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LandtagsdebatteEnergiepreise und keine Leute: Sachsens Handwerk und die Krisen

13. Juli 2022, 17:54 Uhr

Handwerk hat goldenen Boden, heißt es seit dem Mittelalter. Doch Fachkräftemangel, hohe Energiepreise und Rohstoffmangel setzen Betrieben in Sachsen zu. Muss das Sprichwort im 21. Jahrhundert umgeschrieben werden? In der Landtagsdebatte über die Zukunft des Handwerks machten Abgeordnete viele ganz praktische Vorschläge zur Sicherung der Gewerke.

320.000 Menschen arbeiten in Sachsen in 40.000 Handwerksbetrieben. Die suchen tausende Fachkräfte im Land. Obwohl die Umsätze im ersten Quartal 2022 so gut wie noch nie seit 1989 waren, plagen das Handwerk Sorgen. Die CDU brachte diese in die Aktuelle Stunde in den Sächsischen Landtag ein unter dem Titel: "Handwerk hat auch in Zukunft goldenen Boden - aktuelle Probleme konsequent angehen: Fachkräftebedarf, Rohstoffknappheit, Bürokratieabbau". Damit waren die Knackpunkte genannt.

Der Vize-Vorsitzendes des Arbeitskreises Petitionen, Kay Ritter (CDU), sagte, seine Partei unterstütze Forderungen nach Bürokratieabbau, denn: "Der Bürokratieaufwand liegt dem Handwerk zu Recht oft im Magen." Konkret verlangte er, dass Fördergelder schneller im Handwerk ankommen, Genehmigungen insgesamt zügiger ablaufen und Mehrbelastungen verringert werden müssten. Zudem brauche es Tempo bei der Digitalisierung. Grundsätzlich müsse die "Verwaltung Wegbereiter" und kein Blockierer sein, meinte Ritter.

Mehr Wertschätzung und Meisterbonus

Timo Schreyer von der AfD-Fraktion wunderte sich über CDU-Forderungen zum Bürokratieabbau, sei die doch als Regierungspartei an jedem Gesetz beteiligt. Sein Fraktionskollege Mario Beger mahnte eine höhere Wertschätzung fürs Handwerk an und verwies auf den Meisterbonus. Der soll laut Koalitionsvertrag von 1.000 auf 2.000 Euro staatlichen Zuschuss für eine Meisterausbildung angehoben werden, seit Jahren werde darüber diskutiert. "Aber es ändert sich nichts. Die Debatte ist unwürdig", so Beger.

Auf die seit 20 Jahren wiederkehrenden Diskussionen zum Fachkräftemangel verwies auch die Linke. Deren wirtschaftspolitischer Sprecher, Nico Brünler, nannte die CDU-Forderungen nach Bürokratieabbau "fast schizophren", weil ohne die Partei in Sachsen seit Jahrzehnten keine Richtlinie erlassen worden sei. Brünler betonte, dass Gesetzestexte einfacher formuliert sein sollten und "nicht für Rechtsanwälte oder Steuerberater".

Faktor Arbeit bei Besteuerung beachten

Er kritisierte auch, dass der Facharbeitermangel kleinere Betriebe härter träfe, als Industriebetriebe. Die Kleineren hätten eine andere Kostenstruktur, weniger Kapital und keine extra Abteilungen zur Mitarbeiter- oder Fördermittel-Suche. Das müsse sich bei der Besteuerung wiederfinden. "Der Faktor Arbeit muss anders besteuert werden", verlangte Brünler.

Betonung der Akademikerausbildung problematisch

Er sah auch die Akademikerquote in Deutschland als Teil des Fachkräfteproblems. Warum gebe es mehrere Investitionsprogramme für Hochschulen, aber nichts fürs Handwerk. Und: "Der Freistaat muss gezielt in die Infrastruktur investieren." Ans Handwerk richtete er auch kritische Worte zur Ausbildung und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens. Dafür seien "durchlässige Strukturen zu schaffen, dass sich auch Menschen ab 40 beruflich umorientieren können".

Welche Chancen hat ein 40-jähriger Kulturwissenschaftler, der Bäcker werden will? Wir haben ein System, in dem kaum Menschen in der Lebensmitte eine Ausbildung anfangen können.

Nico Brünler | wirtschaftspolitischer Sprecher der Linksfraktion

Faire Gehälter, besserer Mutterschutz

Für die Grünen hat das Handwerk nicht nur goldenen Boden, sondern auch eine grüne Zukunft. Der wirtschaftspolitische Sprecher Gerhard Liebscher empfahl für Sachsen ein Projekt, das die Handwerkskammer Koblenz durchführe, um junge Leute fürs Handwerk zu begeistern und die Kreislaufwirtschaft im Blick hat.

Der Bündnisgrüne verlangte neben mehr gezielter Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland, auch mehr Wertschätzung fürs Handwerk, faire Gehälter für Azubis und Lehrlinge, Mindestlöhne und eine Vergabepraxis, die sich an Tarifverträgen orientiert. Liebscher sprach sich auch für eine Reform des Mutterschutzes im Handwerk aus und für ein Freistellungsgesetz, damit sich auch Handwerker weiterbilden könnten.

Mehr Praxis und Lob fürs Handwerk bei Kindern

Den Blick auf Sachsens Schulen lenkte Sabine Friedel. Die bildungspolitische Sprecherin der SPD habe von Schülern den Wunsch nach lebensnahem Lernen gehört. "Schulen bilden Schreibtischtäter aus, die Sachaufgaben ohne Praxis-Bezug lösen sollen." Weil der Werkunterricht in Sachsen mit der 4. Klasse ende, falle es vielen Kindern schwer, den Wert handwerklicher Leistungen überhaupt zu erfassen.

Ihr Gegenvorschlag: In allen Schularten produktives Lernen einführen, nicht nur in den Oberschulen. "Es ist auch Aufgabe des Kultusministeriums, sich die Bildungsstandards und Inhalte in der Schule anzusehen", meinte Friedel.

Auch wenn der Aufschrei groß ist, sollte man die Anforderungen an künftige Gymnasiasten hochschrauben und nur den aufs Gymnasium schicken, der bestimmte Leistungsparameter erfüllen kann.

Jan-Oliver Zwerg | parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion

Schulen durchlässiger organisieren

Für mehr Praxisnähe in Schulen und Kitas ist auch Stephan Meyer (CDU). Schon in Kindergärten müsse positiv übers Handwerk geredet werden. Betriebe sollten mit Schulen kooperieren. Von Beginn an müsse klar sein: "Wenn ich einen soliden Handwerksberuf erlerne, steht mir die Welt offen", sagte er. Damit Gesellen, Meisterinnen und Meister studieren können, müssten "Schulen durchlässiger werden, als sie es in den vergangenen Jahren waren", konstatierte Meyer. Er sprach am Mittwoch letztmalig im Landtag. Künftig wird er als Landrat den Kreis Görlitz leiten.

MDR (kk)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN | SACHSENSPIEGEL | 13. Juli 2022 | 19:00 Uhr

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