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Prof. Dr. Thomas Feltes hat zahlreiche Studien und Analysen zu Missständen innerhalb der Polizei veröffentlicht und war von 2002 bis 2019 Professor an der Ruhr-Universität Bochum und Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft. Bildrechte: Katja Marquard/Ruhr-Universität Bochum (RUB)/dpa

InterviewKriminologe zu Bodycams bei der Polizei in Deutschland: "Fauler Kompromiss"

12. November 2022, 17:00 Uhr

Wann werden Bodycams überhaupt eingeschaltet? Hierzulande liegt die Entscheidung bislang im Ermessen der Beamten. Doch gibt es bessere Methoden als die Entscheidung in Stresssituationen den Menschen zu überlassen? Der Kriminologe Thomas Feltes hat sich intensiv mit den tödlichen Polizeischüssen auf einen jungen Mann in Dortmund befasst.

Frage: Bodycams wurden in den USA nach jahrelangen Forderungen von Bürgerrechtsbewegungen eingeführt, um vor allem Nichtweiße vor teils massiver Polizeigewalt zu schützen. Welche Rolle spielte der Gedanke bei der Einführung von Bodycams für die Polizei in Deutschland?

Thomas Feltes: Keine. Oder anders formuliert: Man hat erkannt, dass Bodycams zur Kontrolle polizeilichen Handelns genutzt werden können und das wollte man nicht. Man hat einen faulen Kompromiss gefunden: Bodycams ja, aber nur aus 'präventiven Gründen'. Das heißt, um Gewalt gegen Polizisten zu verhindern, nicht umgekehrt. Auf die Idee, dass man auch exzessive Polizeigewalt präventiv verhindern könnte, kam man nicht.

Es werden auch Situationen als Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamte' erfasst, in denen die Beamten die einzigen sind, die körperliche Gewalt gegen ihr Gegenüber ausüben, etwa durch Schläge ins Gesicht einer Person, die sich bei einer Abschiebung am Türrahmen festhält. Sind das womöglich Einsätze, die die Polizei lieber nicht gerichtsfest per Bodycam aufzeichnen möchte?

Gewalt ist dynamisch. Gewalt ist meist gegenseitig, aber Gewalt gegen Polizisten ist fast immer eine Reaktion auf deren Verhalten. Daher müssten Bodycams eingeschaltet werden, wenn sich eine Auseinandersetzung abzeichnet. Wenn dann doch nichts passiert, gibt es eine automatische Löschfunktion.

Sie haben sich intensiv mit den tödlichen Polizeischüssen in Dortmund befasst, als ein akut suizidgefährdeter, jugendlicher Geflüchteter erst mit Pfefferspray und Taser getroffen, dann mit sechs Schüssen aus einer Dienstwaffe getötet wurde. Keiner der Beamten hatte seine Bodycam an. Gibt es eine plausible Erklärung dafür, bei der polizeilichen Tötung eines Menschen auf das Einschalten zu verzichten?

Nimmt man das Gesetz in NRW, dann haben die Beamten sogar rechtmäßig gehandelt. Danach darf die Kamera nur eingeschaltet werden, 'wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dies zum Schutz von Polizeivollzugsbeamten (...) gegen eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist'. Die Kamera hätte dies hier aber nicht bewirken können, weil Mouhamed D. das nicht wahrgenommen hätte. Das Gesetz sieht solche Fälle nicht als Grund vor, die Kamera einzuschalten. Das muss umgehend geändert werden.

Es gibt seit einigen Jahren ein Zusatzmodul, mit dem sämtliche Bodycams im Umkreis von etwa zehn Metern automatisch ausgelöst werden, sobald ein Beamter seine Schusswaffe zieht. In Thüringen wurde dafür die gesetzliche Grundlage geschaffen, Sachsen lehnt die Einführung strikt ab. Wie bewerten Sie die Technologie?

Es ist skandalös, dass die Politik - nicht nur, aber auch in Sachsen - aktiv verhindert, dass für Polizisten und Dritte gefährliche Situationen gerichtsfest dokumentiert werden. Das ist der (abstrakte) Versuch der Strafvereitelung. Und auch ein Taser-Einsatz muss genauso automatisch dokumentiert werden.

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Wenn die Polizei hierzulande die Hoheit darüber behält, wann und ob ihre Bodycams eingeschaltet werden, um möglicherweise zu verhindern, dass das Material auch gegen sie selbst verwendet werden kann – ist die Einführung in Deutschland aus rechtsstaatlicher Sicht gescheitert?

Ja, wobei das Scheitern absehbar und gewollt war, weil die Bodycam nur präventiv eingesetzt werden darf. Politiker aller Parteien wollten sich nicht gegen die Lobby der Polizeigewerkschaften durchsetzen und die Bodycam generell zur Dokumentation polizeilicher Maßnahmen vorsehen. Ein Armutszeugnis, weil damit auch der Polizei selbst ein Mittel genommen wird, ihr Handeln zu dokumentieren und zu rechtfertigen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN | SACHSENSPIEGEL | 09. November 2022 | 19:00 Uhr