Gil Ofarim
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Staatsanwaltschaft Leipzig Sänger Gil Ofarim wegen falscher Verdächtigungen angeklagt

31. März 2022, 22:10 Uhr

Die Staatsanwaltschaft Leipzig hat nach gut sechs Monaten ihre Ermittlungen im Fall Ofarim gegen einen Hotelmitarbeiter wegen angeblicher antisemitischer Äußerungen eingestellt. Gleichzeitig erhebt die Behörde Anklage gegen Gil Ofarim wegen falscher Verdächtigung und Verleumdung.

Die Staatsanwaltschaft Leipzig hat gegen den Musiker und Schauspieler Gil Ofarim Anklage erhoben. Wie die Staatsanwaltschaft mitteilte, werden dem 39-Jährigen falsche Verdächtigung in zwei Fällen, davon einmal in Tateinheit mit Verleumdung, vorgeworfen.

Verfahren gegen Hotelmitarbeiter eingestellt

Das Verfahren gegen einen von Ofarim durch Antisemitismusvorwürfe belasteten Leipziger Hotelmitarbeiter werde hingegen eingestellt, teilte die Ermittlungsbehörde am Donnerstag mit.

Rückblick auf den Fall

Gil Ofarim, Sohn der israelischen Musiklegende Abi Ofarim, hatte Anfang Oktober 2021 ein Video via Instagram ins Netz gestellt und darin von angeblichen antisemitischen Äußerungen eines Mitarbeiters in einem Leipziger Hotel berichtet. In die Kamera sagte Ofarim, ein Hotelangestellter habe ihn aufgefordert, seine Davidstern-Kette abzunehmen - nur dann lasse er ihn einchecken. Das Video schlug medienwirksame Wellen. Der Beschuldigte und das Hotel wiesen die Vorwürfe zurück und zeigten Ofarim an, der stellte Gegenanzeigen. Politiker und Vertreter jüdischer Verbände äußerten sich.

Feststellung der Staatsanwaltschaft Leipzig

Polizei und Justiz ermittelten danach - auch mit nachgestellten Abläufen in der Hotellobby. Das Hotel gab eigene private Untersuchungen in Auftrag. Nun hat die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen abgeschlossen, nachdem sie zahlreiche Zeugen vernommen, Überwachungskameras ausgewertet und digitalforensische Experten beauftragt hatte. Kernsatz der Ermittler: In der Gesamtschau der bislang gewonnenen Erkenntnisse habe sich das Geschehen, wie es von Ofarim im veröffentlichten Video geschildert worden ist, "tatsächlich so nicht ereignet".

"Die Behauptung von Gil Ofarim, dass es in der Lobby eines Leipziger Hotels ihm gegenüber zu antisemitischen oder sonst herabsetzenden Äußerungen durch einen unbekannt gebliebenen Hotelgast und einen (...) Mitarbeiter des Hotels gekommen sei und dass es ihm letztlich aufgrund seines durch das Tragen einer Kette mit einem Davidstern auch nach außen bekundeten jüdischen Glaubens durch diesen Mitarbeiter des Hotels versagt worden sei, im Hotel zu übernachten, konnte nach Auffassung der Staatsanwaltschaft im Ergebnis der Ermittlungen nicht bestätigt werden", heißt es in der Mitteilung der Staatsanwaltschaft.

Landgericht entscheidet in einigen Wochen über Ofarim-Anklage

Ob und wann die Anklage zugelassen und ein Hauptverfahren eröffnet wird, entscheidet nun das Landgericht Leipzig. Denn wegen der großen öffentlichen Wirkung des Falls sei die Anklage nicht zum Amtsgericht, sondern zum Landgericht erfolgt, informierte die Staatsanwaltschaft Leipzig. Zunächst laufe jetzt eine mehrwöchige Erklärungsfrist, in der sich der Künstler und seine Anwälte äußern könnten.

Mehrere Möglichkeiten für weiteres Verfahren: Die zuständige Kammer des Landgerichts kann die Anklage komplett zulassen, sie kann sie mit Änderungen zulassen oder sie kann sie nicht zulassen. Eine weitere Option ist, dass die Anklage zugelassen, das Verfahren aber vor dem Amtsgericht eröffnet wird. Dort würde der Fall vom Strafmaß her eigentlich hingehören. Die Staatsanwaltschaft hatte sich jedoch wegen der besonderen Bedeutung und öffentlichen Wirkung des Falls dafür entschieden, Anklage zum Landgericht zu erheben.

Reaktion des betroffenen Westin-Hotels Leipzig

"Äußerst erleichtert" habe das Team des betroffenen Hotels "The Westin Leipzig" auf die Staatsanwaltschaftsmitteilung reagiert, teilte die Betreibergesellschaft mit. Und: Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft würden das Ergebnis der hoteleigenen Compliance-Untersuchung bestätigen. Die Ergebnisse der privat beauftragten Kanzlei seien der Staatsanwaltschaft übergeben worden. Der General Manager des Hotels, Andreas Hachmeister, sagte: "Über das Jahr hinweg beschäftigen wir Mitarbeiter aus über 15 Nationen und jeglicher Glaubensrichtung. Wir setzen uns stets für ein herzliches Willkommen für alle Gäste ein."

Über das Jahr hinweg beschäftigen wir Mitarbeiter aus über 15 Nationen und jeglicher Glaubensrichtung. Wir setzen uns stets für ein herzliches Willkommen für alle Gäste ein. Ich bin sehr froh und optimistisch, nun wieder in die Zukunft blicken zu können.

Andreas Hachmeister General Manager "The Westin Leipzig"

Was das juristisch für Ofarim bedeutet

Die Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht und Medienstrafrecht an der Universität Leipzig, Elisa Hoven, sagte dem MDR: "Es ist davon auszugehen, dass die Staatsanwaltschaft die Beweislage als sehr gut einschätzt, wenn sie jetzt Anklage gegen Gil Ofarim erhebt – gerade in einem so sensiblen und medienwirksamen Verfahren." Neben den Videoaufnahmen könnten auch Zeugen Gil Ofarim belasten.

Die Juristin stuft es als rechtlich schwierig ein, zu beantworten, "ob die Aussage 'Pack deinen Stern ein' überhaupt selbst eine Straftat darstellt". Das sei zwar fraglos unethisch, juristisch aber keineswegs eindeutig. Man könne bezweifeln, ob hier die Grenze zur Beleidigung oder zur Volksverhetzung überschritten werde. Wenn doch? "Dann wäre eine Verurteilung von Ofarim wegen der falschen Verdächtigung einer Straftat nicht möglich", sagte Hoven.

Im Fall einer Verurteilung wegen Verleumdung und falscher Verdächtigung drohen Ofarim laut Strafgesetzbuch jeweils eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren.

Reaktionen aus Sachsen und Deutschland

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) kritisierte den Musiker Gil Ofarim nach Bekanntwerden der Anklage. Dieser habe "nicht nur den Mitarbeiter, das Hotel, die Stadt und Sachsen in Misskredit gebracht, sondern auch Schaden an der jüdischen Gemeinschaft angerichtet", sagte er. Der Vorwurf des Antisemitismus für Falschaussagen und Verleumdung zu missbrauchen, sei "zutiefst verachtenswert".

Das Mindeste, was man nun erwarten kann, ist eine Entschuldigung - auch von denen, die vorschnell ihre Schlüsse gezogen und vorverurteilt haben.

Michael Kretschmer Sächsischer Ministerpräsident (CDU)

Kretschmer sagte weiter: "In den vergangenen Jahrzehnten ist ein großes Vertrauen zwischen Deutschen und Juden gewachsen." Dieser Satz stieß aufgrund seiner Unterscheidung zwischen "Deutschen" und "Juden" in den sozialen Medien auf scharfe Kritik. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Johannes Vogel schrieb etwa auf Twitter: "Ich unterstelle [Kretschmer] keine böse Absicht. Aber man muss es klar sagen: "Deutsche und Juden" ist eine ebenso falsche wie fatale Gegenüberstellung."

Justizministerin ordnet Reaktion vom Herbst ein

Sachsens Justizministerin Katja Meier (Grüne) twitterte, dass die Bekämpfung von Antisemitismus ein enorm wichtiges gesellschaftliches Thema bleibe. Im Oktober 2021 hatte Meier gepostet, dass der "offene Antisemitismus im Hotel Westin" unsäglich und unerträglich sei. Nun schrieb sie zur "Einordnung" dieses Tweets, dass vorschnelle öffentliche politische Bewertungen in einer so schwierigen Angelegenheit fehl am Platze seien. Sie habe damals auf die Notwendigkeit einer breiten gesellschaftlichen Debatte zur Bekämpfung des Antisemitismus hinweisen wollen.

Der Zentralrat der Juden

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagte: "Im Vertrauen auf unseren Rechtsstaat gilt es, keine Vorverurteilungen vorzunehmen." Der Zentralrat werde den Fortgang des Verfahrens in Leipzig abwarten und "mit Interesse verfolgen".

Nach Bekanntwerden des Ofarim-Videos und den antisemitischen Vorwürfen hatte der Zentralrat der Juden Konsequenzen verlangt, sich einige Wochen später aber zurückhaltender im Fall geäußert.

Und Gil Ofarim selbst?

Bislang ist aktuell keine Reaktion von Ofarim bekannt geworden. Wer am Donnerstag über Facebook versuchte, den Sänger zu kontaktieren, fand eine gesperrte Seite vor. Auch bei Instagram war keine aktuelle Reaktion zu finden.

Das Management des Musikers teilte auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa mit, dass derzeit keine Auskünfte gegeben werden könnten und bat dafür um Verständnis.

MDR (ms,kk)/AFP/KNA/dpa

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | SACHSENSPIEGEL | 31. März 2022 | 19:00 Uhr

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