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KriegsjahrestagUkraine-Flüchtlinge in Sachsen: Viel Potenzial für den Arbeitsmarkt

23. Februar 2023, 13:13 Uhr

Nach jahrelang schwelenden regionalen Kämpfen zwischen Russland und der Ukraine hat Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine angegriffen. Seitdem wurden Tausende Menschen verletzt und getötet, Millionen sind aus ihrer Heimat geflohen. Mehr als 63.000 Ukrainerinnen und Ukrainer, oft Frauen und Kinder, sind nach Sachsen gekommen. Sie sollten unkompliziert Hilfe erhalten und auch schnell arbeiten dürfen. Wie sieht das ein Jahr nach Kriegsbeginn aus?

Sie ist jung, gut ausgebildet und arbeitssuchend. Seit rund elf Monaten lebt Vladyslava Yerokhina zusammen mit ihrer Familie in Dresden, vorher war Mariupol in der Ukraine ihr Zuhause. "Meine ganze Familie wurde gerettet", erzählte die 30-Jährige uns im August 2022. "Wir haben die Ukraine als Ganzes verlassen." Eine Sorge weniger nach der Flucht aus der Heimat. Doch einfach ist der Neustart in Deutschland bis heute nicht. Eine Arbeit als Journalistin mit Diplom sucht sie weiterhin.

Menschen aus der Ukraine haben es auf dem Arbeitsmarkt derzeit noch immer schwer. Hauptgrund dafür ist die Sprachbarriere, erklärt der Sprecher der sächsischen Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit, Frank Vollgold: "Viele dieser Menschen aus der Ukraine sprechen eben kein Deutsch. Das ist aber Grundvoraussetzung für viele Stellen."

Wer darf in Deutschland arbeiten?Nach Angaben des Bundesarbeitsministeriums dürfen Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland arbeiten, wenn sie eine Aufenthaltserlaubnis haben. Diese ist geregelt in § 24 Absatz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Die Erlaubnis wird von der Ausländerbehörde ausgestellt. Damit könnte man in Deutschland grundsätzlich jede Arbeit oder auch eine Ausbildung aufnehmen. Allerdings gibt es in einigen Berufen berufsrechtliche Zugangsbeschränkungen, wie bei Ärztinnen und Ärzten, Lehrkräften sowie Erzieherinnen und Erziehern.Bundesministerium für Arbeit

Ohne Sprachkenntnisse keine Arbeit

Diese Erfahrung hat auch Yerokhina gemacht. Sie hatte vor ihrer Flucht als Nachrichtenredakteurin im Fernsehen gearbeitet, spricht ukrainisch und russisch. "Ich habe versucht, über Kleinanzeigen an einen Job zu kommen, aber sie brauchen Deutsch, um arbeiten zu können." Und so bleibt Yerokhina vorerst eine von rund 20.000 Menschen ukrainischer Herkunft, die in Sachsen als arbeitssuchend gelten (Stand: Januar 2023). Inzwischen kann sie immerhin stundenweise bei ihrer Cousine in Dresden arbeiten, die eine Agentur für Fachkräfte aus Drittstaaten betreibt. Parallel dazu besucht sie einen Deutschkurs. Was ihr aber noch fehle, sei die Praxis.

Starker Anstieg der Beschäftigung von Ukrainern seit Kriegsbeginn

Die Entwicklung ein Jahr nach Kriegsbeginn stimmt die Arbeitsagentur aber optimistisch: Die Zahl der in Sachsen sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ukrainerinnen und Ukrainer hat sich danach innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt, auf rund 5.400 im November 2022. Seit Kriegsbeginn haben sich laut Arbeitsagentur zudem mehr als 1.500 Ukrainer aus der Arbeitslosigkeit abgemeldet. Fast 800 aus der Ukraine Geflüchtete haben ein Studium oder eine Ausbildung begonnen. Die meisten Ukrainer arbeiten den Angaben zufolge in Dienstleistungsberufen, im Gastgewerbe, in Gesundheits-, Verkehrs- und Logistikberufen, aber auch im Lehr- und Erziehungsbereich.

Wie viele Geflüchtete aus der Ukraine leben derzeit in Sachsen?

Die Landesdirektion teilte auf Anfrage von MDR SACHSEN mit, dass sich 63.120 Menschen aus der Ukraine bei den deutschen Behörden in Sachsen gemeldet haben (Stand: 21. Februar 2023), rund 52.000 von ihnen seien noch in Sachsen, fast zwei Drittel davon weiblich, rund 18.000 jünger als 18 Jahre. Die Landesdirektion weist aber auch darauf hin, dass diese Zahl ausdrücklich nur die behördlich registrierten Menschen abbildet. Die Zahl der Ukrainerinnen und Ukrainer im Freistaat könnte deshalb weitaus höher liegen.

33.000 Ukrainer erhalten Unterstützung der Jobcenter

Nach Angaben der Bundesarbeitsagentur haben im Dezember 2022 rund 16.400 ukrainische Familien Leistungen der Grundsicherung erhalten. Nach ersten Hochrechnungen erhalten damit 33.400 Menschen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit Geld vom Jobcenter, darunter sind 11.000 Kinder.

Integrationskurse als Türöffner für den Arbeitsmarkt

"Wenn das Thema Geld erledigt ist, dann können wir uns um die Vermittlung und Integration kümmern. Und jetzt treten wir, da wo es möglich ist, in die zweite Phase ein: die Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt", erklärt Frank Vollgold. Beim Termin im Jobcenter würden die Beraterinnen und Berater vor Ort feststellen, was die Geflüchteten brauchen. In der Regel sei das ein Integrationskurs vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Doch es gibt wegen des hohen Anteils der Kinder unter den Geflüchteten eine Herausforderung: "Wer mit Kindern hier ist, braucht eine Kinderbetreuung, das ist ja ganz klar", meint Vollgold. "Entweder die Kinder gehen in die Schule oder es braucht einen Kitaplatz, ansonsten kann man keinen Kurs besuchen."

Lange Listen, langes Warten

Seit Februar 2022 haben laut Regionaldirektion Sachsen mehr als 10.000 Geflüchtete in Sachsen einen Integrationskurs begonnen oder bereits teilgenommen. Noch einmal so viele müssen den Kurs demnach noch belegen, ein Drittel davon ist bereits angemeldet. Auch Yerokhina musste eine Weile auf ihren Sprachkurs warten, bevor sie einen Platz bekam. Untätig blieb sie aber nicht, half der Familie und engagierte sich im ukrainischen Koordinationszentrum.

Ukrainisches Koordinationszentrum Dresden

Die Initiative "Ukrainisches Koordinationszentrum Dresden" hat sich nach eigenen Angaben zur Aufgabe gemacht, die Hilfsangebote für ukrainische Geflüchtete zu bündeln und zu koordinieren. "Wir haben unterschiedliche Tätigkeitsschwerpunkte wie humanitäre Hilfe für die zivilen Verteidiger der Ukraine sowie Geflüchtete, Medikamente und medizinische Ausrüstung für die Ukraine, Transport von Geflüchteten und Logistik für die humanitäre Hilfe, Wohnungsvermittlung, Social Media sowie Integration, Kultur und Bildung definiert", teil die Initiative auf ihrer Website mit.

Schneller Einstieg in den Beruf möglich

Dass es in einigen Fällen mit der Arbeitsvermittlung auch ganz schnell gehen kann, zeigt hingegen ein Fall aus Dresden. Der dortige Leiter des Jobcenters, Thomas Berndt, erzählt auf Anfrage von einem ukrainischen Familienvater, der zusammen mit seiner Frau und drei Kindern im März nach Sachsen eingereist war. Der Mann habe in der Ukraine studiert und als Sportlehrer und Fußballtrainer gearbeitet. "Da er zuvor im Herkunftsland gute Deutschkenntnisse erworben hatte, fand er bereits im Mai eine Arbeitsstelle als Schulassistent an einer Dresdner Oberschule.

Arbeitsagenturchef: "Potenzial, das wir brauchen"

Der Chef der sächsischen Arbeitsagenturen und Jobcenter, Klaus-Peter Hansen, ist optimistisch, dass die Integration von geflüchteten Menschen aus der Ukraine gelingen kann. Die ersten Absolventen aus den Integrationskursen hätten den Übergang in Arbeit gemeistert. Hansen rechnet damit, dass bis zum Sommer viele Frauen und Männer ihren Integrationskurs beenden haben und mit guten Sprachkenntnissen zur Verfügung stehen. Die Geflüchteten seien meist gut qualifiziert, nur manchmal weniger spezialisiert. "Damit finden die sächsischen Betriebe in diesen Frauen und Männern auf jeden Fall talentierte, motivierte und fähige Mitarbeiter – Potenzial das wir brauchen".

Klaus-Peter Hansen Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Robert Michael

Damit finden die sächsischen Betriebe in diesen Frauen und Männern auf jeden Fall talentierte, motivierte und fähige Mitarbeiter – Potenzial, das wir brauchen.

Klaus-Peter Hansen | Chef der sächsischen Arbeitsgenturen und Jobcenter

Dass es in Zukunft in ihrem beruflichen Leben wieder vorangeht, darauf hofft auch die 30-Jährige Vladyslava Yerokhina. Sie hat beschlossen, sich in Dresden ein neues Leben aufzubauen: "Dresden hat ein ähnliches Schicksal wie Mariupol. Es konnte aufblühen und ich bin mir sicher, dass ich mich in dieser schönen Stadt wiederfinden werde." Ein Anfang ist gemacht.

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MDR (pri/kbe)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 24. Februar 2023 | 19:00 Uhr