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TraditionshandwerkWarum das Räuchermännchen im Erzgebirge auch im Sommer nebeln darf

24. Juni 2022, 05:05 Uhr

Das Quecksilber kratzt an der 30-Grad-Marke. Bis zum Heiligen Abend dauert es genau sechs Monate. Dennoch herrscht bei Sachsens Räucherkerzchen-Herstellern Weihnachtsstimmung. Ihre Betriebe laufen im Hochbetrieb, es duftet wie einer erzgebirgischen Hutzenstub. Dabei mausern sich die kleinen Räucherkegel mehr und mehr zu Ganzjahresprodukten, eignen sie sich doch auch bestens, um Mücken auf der Terrasse zu vergrämen. Es duftet nicht mehr nur nach Sandel, Weihrauch oder Tannengrün.

Am Rande des Tharandter Waldes im Örtchen Grund in der Gemeinde Mohorn - auf halbem Weg zwischen Dresden und Freiberg - durftet es das ganze Jahr wie in einer erzgebirgischen Weihnachtsstube. Weitgereiste können sich auch an die Düfte eines orientalischen Basars erinnert fühlen. Hier stellt die Firma "Apotheker Hermann Zwetz Räuchermittelherstellung", besser bekannt unter der Marke "Knox", mit zwölf Mitarbeitern rund 65 Tonnen Räucherkerzchen pro Jahr in verschiedenen Duftnoten her.

Klassiker im Erzgebirge seien die traditionellen Sorten Weihrauch, Tannenduft und Sandel, erklärt Geschäftsführer Dennis Koch-Beier, der Schwiegersohn im Betrieb und inzwischen Mitinhaber. Mit den Kerzchen in Schwarz, Rot und Grün erschöpft sich das Sortiment aber längst nicht mehr.

Aus für Grüner Apfel, Ananas und Kokos

Gut 40 Sorten werden produziert. Nicht alle haben Bestand. Duft-Liebhaber von Kokos, Ananas und Grüner Apfel müssen sich beeilen, von diesen Räucherkerzchen gibt es nur noch Restposten. Die Nachfrage sei zu gering, sagt Koch-Beier. Auch die Sandel-Kerzchen würden seltener gekauft. Freunde der Roten brauchen aber noch nicht zu hamstern: Sandel stünde noch nicht auf der Streichliste, hieß es.

Cannbis-Kerzchen räuchern in Großstädten

Neu im Sortiment ist ein schwefeliger Duft nach Dampflok für die große Schar der Eisenbahnfans. Und - nach einigem Überlegen und Zögern - hat es auch Cannabis in die Kegelform geschafft. "Harmlos", beruhigt der Hersteller augenzwinkernd. Sie wirkten nicht berauschend. In Großstädten bei jungen Leuten und Alt-68ern seien diese dennoch begehrt, wenngleich es auch dort anfänglich Verwunderung gegeben habe. Schließlich habe man doch das Original-Kraut und bräuchte es nicht als Räucherkerzchen-Duft.

Für die Gesundheit seien übrigens alle Räucherkerzchen harmlos, versichert Dennis Koch-Beier. Wenn versehentlich ein Kind eines verschlucke, drohten keine Gesundheitsschäden. Grundbestandteile sind Holzkohle oder Holzmehl, Kartoffelstärke und je nach Sorte Baumharze, Dufthölzer, Lebensmittelfarbe sowie Aromaöle. Die genauen Rezepturen bleiben Familiengeheimnis - ebenso wie die genaue Bedeutung des Namens Knox.

Allerdings können Besucher unter Anleitung und nach Anmeldung selbst eigene Räucherkerzchen von Hand herstellen - schwarze und klebrige Finger inklusive. Gefährlich werden und ganze Adventsstuben in Brand setzen können Räucherkerzchen allerdings bei unsachgemäßem und unbeaufsichtigtem Abbrennen.

Wann wurde das Räuchermännchen erfunden?

Traditionelle Räucherfiguren und Räucherhäuschen können derlei Malheure verhindern. Wann genau die Tradition der Räuchermännchen aufkam, scheint schwierig zu sagen. Der Verband Erzgebirgischer Kunsthandwerker und Spielzeughersteller hat keine verbürgte Jahreszahl parat. Knox-Chef Koch-Beier verortet die Räuchermännchen auf Anfang des 19. Jahrhunderts.

Eine Online-Händlerin für echt erzgebirgische Volkskunst aus Schönfeld bei Wiesenbad schreibt, im 19. Jahrhundert habe die aufkommende Sitte des öffentlichen Rauchens die Spielzeugmacher zur Schaffung der Holzfigur "des Mannes mit der Pfeife im Mund" animiert. Inzwischen dampft es zwar längst aus der Schüssel der hölzernen Kloßfrau oder dem Virologen raucht gar der Kopf, dennoch hat das Räuchermännchen im Erzgebirge bislang allen Gender-Versuchen widerstanden. Es gehört neben Engel, Bergmann und Nussknacker zu den wichtigsten Weihnachtsfiguren, die in der Adventszeit in keiner Hutzenstube fehlen dürfen. Und wohl jedes Kind aus der Region kann das Lied vom "nabelnten Raachermannel" mitsingen.

Wenn es Raachermannel nabelt un es sat kaa Wort drzu,
un dr Raach steigt an dr Deck nauf,
sei mr allezamm su fruh.
Un schie ruhig is in Stübel, steigt dr Himmelsfrieden ro,
doch im Harzen lacht's un jubelt's;
Ja, de Weihnachtszeit is do.

Erzgebirgische Weihnachtsweise von Erich Lang

Räuchern in vielen Kulturen und Religionen verbreitet

Unstrittig ist: Die Tradition des Räucherns mit Weihrauch ist in der katholischen Kirche und der Kultur des Orients lange und fest verwurzelt. So ist der Oman für feinstes Harz aus den Boswellia-Bäumen weltberühmt. Auch in asiatischen Tempeln verschiedener Religionen nebeln Räucherstäbchen Tag und Nacht bei Zeremonien und Meditationen. Viele Menschen glauben an eine reinigende Wirkung.

Nach Angaben des Herstellers Knox war im 18. Jahrhundert in Deutschland "Therapeutische Räucherei" gegen allerlei Krankheiten in der Medizin verbreitet. So wird Weihrauch eine entzündungshemmende und desinfizierende Wirkung zugeschrieben. Räucherkerzchen-Hersteller Koch-Beier hat nach eigenen Angaben in den vergangenen 20 Jahren seiner Firmenzugehörigkeit bei sich keine Erkältungskrankheiten mehr ausgemacht und stützt die These.

Das "Weihrich-Karzel" bleibt im Erzgebirge der Renner

Bei Knox ist Weihrauch noch immer die beliebteste Sorte und macht ein Drittel des Gesamtproduktion aus. Vor allem im Erzgebirge sei das "Weihrich-Karzel" (das Weihrauchkerzchen) beliebt, so Koch-Beier. Den Weihrauch bezieht das Unternehmen aus Somalia über international agierende Gewürzhändler. Wer es fruchtiger mag, kann auch auf Melone, Lemon oder Orange zurückgreifen und diese Düfte als Riesenkerzchen im Sommer auf der Terrasse entzünden. Sie halten lästige Mücken auf Abstand.

Rammstein lässt sich eigene Duftmischung kreieren

Prominenteste Fans der Knox-Räucherkerzchen dürften die Musiker von Rammstein sein, die sich exklusiv nach eigenem Geschmack Räucherkerzchen im beschaulichen Mohorn-Grund entwickeln lassen haben und diese ausschließlich selbst vertreiben. Rauchige Hölzer, aromatische Kräuter und exotische Harze dominieren den Duft, schreibt die Band auf ihrer Homepage.

Vier Hersteller in Sachsen und einer im Odenwald

In Sachsen gibt es vier Räucherkerzchen-Hersteller - neben Knox noch Original Crottendorfer. Beide Marken waren auch in der DDR bekannt, wenngleich Räucherkerzchen damals immer wieder zu klassischer Bückware gehörten. Knox war im Gegensatz zu Crottendorf immer in privater Hand, musste aber einen Großteil der Räucherkerzchen für die Bundesrepublik produzieren und so Devisen für die DDR mitbeschaffen.

Anders die Geschichte der Huß-Räucherkerzchen: Jürgen Huß aus Sehmatal-Neudorf hat die in der DDR beendete Räucherkerzchenherstellung seiner Familie in der 1990er-Jahren wiederbelebt und mit dem "Karzl" eine Kultfigur erschaffen, die sich bei Youtube einer Fangemeinde erzgebirgischer Mundart erfreut, aber auch auf Mützen, Brotbüchsen, Zuckertüten oder Socken zu finden ist.

Bockauer Räucherkerzchen sind hingegen eher unbekannt und nur in den Duftrichtungen Weihrauch und Myrrhe zu haben. Die kleine Firma beruft sich auf die mehr als 200 Jahre alte Geschichte der Räucherkerzchen-Herstellung in Bockau bei Aue-Bad Schlema, für die es schriftliche Quellen aus den Jahren 1804 und 1814 geben soll.

Die Geschichte der Knox-RäucherkerzchenApotheker Hermann Eduard Zwetz hat erste Räucherware ab 1865 in seinen Apotheken in Schleiz und Zörbig bei Halle angeboten. Später lässt der Apotheker eine Räuchermittelfabrik ins Handelsregister eintragen. Dort liegen die Wurzeln der heutigen Knox-Räucherkerzchen. Im Jahr 1952 kauft Erich Koch aus Sachsen die Schleizer Räuchermittelfabrik "Apotheker Hermann Zwetz" und verlegt die Produktion nach Mohorn-Grund. Zuvor hatte Koch Parfüm, Seifenblasenlauge und Waschzusätze hergestellt und vertrieben. Sechs Jahre später wird die Marke Knox kreiiert. Die Firma bleibt in der DDR in Privatbesitz und wird über die politische Wende hinweg bis in die Gegenwart von der Familie Koch geführt.

Räucherkerzchen stellt auch noch die Carl Jäger Räuchermittelfabrik im hessischen Odenwald her. Am 15. Oktober 1897 wurde die Firma in Crottendorf im Erzgebirge gegründet. Nachdem die Firma nach dem Zweiten Weltkrieg Bergarbeiterunterkünften weichen musste, siedelte die Familie erst ins Rheinland und dann in den Odenwald über, wie auf der Homepage zu erfahren ist. Räucherkerzchen werden dort noch immer nach alter Rezeptur "in der Tradition des Erzgebirges" hergestellt.

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MDR (lam)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Dresden | 22. Juni 2022 | 10:30 Uhr

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