Eine junge Frau hält ein Kind im Arm und schaut in die Kamera.
Zwischen Riesa und Großenhain sind MDR SACHSEN Menschen verschiedener Altersgruppen begegnet. Bildrechte: MDR/Adam Beyer

Wählerreise Wähler zwischen Riesa und Großenhain über Wünsche, Ärztemangel und Politikversagen

29. August 2024, 14:15 Uhr

Es sind nur noch wenige Tage bis zur Landtagswahl. MDR SACHSEN hat sich auf Wählerreise in Bus und Bahn begeben, um mit den Menschen außerhalb der großen Städte über ihre Hoffnungen und Sorgen zu sprechen. Manche wollen von Politik nichts mehr hören, andere haben klare Vorstellungen, was sich ändern müsste.

Es ist 7:49 Uhr an einem Donnerstag. Der Bus mit der Nummer 477 fährt an. Anderthalb Stunden wird die Fahrt vom Bahnhof Dresden-Neustadt bis ins 30 Kilometer entfernte Großenhain nordwestlich von Dresden dauern. Zu Beginn sitzen noch einige Leute im Bus. Doch nach etwa 20 Minuten hat er sich bis zur Stadtgrenze von Dresden geleert.

In einem Bus sitzen mehrere Menschen.
Bis zur Stadtgrenze von Dresden hat sich die Buslinie 477 schnell geleert. Bildrechte: MDR/Adam Beyer

Junge Leute kommen nicht vom Dorf weg

Die wenigen Fahrgäste sind hauptsächlich Azubis, wie Peter, der anonym bleiben will. Er kommt aus dem kleinen Dorf Medessen bei Großenhain. Und da werde es gerade am Wochenende mit dem Wegkommen schwierig. "Sonntags kommen dort gar keine Busse. Da muss mich meine Mutter fahren", sagt der 17-Jährige. Zum Sport zu kommen oder sich mit Freunden zu treffen sei für ihn, der keinen Führerschein hat, sehr schwierig.

Peter steigt in Moritzburg aus. Ein paar Sitze weiter sitzt Hannes. Auch er möchte anonym bleiben. Hannes sei schon aufgeregt, weil es sein erster Ausbildungstag sei, sagt der 16-Jährige. Und macht sich sicher schon Gedanken, was er einmal verdienen wird. "Der Mindestlohn sollte erhöht werden und die Preise für Lebensmittel sinken", sagt er. Angesprochen auf aktuelle Probleme meint der 16-Jährige, dass es konsequentere Abschiebungen von Straftätern geben sollte.

Bessere Bildung für den Enkel

Nachdem Leon kurz nach Moritzburg aussteigt, ist der Bus lange Zeit leer. Erst in Radeburg steigt eine ältere Frau mit einem Jungen ein. Martina Umlauft fährt mit ihrem Enkel Johann nach Großenhain. Bei ihm sei schon häufiger der Unterricht ausgefallen, erzählt die 62-Jährige.

Sie wünsche sich deswegen, dass mehr Geld in Bildung und Klimaschutz anstatt in Krieg fließe. Mit Blick auf die Politik und deren Versprechungen ist Resignation aus der Stimme der Arbeitslosen herauszuhören. "Es kommt doch oft so, wie es nicht versprochen wurde." Trotzdem wolle sie wählen gehen.

Ein leerer Bus fährt durchs Ländliche.
Tagsüber ist der Bus nach Großenhain von den Fahrgästen her sehr übersichtlich. Bildrechte: MDR/Adam Beyer

49-Euro-Ticket als große Erleichterung

Nach der Kleinstadt Radeburg fährt die 477 über viele kleine Dörfer. Eines davon ist Kalkreuth, wo auch Steffi Sommerer wohnt. Sie habe gerade ihre Tante ein paar Dörfer weiter besucht und ihr im Garten und Haushalt geholfen. Das 49-Euro-Ticket mache das einfacher, sagt die 54-Jährige: "Das Auto wird immer teurer. Ich konnte mein Auto abmelden und ich spare Geld." Sie erzählt, dass sie früher in einer Wäscherei gearbeitet habe, sich dort den Rücken kaputtgemacht habe. "Ich habe mich mit Ein-Euro-Jobs über Wasser gehalten", sagt die Langzeitarbeitslose.

Wenn man kein Auto hat, wird es schwierig. Man muss immer jemanden fragen, der einen fährt.

Steffi Sommerer aus Kalkreuth

Ein echtes Problem hier auf dem Land ist die ärztliche Versorgung. Denn: "Die Entfernung wird immer größer, bis man einen Spezialisten und einen Termin findet", erklärt Sommerer. Habe es früher noch genügend Ärzte in Großenhain gegeben, müsse nun schon nach Dresden gefahren werden. "Wenn man kein Auto hat, wird es schwierig. Man muss immer jemanden fragen, der einen fährt. Wenn man Schmerzen hat, muss man teilweise lange aushalten, bis man Hilfe bekommt."

Eine Frau lächelt in die Kamera. 1 min
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Fr 16.08.2024 09:34Uhr 00:23 min

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Mit Migrationshintergrund auf dem Land

Steffi Sommerer steigt aus, der Bus ist wieder so gut wie leer. Es ist nach 9 Uhr. Kurz vor der Endhaltestelle steigt ein junger Mann ein. Arlind Murrani will zum Großenhainer Bahnhof, sagt der gebürtige Italiener. Der 18-Jährige sei mit seinen Eltern vor einigen Jahren nach Deutschland gekommen. "Ich mag Großenhain wegen der vielen Natur in der Umgebung", sagt er.

Ein junger Mann steht an einem Bahnhof und schaut in die Kamera. 1 min
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Fr 16.08.2024 09:44Uhr 00:37 min

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Als Kellner in einem örtlichen Restaurant bekomme er jedoch häufig den Ärger der Leute zu spüren. "Sie sind sauer, wenn ich sie nicht gleich verstehe", sagt Murrani. Der 18-Jährige habe deswegen schon überlegt, lieber in Dresden zu arbeiten. Die Stimmung gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund beschreibt er in der 18.000-Einwohner-Stadt Großenhain als "schwierig."

Ein Mann hält ein Kind auf dem Arm und schaut in die Kamera.
Kevin Lehnert und Tochter Amy leben in einem Dorf nahe Großenhain. Bildrechte: MDR/Philipp Brendel

Diese Stimmung bekommt auch Kevin Lehnert zu spüren. Der 31-Jährige wurde in Deutschland geboren, ihm würden aber immer noch schiefe Blicke zugeworfen. "Als ich kleiner war, war das noch schlimmer. Jetzt achte ich nicht mehr so darauf", sagt der Vater, der in einem Dorf bei Großenhain wohnt.

Politikverdrossen wegen Enttäuschungen

Es ist 9:50 Uhr, Markttag in Großenhain. An den Ständen bummeln nur wenige Leute - zumeist Ältere - vorbei. "Es gibt viele Themen, über die man sprechen könnte", sagt eine Seniorin. Doch sprechen wolle sie mit den Medien nicht. Ähnlich ist das auch bei den Händlern. "Nein! Ihr braucht gar nicht zu fragen", sagt eine Blumenhändlerin.

Ein Marktplatz.
Der Marktplatz von Großenhain ist attraktiv gestaltet. Zum Markttag sind jedoch nur wenige Menschen anzutreffen. Bildrechte: MDR/Philipp Brendel

Eine Gruppe älterer Damen trinkt Kaffee an einer Bäckerei. Sie glaube nicht mehr an Verbesserungen durch die Politik, sagt Gabriele Brech. Will sie zu den Landtagswahlen wählen gehen? "Das hat doch gar keinen Sinn", sagt die Seniorin. Es seien nur falsche Versprechungen gekommen. Auch Lorenz Wilhelm interessiert nicht für Politik. "Ändern tut sich doch eh nichts", sagt der 23-Jährige. Wenn sich etwas ändern müsse, dann für sozial Bedürftige.

Eine alte Frau sitzt auf einem Rollator und schaut in die Kamera.
Gabriele Brech trinkt in Großenhain einen Kaffee beim Bäcker. Bildrechte: MDR/Adam Beyer

Wunsch nach Entlastungen für Eltern

Entlastungen – gerade für junge Eltern – wünscht sich Tina Minsel. Die Beiträge und das Essengeld für den Kindergarten findet sie sehr hoch, sagt die 28-jährige Mutter. Die Erzieherin wolle auf jeden Fall wählen gehen. "Damit etwas für die Kinder getan wird oder sich in den Schulen etwas verändert."

Eine junge Frau hält ein Kind im Arm und schaut in die Kamera. 1 min
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Fr 16.08.2024 09:51Uhr 00:38 min

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Jeder sollte sich selbst über Politik informieren

Ein lächelnder Mann kommt aus dem Großenhainer Bahnhofsgebäude gelaufen. Steffen Richter - Fahrdienstleiter bei der Deutschen Bahn - würde jedem in seinem Bekanntenkreis empfehlen, zur Wahl zu gehen. Allerdings fügt er hinzu: "Ich weiß nicht, inwieweit meine Stimme ausschlaggebend wäre", sagt der 59-Jährige. Das Wählen sei für ihn sehr wichtig. Jeder sei angehalten, sich über Politik und die Wahlen zu informieren.

Ein Mann lächelt in die Kamera. 1 min
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Fr 16.08.2024 09:57Uhr 00:46 min

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Freizeitaktivitäten für junge Leute fehlen

Vom Großenhainer Bahnhof geht es in der Mittagszeit mit dem Bus nach Riesa. Dort steigen Annemarie Hönnige, ihre Mutter und ihre zwei Geschwister in den Bus nach Gröditz zu. "Wir waren heute in Riesa und haben uns einen schönen Tag gemacht", sagt die 16-Jährige. Die Familie fahre die halbe Stunde mit dem Bus nach Riesa zum Einkaufen, weil es in Gröditz an Geschäften fehle. Auch vermisse die Jugendliche Freizeitaktivitäten: "Es gibt zwar einen Jugendtreff, der aber schon heruntergekommen ist. Die Jugendlichen könnten sich dort zusammen treffen und den neu gestalten."

Eine junge Frau schaut in die Kamera. 1 min
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Fr 16.08.2024 10:01Uhr 00:17 min

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Florierende Geschäfte - Fehlanzeige!

In Gröditz mit seinen 6.800 Einwohnern angekommen, wird schnell klar, warum Annemarie Hönnige zum Shoppen lieber nach Riesa fährt. An der Einkaufspassage sind kaum Menschen zu sehen. Dass es für den Handel im Ort schon einmal besser stand, sagt auch die Verkäuferin in einem Spielwarenladen: "Es ist aktuell in Ordnung, aber wir kämpfen jeden Tag." Auf den Straßen ist kaum jemand zu sehen.

Ein Rathaus von außen.
Der 6.800-Einwohner-Ort Gröditz ist idyllisch und ruhig gelegen. Doch vor Ort fehlt es an attraktiven Einkaufsmöglichkeiten. Bildrechte: MDR/Philipp Brendel

Wir sind hier an der Ländergrenze Brandenburg-Sachsen - das ist Pampa. Die Jugend zieht es nach Dresden.

Unternehmer aus Gröditz

Ein Mann packt an der Einkaufspassage seinen Einkauf ein. Er sei der Chef eines großen ortsansässigen Unternehmens. "Wir sind hier an der Ländergrenze Brandenburg-Sachsen - das ist Pampa. Die Jugend zieht es nach Dresden", sagt er. Der Unternehmer finde nur schwer Arbeitskräfte. "Das ganze Umfeld ist dort besser. Florierende Geschäfte finden sie hier nicht mehr. Der Einzelhandel hier ist abgestorben."

Angst vor steigender Kriminalität

Am frühen Nachmittag geht es zurück in Richtung Großenhain. In Zabeltitz steigt ein Mann ein, der eigentlich gar nicht mit den Medien sprechen wolle. Seiner Meinung nach würden die sowieso nur "lügen". Dann erzählt Eberhard Hold doch, dass er sich darum sorge, dass die Kriminalität zunehmen könnte, weil die Existenzängste in der Gesellschaft zunehmen würden. Diese Ängste bekomme er in seinem Bekanntenkreis häufiger mit.

Fassungslos wegen Angriffen

Auf dem Rückweg von Großenhain nach Dresden sitzen wieder nur wenige Leute im Bus. In Radeburg steigt Jürgen Klaus in den Bus ein. Er sei fassungslos darüber, dass Wahlkampfhelfer beim Plakatieren beschimpft und angegriffen werden. "Das darf nicht sein. Das ärgert mich sehr", sagt der 80-Jährige. Er hoffe auf gute Ergebnisse der demokratischen Parteien: "Ich möchte nicht, dass die AfD gewinnt."

Ein alter Mann sitzt im Bus und lächelt in die Kamera. 1 min
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Mo 12.08.2024 07:22Uhr 00:26 min

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Gute Anbindung an die Großstadt

In Radeburg sind auch Yvonne und ihre Tochter eingestiegen. Sie wohnen in der knapp 7.000-Einwohner-Stadt und fahren zum Ausgehen nach Dresden. Ihre beiden erwachsenen Kinder seien immer noch aktiv in Vereinen in der Stadt, sagt die vierfache Mutter. Dennoch sei das Angebot gerade für junge Leute zu einseitig, meint die 47-Jährige: "Meine Tochter würde gerne Turnen und Tanzen. Da muss man hier raus."

Eine Frau und ein Mädchen sitzen im Bus und lächeln in die Kamera.
Yvonne (rechts) und ihre Tochter wünschen sich mehr Angebote für Familien in ihrem Heimatort Radeburg. Bildrechte: MDR/Adam Beyer

Im Vergleich zu den umliegenden Dörfern habe Radeburg aber eine gute Anbindung an Dresden, sagt Yvonne. Dennoch wünsche sie sich mehr Angebote für Familien in der Stadt.

Viele Eindrücke abseits der großen Städte

Kurz vor 16 Uhr hält der Bus 477 wieder in Dresden am Bahnhof-Neustadt. Die Wählerreise über die Stadtgrenzen von Dresden hinaus lassen einen mit vielen Eindrücken zurück, die nachdenklich machen. Eindrücke und Gefühlslagen, die man in der Großstadt vielleicht nicht in dem Ausmaß mitbekommt.

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