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In Sachsen dürfen Versammlungen nur durchgeführt werden, wenn es einen Versammlungsleiter oder eine Versammlungsleiterin gibt. Das soll sich jetzt ändern. Das neue Gesetz soll im Frühjahr verabschiedet werden. Bildrechte: IMAGO / Christian Ditsch

Neues Gesetz geplantKeine Versammlungsleiter mehr - Polizeigewerkschaft sieht das kritisch

27. August 2023, 15:44 Uhr

Das Versammlungsrecht in Deutschland stammt aus den 1950-er Jahren, als Demos noch durch Zeitungsannoncen organisiert wurden. Mittlerweile aber versammeln sich Menschen spontan, die sozialen Medien machen das möglich, vor Landtagen und Staatskanzleien, Straßen und Plätzen, aber auch vor Privathäusern. Die sächsische Landesregierung will daher ihr Versammlungsrecht anpassen. In Zukunft soll es unter anderem keinen Versammlungsleiter mehr geben müssen. Nicht alle freuen sich darüber.

von André Seifert, MDR AKTUELL

Marcus Fuchs organisiert gern Demos. Demos, auf denen es fast immer um Corona-Politik, Impfungen oder um Russland geht. Auf Fuchs’ Veranstaltungen in Dresden kommen neben normalen Bürgern auch Querdenker, Verschwörungstheoretiker und Rechtsextremisten.

Eigentlich müsste man meinen, die in Sachsen geplante Vereinfachung des Versammlungsrechts komme dem Querdenker entgegen. Doch Fuchs hält wenig davon. Er fordert noch deutlich mehr Freiheiten. "Spannend wird es dann, und das war in der Corona-Zeit häufig der Fall, wenn die Behörden oder die Polizei anfangen, Auflagen zu erlassen und Beschränkungen, sprich, dass die Teilnehmer vielleicht Masken aufsetzen sollen zum Demonstrieren oder Abstände einhalten sollen. Da ändert der neue Gesetzentwurf am Ende gar nichts."

Marcus Fuchs, der Gründer von Querdenken Dresden, geht der Gesetzentwurf zum neuen Versammlungsrecht nicht weit genug. Bildrechte: MDR/Dirk Heth

Grüne: Hierarchische Versammlungen nicht mehr zeitgemäß

Das Versammlungsrecht sei kein Freibrief dafür, sich rechtswidrig zu verhalten, hält der rechtspolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Valentin Lippmann, dagegen. Daran werde auch der neue Gesetzentwurf nichts ändern. Lippmann verteidigt die Gesetzespläne als Stärkung der Versammlungsfreiheit, da in Zukunft kein Versammlungsleiter mehr notwendig sein soll. "Die grundsätzliche Überlegung, dass eine Versammlung hierarchisch aufgebaut ist, das sie also eine Art Leiter haben muss, ist eher eine Vorstellung des Versammlungsrechts der Fünfzigerjahre. Und deshalb halte ich es für richtig, dass man jetzt eben eine Versammlung nicht unnötig deswegen beschränken muss, weil sie beispielsweise nicht sofort einen erkennbaren Leiter oder Leiterin hat."

Polizei künftig als Versammlungsleiter? Gewerkschaft hält nichts davon

Bislang stellten nicht angezeigte Demonstrationen ohne Leiter einen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz dar, bei denen dann "gegen Unbekannt" ermittelt wurde. Dem neuen Gesetz zufolge soll im äußerten Fall, wenn sich nämlich absolut kein Leiter finden lässt, die Polizei die Versammlung lenken. Die Polizei wiederum könnte dann in so manche Zwickmühle geraten. Denn sie steht dann plötzlich vor der Aufgabe, die Wünsche der Teilnehmenden zu erfüllen und zugleich zum Beispiel Anwohner zu schützen oder Straftaten zu verhindern.

Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in Sachsen, Jan Krumlovsky, ist daher skeptisch. Es habe natürlich Vorteile, wenn es so einen Leiter gibt. Denn der leite ja nicht nur die Versammlung, sondern habe auch Pflichten und ist Ansprechpartner für die Polizei vor Ort. So könne er auf die Teilnehmer einwirken. "Die faktische Abschaffung der Pflicht sehe ich als problematisch an, erst recht, wenn die Eigenschaft des Leiters an die Versammlungsbehörde übergeben soll. Diese kommt mit Sicherheit in Zwänge."

Uneingeschränkter Protest vor Völkerschlachtdenkmal und Frauenkirche?

Das Gesetz soll im Frühjahr verabschiedet werden. Es sieht noch weitere Veränderungen vor. So soll es zum Beispiel in Zukunft in Sachsen möglich sein, auch an besonders sensiblen Orten wie dem Leipziger Völkerschlachtdenkmal oder der Dresdner Frauenkirche uneingeschränkt zu demonstrieren. Auch das hält Querdenker Marcus Fuchs übrigens für keinen wesentlichen Fortschritt. Fuchs wartet derweil auf eine Gerichtsentscheidung. Denn er wurde kürzlich zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er sich nicht als Versammlungsleiter zu erkennen geben wollte und ging dagegen in Berufung. Mit dem neuen Gesetz wär es wahrscheinlich gar nicht zu einer Anklage gekommen.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | MDR AKTUELL | 24. August 2023 | 06:09 Uhr