Kabinettsbeschluss Polizei in Sachsen bekommt neue Befugnisse

19. September 2018, 09:53 Uhr

Die sächsische Regierung hat den Gesetzentwurf von Innenminister Wöller für ein neues Polizeirecht verabschiedet. Stimmt auch der Landtag zu, erhält die Polizei mehr Befugnisse, um Straftaten zu verhindern und Gefahren abzuwehren. Doch es formiert sich Widerstand.

Die umstrittene Polizeirechtsnovelle ist auf den Weg gebracht. Angesichts von Gefahren wie Terrorismus und Organisierte Kriminalität beschloss das Kabinett in Dresden am Dienstag die beiden Gesetzentwürfe für Polizeibehörden und Polizeivollzugsdienst - mit erweiterten Befugnissen für Beamte.

Innenminister Roland Wöller sieht in der Novelle die Möglichkeit, Straftaten in Zukunft besser zu verhüten und Gefahren abzuwehren. Er sprach von einem "großen Fortschritt", der ihm aber nicht weit genug gehe. "Es bleiben entscheidende Sicherheitslücken", sagte er mit Verweis darauf, dass Punkte zur sogenannten Quellen-TKÜ, Online-Durchsuchung sowie zum Einsatz von Bodycams fehlen. Der Koalitionspartner SPD habe hier die Zustimmung versagt. Der Landtag muss der Novelle noch zustimmen, bevor es nach Plänen der CDU in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres in Kraft treten soll.

Sachsen einziges Bundesland ohne Bodycams

Der Minister setzt nun in der parlamentarischen Diskussion auf Aufklärung, die zur Einsicht führen soll. "Sachsen ist das einzige von 16 Bundesländern, was keine gesetzliche Befugnis für den Einsatz von Bodycams hat." Daher sei "Nacharbeiten" wichtig - im Sinne der Sicherheit der Bürger und derer, "die uns schützen". Der Modellversuch mit am Körper getragenen Kameras zeige, "dass die Hemmschwelle höher ist, Beamte anzugreifen" und der Einsatz sich auch bei der Beweissicherung bewähre.

Laut Novelle sind künftig umfassende Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation gestattet. Dazu kommen Aufenthaltsanordnungen und Kontaktverbote für gewaltbereite Hooligans, die elektronische Fußfessel für Gefährder sowie Video- und Gesichtserkennung bei grenzüberschreitender Kriminalität.

Das sind die Neuerungen beim Sächsischen Polizeigesetz
Befugnisse für die Polizei Bisheriges Polizeigesetz Neues Polizeigesetz
DNA-Untersuchung nicht gestattet gestattet
Bodycams für Polizisten (Körperkamera) nicht gestattet nicht gestattet
Aufzeichnung von Notrufen nicht gestattet gestattet
Datenübermittlung für Zuverlässigkeitsprüfungen (Bsp. Mitarbeiterüberprüfung bei gefährdeten Großveranstaltungen) gestattet gestattet
längerfristige Meldeauflage nicht gestattet gestattet
Strafbewehrte Aufenthaltsge- und -verbote/Kontaktverbot nicht gestattet gestattet
Elektronische Aufenthaltsüberwachung (Fußfessel) nicht gestattet gestattet
Internationale Ausschreibung zur gezielten Kontrolle (Durchsuchung der Person bei Antreffen) nicht gestattet gestattet
Einsatz von Vertrauenspersonen nicht gestattet gestattet
Automatisierte Kennzeichenerkennung gestattet gestattet
Auskunft Bestandsdaten nach Telekommunikationsgesetz (Vertragsdaten des Betroffenen)    
- von Telekommunikationsanbietern (Telekom, Vodafone …) gestattet gestattet
- von Telemedienanbietern (Facebook, ebay, Amazon …) nicht gestattet gestattet
Auskunft über Verkehrsdaten (Wann mit wem kommuniziert?) nicht gestattet gestattet
Telekommunikationsüberwachung (Inhaltsüberwachung) nicht gestattet gestattet
Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Inhaltsüberwachung bei verschlüsselter Kommunikation) nicht gestattet nicht gestattet
Online-Durchsuchung (verdeckter Zugriff auf Informationssysteme) nicht gestattet nicht gestattet
Einsatz des IMSI-Catchers (Standort- und Gerätedatenermittlung bei Mobiltelefonen) nicht gestattet gestattet
Einsatz von Störsendern nicht gestattet gestattet

"Massiver Eingriff in die Bürgerrechte"

Die Opposition im Landtag sieht derweil eine Gefahr für die Grund- und Freiheitsrechte, die Linke sprach von einem "Wahlkampfmanöver" auf Kosten der Unschuldsvermutung oder informationellen Selbstbestimmung. Ihr Innenexperte Enrico Stange kritisierte auch die geplante weitere "Militarisierung" der Polizei und kündigte an, alle rechtlichen Möglichkeiten zu prüfen, um "diesen Angriff" auf den freiheitlichen und rechtsstaatlichen Charakter des Staates zu verhindern - "auch eine Normenkontrollklage".

Der innenpolitische Sprecher der Grünen Landtags-Fraktion Valentin Lippmann hält das Gesetz für einen "massiven Angriff auf die Bürgerrechte, in Teilen verfassungswidrig und nicht praktikabel. Es ist gekennzeichnet von der grundlegenden Entscheidung für ein Mehr an Überwachung zu Lasten der Grundrechte jedes einzelnen." Mit Blick auf die Ereignisse in Chemnitz kritisiert Lippmann, dass nicht ein schärferes Polizeigesetz, sondern mehr Polizeikräfte vonnöten wären. Die Staatsregierung sollte sich lieber um diese Probleme kümmern, anstatt nun massiv in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger mit einem neuen Polizeigesetz einzugreifen."

SPD hat bei Bodycams noch Bedenken

Die SPD-Fraktion indes verteidigte den Entwurf als Beitrag zu mehr Sicherheit. Es brauche aber keine Überwachungsinstrumente wie Online-Durchsuchung oder den Einsatz von Handy-Trojanern. Die Möglichkeiten der Strafprozessordnung seien vollkommen ausreichend, sagte der Innenexperte Albrecht Pallas. Wichtig sei, "die Balance von Sicherheit und Freiheit zu wahren", das spiegele der Gesetzentwurf wider.

In der Frage des Einsatzes von Bodycams sind die Bedenken laut Pallas nicht so groß wie beim "Staatstrojaner". Die deeskalierende Wirkung sei erweisen, auf der anderen Seite stehe eine Vielzahl von Aufnahmen Unbeteiligter. "Wenn der Bürger transparenter wird, muss auch die Polizei transparenter werden", erklärte der SPD-Politiker unter Verweis auf die von der SPD verlangte anonyme Kennzeichnung von Polizisten. Da sieht Pallas die CDU gefordert, Wöller lehnt die Kennzeichnungspflicht hingegen ab.

Das parlamentarische Verfahren dürfte also zum Kraftakt werden. Denn sowohl CDU als auch SPD haben signalisiert, bestimmte Streitpunkte in den Gesetzentwurf einzubringen.

Quelle: MDR/mar/dk/dpa

Dieses Thema im Programm bei MDR SACHSEN MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 18.09.2018 | 15:00 Uhr in den Nachrichten

Mehr aus der Landespolitik

Mehr aus Sachsen

Bundekanzler Olaf Scholz und der Chefredakteur der Freien Presse, Torsten Kleditzsch laufen zwischen Zuschauern in Richtung Bühne.
Bundeskanzler Olaf Scholz war der Einladung der Tageszeitung "Freie Presse" gefolgt und debattierte mit Chefredakteur Torsten Kleditzsch (rechts). Bildrechte: MDR/Thomas Friedrich