Jubiläum Zwischen Amt und Zeichenkurs: Volkshochschule Leipzig wird 100 Jahre alt

19. Juni 2022, 07:00 Uhr

Haben Sie schon mal einen Kurs an der Volkshochschule (VHS) belegt? Spanisch vielleicht oder Yoga? Oder falls es schon etwas länger her ist: Wie repariere ich meinen Trabi? Dann gehören Sie zu einer beachtlichen Gruppe in Sachsen: Im Freistaat belegen im Schnitt jedes Jahr rund 180.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Kurse der 46 sächsischen Volkshochschulen. Eine von ihnen ist die VHS Leipzig, die in diesem Jahr ein Jubiläum feiert.

Volkshochschule. Das klingt ein bisschen aus der Zeit gefallen. "Naja", meint Manuel Binternagel, "das Wort 'Volk' hat in den letzten Jahren eher einen Imageverlust erlebt. Und eine Hochschule ist das hier auch nicht. Das Angebot ist ja für alle offen." Passt der Name noch zu dieser Institution, fragen sich der Pressesprecher der VHS Leipzig und ich, während wir im begrünten Innenhof stehen. Wir sind umgeben von drei Häuserseiten: fünf Stockwerke, gelb verklinkert, große Fenster, altehrwürdig. "Und dadurch vielleicht ein bisschen abschreckend, obwohl es ein schönes Gebäude ist", sind wir uns einig.

VHS – Aufgaben und Finanzierung Die VHS Leipzig ist ein Amt der Stadt. Das ist allerdings nicht überall so geregelt. So können beispielsweise auch gemeinnützige Vereine als Träger einer Volkshochschule auftreten. Ganz allgemein sind Volkshochschulen dafür da, den Menschen ein lebenslanges Lernen zu ermöglichen. Sie ist eine der bedeutendsten Institutionen, wenn es um Erwachsenenbildung geht. Hier können Interessierte ein Hobby vertiefen, neu erlernen oder sich auch in mancher Hinsicht beruflich weiterbilden. Hauptaufgabe der VHS ist aber auch, Menschen zur demokratischen Meinungsbildung zu befähigen.

Damit sich das Angebot möglichst viele leisten können, werden die Volkshochschulen von den Städten oder Landkreisen, zu denen sie gehören, finanziell unterstützt. So können beispielsweise Sprach- oder Sportkurse zu einem Bruchteil des Preises angeboten werden, den private Anbieter für ihre Leistung veranschlagen.

Eine Tour in die Vergangenheit

Wir sind für eine kleine Tour verabredet: Eine Führung durch das Gebäude, in dem die VHS seit 100 Jahren ihren Hauptsitz hat. Hier fanden 1922 die ersten Vorträge statt – damals noch zur "modernen Hygiene der Großstadt" und zur "Deutschen Arbeiterdichtung des 20. Jahrhunderts". Mit dem Generalschlüssel im Gepäck machen wir uns auf den Weg, ein paar Überbleibsel der vergangenen Jahrzehnte aufzuspüren.

Von der Handel- zur Volkshochschule

Das erste, was in diesem Gebäude auffällt: Es gibt sehr viele Treppen – tatsächlich wie in alten Schulgebäuden und das kommt auch nicht von ungefähr, denn die jetzige VHS wurde im 19. Jahrhundert als Handelshochschule erbaut. Das zeigt sich auch an langen Korridoren und davon abgehenden Klassen- oder heute Kursräumen. Sogar eine prachtvolle Aula gibt es mit herrlichem Stilbruch: Kronleuchter, womöglich aus den 1970er Jahren, treffen auf Wandmalereien – wahrscheinlich aus dem späten 19. Jahrhundert. Binternagel mit einem Erklärungsversuch für diese ungewöhnliche Kombination: "Von den Wandmalereien wusste man lange Zeit gar nichts. Die wurden erst entdeckt, als die Aula Anfang der 2000er Jahre saniert wurde. Die Experten haben diese Bilder Stück für Stück freigelegt. Zu DDR-Zeiten war nämlich eine dicke Schicht Putz drauf."

Stalin, SED und Selbstauflösung

Sowieso war zu DDR-Zeiten hier Vieles anders. Nachdem sich die VHS während der Nazi-Zeit selbst aufgelöst hatte, gab es einen Neustart in Sachen Erwachsenenbildung nach Kriegsende. Doch Teile des Bildungsangebots waren schnell sehr ideologisch gefärbt, gibt Binternagel offen zu: "Die VHS und ihr Kursangebot waren natürlich immer ein Kind ihrer Zeit. Wenn man sich die Kursprogramme aus der SED-Zeit anguckt, waren auch Kurse zum Kommunismus und warum der so toll ist, dabei." Anschaulichstes Beispiel: "Stalin, der Führer der Weltfriedensbewegung, der beste Freund des deutschen Volkes".

Doch auch andere Kurse der Vergangenheit sorgen heute eher für Schmunzler oder hochgezogene Augenbrauen: "Braunkohle, unser heimatliches Gold" von 1950 beispielsweise würde es heute so nicht mehr geben. Ein schönes Beispiel aus dem Jahre 1931: "Neue Wege der Ernährung", ein Kurs bei dem "Hausfrauen und solche, die es werden wollen, neuzeitliche Ernährungsgrundsätze kennen und verstehen lernen." Vorwissen im Kochen selbstverständlich vorausgesetzt.

Kurse im Wandel

Kochkurse oder Kurse zu gesunder Ernährung kann man heute immer noch belegen – und sie sind beliebt! Doch hat sich in den vergangenen Jahrzehnten einiges getan. Wir erklimmen die Stufen bis in den vierten Stock des linken Seitenflügels, wo die Küche der VHS untergebracht ist. Erst vor wenigen Jahren wurden die Edelstahlmodule eingebaut. Hier wird gemeinschaftlich gebacken und gekocht – von Desserts über vegane Kost bis zur kulinarischen Weltreise reicht das Angebot in der riesigen Küche.  

VHS im Netz - Corona macht's möglich

Die spielte auch in den vergangenen zwei Jahren eine große Rolle – ebenso wie die Streaming- und Podcast-Studios, die in einer ehemaligen Einliegerwohnung im rechten Seitenflügel untergebracht sind. "Wir waren als eine der wenigen Einrichtungen während der Corona-Krise nie wirklich geschlossen. Es war also immer möglich, Kurse zu buchen – während der Zeit des Lockdowns, allerdings nicht in Präsenz", erklärt Binternagel. Die Corona-Pandemie habe zwar die Abläufe in der VHS ganz schön durcheinandergewirbelt, aber auch für einen großen Schritt Richtung Zukunft gesorgt: Während es 2019 nur 34 Onlinekurse im Angebot gab, waren es im vergangenen Jahr bereits mehr als 1.000.

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Hybride Angebote für die Zukunft

Sport, Kochen, Sprachen, politische Bildung – Online-Angebote sind laut Binternagel bei der VHS in Leipzig nicht mehr wegzudenken, auch wenn längst wieder Präsenzangebote stattfinden. "Das ist weiter ein ganz wichtiger Bestandteil und entwickelt sich gerade rasant Richtung Hybridkurse. Das bedeutet, dass man den Kurs sowohl in Präsenz besuchen also auch online live erleben und später nachschauen kann." So könnten beispielsweise für Menschen, die im Schichtsystem arbeiten, jede Kurseinheit mitbekommen.

Abstecher in die historische Schatzkammer

Warm ist es hier im Streaming-Studio direkt unter dem Dach. Nach fast einer Stunde Führung durch die alten Gemäuer, machen wir uns wieder auf den Weg in den deutlich luftigeren Innenhof – mit einem kleinen Zwischenstopp: Ich möchte unbedingt noch den Fundus sehen. Es ist ein kleiner Raum und eine Art Zeitkapsel: zusammengerollte und gestapelte Wandkarten und Bilder, Holzschränke mit verglasten Türen, die vollgepackt sind mit längst vergessenen Apparaturen.

Ein rund 80 Zentimeter großer Walwirbel, der mitten im Raum liegt, wirft Fragen auf, auf die auch Binternagel keine Antwort hat: "Wie Tierknochen oder dieser Walwirbel ins Gebäude gelangt sind, da fehlt uns auch noch der letzte Hinweis."

Umzug auf den Wilhelm-Leuschner-Platz

Wir verlassen die kleine Schatzkammer und suchen die Kühle im Innenhof. Während es wieder treppab geht, erzählt Binternagel, dass es die VHS in Leipzig so, wie sie jetzt ist, bald nicht mehr geben wird – zumindest nicht an diesem Ort. "Wir werden auf den Wilhelm-Leuschner-Platz ziehen", erzählt er freudestrahlend. "Dort wird ein großer Campus entstehen – ein Bildungscampus, könnte man fast sagen: mit der Stadtbibliothek, dem Naturkundemuseum und der Musikschule. Es wird ein neues Gebäude geben mit Kursräumen, die den neuesten Ansprüchen entsprechen. Wir haben schon richtig tolle Ideen zusammen mit einer Architektin entwickelt." Damit könnte die Institution Volkshochschule auch räumlich einen großen Schritt in Richtung Zukunft machen. Nur noch der Stadtrat muss noch zustimmen.

MDR

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Leipzig | 20. Juni 2022 | 06:00 Uhr

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