winter zu kommen. Ob das reicht? "100 Prozent", sagt Peter Bosse. "Und wenn, ich bin nicht aus der Welt. Ich hoffe es zumindest, dass meine Leber noch solange mitmacht." Er trinkt, das ist kein Geheimnis, gern mal ein Bier mehr. Auf seinem staubigen, schwarzen T-Shirt steht: Kohlenpeter – Bier-Vernichtungs-Service. Daneben ist das Bild eines Frischgezapften im Glas.

Fast 30 Kohlehändler gab es zu DDR-Zeiten in Leipzig, jetzt sind es nur noch vier. Die Kohle war aus der Mode gekommen. Nun erlebt sie eine Art Renaissance. Peter Bosse sagt: Während Öl- und Gas fast unerschwinglich werden, sind die Preise für seine Briketts nur um rund 20 Prozent gestiegen.

Angst vorm Frieren: Ofen-Nachfrage boomt

Dass Feuer machen mit Kohle und Holz im Trend liegt, zeigt sich auch beim Thema Ofen. Einer der größten Ofenbauer in Sachsen hat seinen Sitz in Großenhain, und die Zahl der Kaufanfragen hat sich dort in den vergangenen Monaten verdoppelt, sagt Chef Hendrik Schütze.

"Ja und wir haben natürlich eine sehr hohe Nachfrage nach diesen Öfen und Sie sehen auch, hier sind überall Stellflächen frei, wo früher Öfen standen", sagt Hendrik Schütze und zeigt auf seine leeren Ausstellungsräume. Schon mit Beginn der Corona-Pandemie hat das Geschäft beim Ofenbauer begonnen zu boomen, nun befeuert der Krieg in der Ukraine das Interesse an Kaminen erneut.

Statt drei bis vier Monate sind derzeit Wartezeiten – auf einen Ofen oder Kamin – von bis zu einem Jahr keine Seltenheit. Viele, die bei ihm bestellen, treibt die Furcht vor einer drohenden Gasknappheit in die Firma.

Ich erlebe sogar bei Beratungen mit meinen Kunden, dass die Frau in Tränen ausbricht, aus Angst davor, dass, wenn Strom ausfällt, die Heizung ausfällt, dass sie frieren muss.

Hendrik Schütze | Chef der Großenhainer Ofenbauer

Diese Kunden möchten dann etwas zum Heizen und gegebenenfalls zum Kochen – ohne Gas, Strom oder Öl. Doch das Material für Kachelöfen ist in den letzten Monaten immer knapper geworden. Hinzu kommen beispielsweise Lieferengpässe bei Stahl. Hendrik Schütze versucht den Mangel abzufedern, indem er auf Vorrat kauft: "Ja, unser Lager stößt an Kapazitätsgrenzen." Doch lieber so, denn er wisse derzeit nicht, wann er welches Material bekomme. Im Moment kann die Firma die große Nachfrage noch bewältigen. Wenn das Interesse an Holz- und Kohleöfen weiter steigen sollte, drohe irgendwann der Auftragsstopp.

Vom Teamleiter zum Nachfolger von Kohlenpeter?

Danach sieht es beim Kohlenpeter nicht aus. Die letzten zwei Aufträge am vergangenen Samstag führen den Händler zurück nach Leipzig. An diesem Tag hilft auch Sohn Richard mit und schleppt viele Säcke mit Kohlen. Er arbeitet eigentlich als Teamleiter in der Logistikbranche, doch überlegt, irgendwann die Geschäfte seines Vaters zu übernehmen. Auch wenn niemand weiß, wie lange der Kohle-Boom anhält: "Du kannst ja nie eine Prognose abschließen. Vor zwei Jahren haben wir gesagt, wenn ich im Sommer was zu tun habe, bin ich froh Und heute fahren wir zum Samstag raus." Diese Schwankungen ließen sich nicht berechnen.

"Dass das mal so wiederkommt, dass wir jetzt nicht wissen, wo wir zuerst arbeiten sollen, das hätte ich nie mir vorstellen können", sagt Peter Bosse. Dennoch, der Körper des inzwischen 60-Jährigen ist vom jahrelangen Kohle schleppen gezeichnet. Doch viele, die jahrzehntelang keine Kohlen mehr bestellt haben, sind nun wieder Stammkunden beim Kohlenpeter.

Quelle: MDR exakt/ mpö

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