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Wie die knappe Energie verteilen, um negative Auswirkungen der Gaskrise in Grenzen zu halten - darüber machen sich auch die MDRfragt-Mitglieder Gedanken. Bildrechte: IMAGO / Rene Traut

EnergiekriseMDRfragt: Sorge vor sozialen Unruhen wächst unter den Sachsen

29. Juli 2022, 18:00 Uhr

Die Energiekrise war Thema bei MDRfragt. Die Drosselung der Gasversorgung aus Russland bereitet den Sachsen zunehmend Sorgen. Sie befürchten, dass es in Folge im Winter zu Verteilungskämpfen kommen könnte und die Gesellschaft weiter gespalten wird.

Im Meinungsbarometer "MDRfragt" geben hunderte Mitglieder an, dass die Gaskrise ihnen Angst macht und sie eine Zuspitzung bis zu Unruhen befürchten. "Wenn Russland wirklich das Gas abdrehen sollte, gehen hier die Lichter aus und unsere Wirtschaft geht zu Bruch", schreibt Hans-Jürgen B. aus Dresden. Die derzeit diskutierten Alternativen zu russischem Gas würden erst in eins, zwei Jahren wirksam, kritisiert der User. Egal wie das restliche Gas verteilt werden würde, der Dresdner sieht Betriebsschließungen und Kurzarbeit so oder so kommen. "Damit ist der soziale Frieden in Gefahr und auch die Zahlungsfähigkeit des Landes", stellt Hans-Jürgen fest.

Blufft Russland, um Preise in die Höhe zu treiben?

Thomas A. aus Leipzig analysiert: "Zwar machen Erlöse aus den Gasexporten angeblich nur drei Prozent des russischen Bruttoinlandprodukts aus, aber trotzdem ist die Summe für die russische Wirtschaft signifikant." Putins Kalkül dürfte deshalb sein, bei geringerer Exportmenge deutlich höhere Gewinne zu erzielen, schlussfolgert der Leipziger. Solange das funktioniert, werde Gas fließen, ist er sich sicher. Kritischer werde es, wenn absehbar wird, dass Deutschland und Europa tatsächlich ohne russisches Gas auskommen, blickt Thomas voraus.

"Wenn es im September und Oktober wieder kälter wird, ist aufgrund des Einspargebotes und zu erwartender sozialer Härten mit einem deutlichen sozialen 'Rumoren' zu rechnen", schreibt Thomas A. Das werde Russland in die Hände spielen. "Alles in allem keine guten Aussichten für die nächsten sechs bis acht Monate", resümiert Thomas. Die dann zu verkraftenden Einschnitte würden aber mehr diejenigen vor Probleme stellen, die von Geburt an nur Wohlstand kennen.

Wenn es im September und Oktober wieder kälter wird, ist aufgrund des Einspargebotes und zu erwartender sozialer Härten mit einem deutlichen sozialen 'Rumoren' zu rechnen

Thomas A. | MDRfragt-Mitglied aus Leipzig

Kampf um die Ressource "Wärme"

"Es wird einen Kampf um die Ressource 'Wärme' geben", ist sich auch Siegfrid S. aus Dresden sicher. Die ganze Sozialinfrastruktur wie Schulen, Krankenhäuser und Altenheime werde von dem Verteilkampf betroffen sein. Dabei sieht Siegfried noch viel Potenzial zu Energieeinsparungen und damit Möglichkeiten die Krise zu entschärfen: Überdimensionierte Heizanlagen optimieren, Türen und Fenster besser abdichten, falsch betriebene Kühl- und Gefrieranlagen im Handel warten, sind Ansatzpunkte, die er nennt.

"Wenn bei den steigenden Preisen schon die Mittelschicht ins Rudern gerät, wie kommen dann erst Geringverdiener damit zurecht?", sorgen sich MDRfragt-Mitglieder. Bildrechte: picture alliance/dpa | Roland Weihrauch

Thomas L. aus Leipzig ist weniger besorgt. Aus seiner Sicht sei das Thema differenzierter zu betrachten. Es gebe klare Abkommen und beidseitige Abhängigkeiten, die unabhängig vom Krieg in der Ukraine bestehen, schreibt er. Thomas hat vielmehr den Eindruck, dass der Konflikt um eine mögliche Verknappung der Gaslieferungen als "Treibstoff" für eine Negativentwicklung an den Börsen dient und so Marktpreise in die Höhe getrieben würden. Wenige würden sich durch Ausnutzung maximaler Gewinnmitnahme bereichern und den Mittelstand zerstören. Das gefährde massiv den sozialen Frieden, schlussfolgert der Leipziger.

Sorge um Auswirkungen auf Geringverdiener

Thomas L. zählt sich selbst zur Mittelschicht. "Trotz guten Einkommens hat meine Familie fast keine Möglichkeit Rücklagen zu bilden. Wie ergeht es dann großen Teilen der Bevölkerung, deren Einkommen nicht so gut sind?", fragt er sich. Rentner zum Beispiel. Die würden keinen Ausgleich für steigende Heizkosten erhalten, beklagt Ingrid K. aus dem Erzgebirgskreis. "Die Rentenerhöhung gleicht nicht mal die Inflationsrate aus", betont sie. "Wir fühlen uns von unseren Politikern im Stich gelassen und haben das Vertrauen in sie verloren."

Die Gruppe der Nichtwähler ist inzwischen eine besorgniserregende Größe.

Marlies K. | MDRfragt-Mitglied aus Leipzig

Marlies K. dagegen schätzt sich glücklich, in einem sehr gut wärmegedämmten Haus zu wohnen. "Da gehöre ich zu einer privilegierten Minderheit", stellt sie fest. Sie fordert, zu einer sozialeren Marktwirtschaft zurückzukehren: "Wir müssen zurück zu einem glaubwürdigen Ausgleich zwischen sehr vermögenden und wirtschaftlich schlechter gestellten Menschen." Wenn dieser Ausgleich nicht kommt, sehe sie schwarz für die Demokratie. "Die Gruppe der Nichtwähler ist inzwischen eine besorgniserregende Größe", beobachtet sie.

Zwang zu geringerem Gasverbrauch?

Besonders hoch ist diese Gruppe auch im Landkreis Bautzen. Dort hat bei der Landratswahl vor wenigen Wochen nicht mal jeder zweite Wahlberechtigte seine Stimme abgegeben. Der Frust über das Agieren der politischen Verantwortungsträger spricht auch aus den Worten von Reiko H., der im Landkreis Bautzen zu Hause ist. "Die Regierung hatte im Frühjahr behauptet, dass wir kein Problem bekommen und ohne Gas auskommen könnten", erinnert er sich. Nun werde ein angeblicher Mangel gesteuert, damit Konzerne und Händler viel Geld machen könnten, glaubt Reiko H. Die Regierung aber behaupte, sie sei auf dem Weg CO2 einzusparen.

Sind Proteste gegen hohe Energiekosten wie hier im Oktober vergangenen Jahres in Bulgarien bald auch in Deutschland an der Tagesordnung? Bildrechte: imago images/NurPhoto

Über den Preis wolle die Regierung die Bürgerinnen und Bürger zu weniger Gasverbrauch zwingen. Gleichzeitig rettet sie mit Uniper einen großen Energiekonzern. "Wir werden dreifach zur Kasse gebeten", beklagt Reiko. Neben seinen eigenen Kosten habe er über Steuerzahlungen sozial Schwache mit zu unterstützen und auch die Stütze für den Konzern mitzufinanzieren. Reiko H. nennt das "moderne Plünderungen".

Bürger sehen Politik in der Pflicht gegenzusteuern

Auch Ines R. aus dem Landkreis Bautzen befürchtet einschneidende Veränderungen. "Die Arbeitslosigkeit wird zunehmen, das Einkommen nimmt durch die Inflation ab. Die Leute konsumieren weniger, dies führt zu weiteren Arbeitsplatzverlusten", beschreibt sie die Abwärtsspirale. Am Ende dieser Spirale sieht auch sie Unruhen auf uns zukommen. "Das kann von der Politik doch nicht einfach hingenommen werden. Deren Aufgabe ist es doch, genau so etwas zu verhindern!", bekräftigt Ines.

Beim scheidenden Bautzner Landrat Michael Harig sind die Sorgen der Landkreis-Bewohner angekommen. Ende Juni schrieb er deshalb einen Brief an die Bundesregierung. Darin weist der Landrat Bundeskanzler Olaf Scholz darauf hin, dass die Preissteigerungen durch die Wirtschaftssanktionen gegen Russland die Menschen auf dem Land besonders hart treffen. Der CDU-Politiker sieht in der hohen Inflation eine Gefahr für Wohlstand und sozialen Frieden.

Wir laufen Gefahr, dass sich der gesellschaftliche Unmut Bahn bricht.

Michael Harig | scheidender Landrat des Landkreises Bautzen

Bautzener Landrat fordert Diskurs über die Wirkung der Sanktionen

Zugleich stellt Michael Harig klar, dass die Verantwortlichen für die Situation im Kreml sitzen und das russische Vorgehen zu verurteilen ist. Um aber weitere negative Auswirkungen der Sanktionen auf Wirtschaft und Gesellschaft abzuwenden, sei es "Zeit für einen offenen Diskurs auf Grundlage einer ehrlichen Analyse", fordert er.

Harig hat aus dem Bundeskanzleramt auch eine Antwort auf sein Schreiben erhalten, teilt das Landratsamt auf Nachfrage mit. Darin versichert das Kanzleramt, dass bei allen Sanktionsmaßnahmen auch auf Rückwirkungen auf die Menschen vor Ort und auf Drittstaaten geachtet werde. Weiter heißt es in der Antwort: "Das gemeinsame Verständnis mit unseren internationalen Partnern ist, dass die Sanktionen uns nicht mehr schaden dürfen als Russland."

MDR (mk)