Zwei junge Männer hocken vor der Tür eines weißen Wohn-Containers.
Dresden greift auf Container zurück, um ausreichend Unterkünfte für Asylbewerber zu haben - notgedrungen, sagt eine Sprecherin der Stadt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Bund-Länder-Treffen Flüchtlingsgipfel ohne Kommunen: Wo liegt das Problem?

08. Mai 2023, 05:00 Uhr

Die Kommunen sind nicht dabei, wenn sich Bund und Länder am Mittwoch zum Flüchtlingsgipfel treffen. Doch die haben mit immer größeren Problemen zu kämpfen. Dresden findet kaum noch Unterkünfte. In Sachsen werden einige Proteste radikaler und die Kommunen haben hohe Kosten.

Die Debatten zu den Flüchtlingsfragen zwischen Bund, Ländern und Kommunen werden immer lauter. Am Mittwoch wollen sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Ministerpräsidenten treffen – doch Vertreter der Kommunen werden nicht dabei sein. Dabei haben die derzeit mit mehreren Problemen zu kämpfen: Fehlende Unterkünfte, hohe Kosten und zunehmende Proteste.

Der erste Flüchtlingsgipfel Mitte Februar hatte bei den Kommunen für Ernüchterung und Verärgerung gesorgt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) versprach, der Bund wolle "pragmatische Lösungen finden, um die vielerorts angespannte Unterbringungssituation zu lösen". Fest stand vor allem eins: Mehr Geld soll es nicht geben.

"Der erste Gipfel, das sagen ganz viele, das war eine Farce", sagt die Sozialbürgermeisterin der Stadt Dresden, Dr. Kristin Kaufmann. Die Linken-Politikerin steht vor den weißen Containern einer Flüchtlingsunterkunft im Stadtteil Sorbitz der sächsischen Landeshauptstadt. Mehr als 2.000 Asylbewerber erwartet die Stadt Dresden 2023. Dazu kommen die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine.

Angespannte Situation

"Die Situation ist aus meiner Sicht sehr, sehr angespannt", berichtet Kaufmann. Die bestehenden Gemeinschaftsunterkünfte seien voll, der Wohnungsmarkt wäre dicht. Die Stadt habe bereits zahlreiche Zimmer in mehreren Hotels angemietet. "Und jetzt müssen wir eben auf diese relativ schnell zu aktivierenden Notunterkünfte zurückgreifen", sagt sie und deutet mit der Hand auf die Container.

Diese sporadischen Unterkünfte sind für 52 Flüchtlinge ausgelegt und kosten etwa 175.000 Euro pro Monat. Die Stadt muss einen Eigenanteil von mindestens zehn Prozent selbst tragen, den Rest trägt das Land. Sechs weitere Containerdörfer sind in Planung. Die Wohneinheiten sind 26 Quadratmeter groß und für bis zu vier Personen ausgelegt. "Ich sage immer, wer mal in das Ferienlager fährt: Super. Das ist ideal. Aber, ich wünsche keinem Menschen über mehrere Monate auf so beengtem Raum leben zu müssen", sagt die Sozialbürgermeisterin.

Alles andere wäre eine Turnhalle.

Kristin Kaufmann Sozialbürgermeisterin in Dresden

Alternative Unterbringungsmöglichkeiten sieht Kaufmann nicht: "Alles andere wäre eine Turnhalle." Ansonsten gebe es höchstens noch Messehallen oder, so wie es Leipzig aktuell macht, Zelte. "Dort gibt es null Privatsphäre." Das wolle man in Dresden vermeiden – offenbar auch im Rückblick auf die Flüchtlingskrise vor acht Jahren.

Mehr Schutzsuchende als 2015 in Sachsen

Damals – im Jahr 2015 – sind in Sachsen 70.000 Asylsuchende angekommen. Im vergangenen Jahr waren es etwa 80.000 Menschen, davon rund 60.000 Schutzsuchende aus der Ukraine. "Wenn die Dimensionen bis heute so sind, dann muss man sehen, dass das bei uns eben auch die Gesellschaft auseinanderreißt und nicht zusammenführt", warnt der Präsident des Deutschen Landkreistag, Reinhard Sager (CDU).

Zwei Männer vor einem grünen Stahltor.
In der Gemeinde Mockrehna sollen Geflüchtete zeitweilig auf einem ehemaligen Militärgelände untergebracht werden. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Das zeigt sich etwa auch im Landkreis Nordsachsen, der geografisch über der Stadt Leipzig liegt. Dort werden in diesem Jahr 1.500 Flüchtlinge erwartet. Weil es keine Alternativen gibt, soll ein Teil von ihnen in der Gemeinde Mockrehna zeitweilig auf einem ehemaligen Militärgelände untergebracht werden. Ringsherum ist ein grüner Maschendrahtzaun, obendrauf Stacheldraht. Das Gelände liegt abgeschieden, der nächste Supermarkt ist drei Kilometer entfernt. Etwa 100 junge Männer sollen kommen.

Spieße auf der Straße zur Flüchtlingsunterkunft

In Sichtweite liegt der Ortsteil Strelln. Dort fahren am Wochenende keine Busse. Die geplante Flüchtlingsunterkunft stößt bei den rund 400 Einwohnern größtenteils auf Ablehnung. 250 von ihnen haben das mit einer Unterschriftenliste zum Ausdruck gebracht. "Die jungen Burschen, die haben Langeweile", sagt Schmied Erich Fromm und steht vor der Einfahrt seines Gehöfts. Der junge Familienvater befürchtet, dass es sexuelle Übergriffe geben könnte. Diese Bedenken werden in Strelln mehrfach gegenüber MDR Investigativ geäußert.

Ende Januar hatte es in Strelln Proteste gegen die geplante Unterkunft gegeben. Unter den Teilnehmern waren offenbar auch Unterstützer der "Freien Sachsen". Von dieser rechtsextremistischen Kleinstpartei waren auf der Demo mehrere Fahnen und Banner zu sehen.

Anfang März hatten Unbekannte die Zufahrtsstraße zur geplanten Unterkunft mit Stahlstäben gespickt. Wie Spieße ragten sie aus dem Asphalt. Sie wurden schnell entfernt, der Staatsschutz ermittelt. Derart radikalen Protest lehnt Peter Klepel ab. Der parteilose Bürgermeister kann aber den Unmut der Bevölkerung in Teilen nachvollziehen, denn die Gemeinde wurde vom Landkreis vor vollendete Tatsachen gestellt: "Wir werden nur in Kenntnis gesetzt. Wir haben kein Mitspracherecht. Und wir haben auch keine Stellungnahme abzugeben."

Faesers Versprechen ist für Dresden keine Lösung

So wie nun offenbar auch beim anstehenden Flüchtlingsgipfel, bei dem die Kommunen nicht dabei sind. Nach dem letzten Gipfel hatte Innenministerin Faeser auch die Bereitstellung von Immobilien versprochen. Auf Anfrage dazu teilte ihr Ministerium mit: "Der Bund hat Ländern und Kommunen inzwischen 339 Liegenschaften mit einer Kapazität von circa 70.000 Unterbringungsplätzen mietzinsfrei zur Verfügung gestellt. Weitere 102 Objekte wurden angeboten."

Dazu zieht die Sozialbürgermeisterin von Dresden ein nüchternes Fazit: "Wir haben gesucht und haben exakt null Liegenschaften gefunden", so Kaufmann. Diese Suche habe man bereits mehrfach durchgeführt. Es gebe keine Immobilien mehr. "Das bedeutet also, diese Art von Problemlösung löst uns keine Probleme vor Ort."

Jedenfalls kann man nicht erkennen, dass das eine Chef-Angelegenheit ist in der Bundesregierung.

Reinhard Sager Präsident Deutscher Landkreistag

So sieht es auch der Präsident des Deutschen Landkreistages: "Also, was bisher passiert ist, seitens der Bundesregierung, reicht überhaupt gar nicht aus", sagt Sager. "Das Problem wird täglich größer und die Bundesregierung tut so, als sei es relativ klein. Jedenfalls kann man nicht erkennen, dass das eine Chef-Angelegenheit ist in der Bundesregierung."

Verband der Landkreise fordert drei Dinge

"Natürlich ist es zu bedauern, dass die kommunale Ebene dazu gar nicht erst eingeladen wird", so Sager, der auch Landrat des Kreises Ostholstein in Schleswig-Holstein ist. Denn es sei eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen. Aus Sicht des Präsidenten des kommunalen Spitzenverbandes der 294 Landkreise fehlt es an drei Dingen.

"Es muss dringend die irreguläre Zuwanderung gestoppt und gedrosselt werden, um das Problem kleiner zu machen", fordert Sager. "Zweitens fehlt es an einer vernünftigen Rückführung von Menschen, die in Deutschland keine Perspektive auf ein Bleiberecht haben."

Der dritte Punkt sind aus Sicht Sagers die Finanzen. "Hier darf man die kommunale Ebene mit ihren Aufgaben nicht alleine lassen. Es sind staatlich veranlasste Ausgaben, und bis 2021 wurden uns die Unterkunftskosten für Flüchtlinge ersetzt. Das ist jetzt nicht mehr der Fall, und es ist ein Unding, dass die kommunale Ebene hier auf Milliardensummen sitzen bleibt." Im vergangenen Jahr seien es zwei Milliarden Euro gewesen, in diesem Jahr könnten es über 2,5 Milliarden werden.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 03. Mai 2023 | 20:15 Uhr

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